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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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VI. Fragment. Beantwortung
viel aber ist gewiß, daß das Profil von ihm, von Cochin, welches doch weit unter dem Ori-
ginal seyn soll, anderer schwerer anzugebender Merkmale nicht zu gedenken, eine Stirn und zum
Theil eine Nase hat, die ich noch an keinem mittelmäßigen, geschweige schlechten, Kopfe gese-
hen habe.

VII. Einwendung.

"Aber äusserst Dumme mit feuervollem Gesichte giebt's doch?" --

Antwort.

Wer sieht dergleichen nicht täglich? Meine ganze Antwort, die ich tausendmal geben
werde, und mit dem probehältigsten Rechte geben kann, ist diese: "die Anlagen der Natur
"können trefflich seyn: die Gewohnheiten verdorben.
" -- Es ist Kraft da; aber schlecht
angewandte
Kraft. Feuer, der Wollust geopfert, kann der Erforschung und Ausbreitung
der Wahrheit nicht mehr geopfert werden -- oder Feuer, ohne Licht? oder Feuer, das zu kei-
ner Absicht brennt? etc.



So viel kann ich auf meine Ehre versichern, daß mir unter allen mir bekannten sehr
verständigen und Genievollen Menschen (und ich kann sagen, daß ich das Glück habe, viele
der besten Köpfe, wenigstens in Deutschland und in der Schweiz, persönlich zu kennen) daß mir,
sag' ich, unter diesen allen keiner bekannt ist, nicht Einer, der nicht gerade nach dem Maße seiner
Geistes- oder Empfindungs- oder Schöpfungskraft sich auch durch seine Gesichtszüge, und vornehm-
lich durch den Bau seines Kopfes auszeichnete.

Kein Geschöpf, das beobachten kann, darf sich schämen, beobachtet zu werden. Was
Gott geschaffen hat, darf sich nicht schämen, geschaffen zu seyn -- und so gebildet zu seyn, wie es
ist -- also, hoff' ich, werdens die Männer, oder die männlichen Seelen, die dieß Buch lesen --
(und nur für solche, nicht für Kinder, schreib' ich) nicht unbescheiden finden, wenn ich, zur
Bestätigung dessen, was ich so eben gesagt habe, aus dem Haufen einige noch lebende nenne, an
denen sich alle Augenblicke der Beweis sehen läßt. -- Und dieß sey ein neuer Wink zur Bestätigung
der Allgemeinheit des physiognomischen Gefühles, weil ich wohl gewiß seyn kann, daß niemand,
der das Glück hat, diese Männer zu kennen -- mir widersprechen werde.

Man

VI. Fragment. Beantwortung
viel aber iſt gewiß, daß das Profil von ihm, von Cochin, welches doch weit unter dem Ori-
ginal ſeyn ſoll, anderer ſchwerer anzugebender Merkmale nicht zu gedenken, eine Stirn und zum
Theil eine Naſe hat, die ich noch an keinem mittelmaͤßigen, geſchweige ſchlechten, Kopfe geſe-
hen habe.

VII. Einwendung.

„Aber aͤuſſerſt Dumme mit feuervollem Geſichte giebt’s doch?“ —

Antwort.

Wer ſieht dergleichen nicht taͤglich? Meine ganze Antwort, die ich tauſendmal geben
werde, und mit dem probehaͤltigſten Rechte geben kann, iſt dieſe: „die Anlagen der Natur
„koͤnnen trefflich ſeyn: die Gewohnheiten verdorben.
“ — Es iſt Kraft da; aber ſchlecht
angewandte
Kraft. Feuer, der Wolluſt geopfert, kann der Erforſchung und Ausbreitung
der Wahrheit nicht mehr geopfert werden — oder Feuer, ohne Licht? oder Feuer, das zu kei-
ner Abſicht brennt? ꝛc.



So viel kann ich auf meine Ehre verſichern, daß mir unter allen mir bekannten ſehr
verſtaͤndigen und Genievollen Menſchen (und ich kann ſagen, daß ich das Gluͤck habe, viele
der beſten Koͤpfe, wenigſtens in Deutſchland und in der Schweiz, perſoͤnlich zu kennen) daß mir,
ſag’ ich, unter dieſen allen keiner bekannt iſt, nicht Einer, der nicht gerade nach dem Maße ſeiner
Geiſtes- oder Empfindungs- oder Schoͤpfungskraft ſich auch durch ſeine Geſichtszuͤge, und vornehm-
lich durch den Bau ſeines Kopfes auszeichnete.

Kein Geſchoͤpf, das beobachten kann, darf ſich ſchaͤmen, beobachtet zu werden. Was
Gott geſchaffen hat, darf ſich nicht ſchaͤmen, geſchaffen zu ſeyn — und ſo gebildet zu ſeyn, wie es
iſt — alſo, hoff’ ich, werdens die Maͤnner, oder die maͤnnlichen Seelen, die dieß Buch leſen —
(und nur fuͤr ſolche, nicht fuͤr Kinder, ſchreib’ ich) nicht unbeſcheiden finden, wenn ich, zur
Beſtaͤtigung deſſen, was ich ſo eben geſagt habe, aus dem Haufen einige noch lebende nenne, an
denen ſich alle Augenblicke der Beweis ſehen laͤßt. — Und dieß ſey ein neuer Wink zur Beſtaͤtigung
der Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles, weil ich wohl gewiß ſeyn kann, daß niemand,
der das Gluͤck hat, dieſe Maͤnner zu kennen — mir widerſprechen werde.

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[52/0074] VI. Fragment. Beantwortung viel aber iſt gewiß, daß das Profil von ihm, von Cochin, welches doch weit unter dem Ori- ginal ſeyn ſoll, anderer ſchwerer anzugebender Merkmale nicht zu gedenken, eine Stirn und zum Theil eine Naſe hat, die ich noch an keinem mittelmaͤßigen, geſchweige ſchlechten, Kopfe geſe- hen habe. VII. Einwendung. „Aber aͤuſſerſt Dumme mit feuervollem Geſichte giebt’s doch?“ — Antwort. Wer ſieht dergleichen nicht taͤglich? Meine ganze Antwort, die ich tauſendmal geben werde, und mit dem probehaͤltigſten Rechte geben kann, iſt dieſe: „die Anlagen der Natur „koͤnnen trefflich ſeyn: die Gewohnheiten verdorben.“ — Es iſt Kraft da; aber ſchlecht angewandte Kraft. Feuer, der Wolluſt geopfert, kann der Erforſchung und Ausbreitung der Wahrheit nicht mehr geopfert werden — oder Feuer, ohne Licht? oder Feuer, das zu kei- ner Abſicht brennt? ꝛc. So viel kann ich auf meine Ehre verſichern, daß mir unter allen mir bekannten ſehr verſtaͤndigen und Genievollen Menſchen (und ich kann ſagen, daß ich das Gluͤck habe, viele der beſten Koͤpfe, wenigſtens in Deutſchland und in der Schweiz, perſoͤnlich zu kennen) daß mir, ſag’ ich, unter dieſen allen keiner bekannt iſt, nicht Einer, der nicht gerade nach dem Maße ſeiner Geiſtes- oder Empfindungs- oder Schoͤpfungskraft ſich auch durch ſeine Geſichtszuͤge, und vornehm- lich durch den Bau ſeines Kopfes auszeichnete. Kein Geſchoͤpf, das beobachten kann, darf ſich ſchaͤmen, beobachtet zu werden. Was Gott geſchaffen hat, darf ſich nicht ſchaͤmen, geſchaffen zu ſeyn — und ſo gebildet zu ſeyn, wie es iſt — alſo, hoff’ ich, werdens die Maͤnner, oder die maͤnnlichen Seelen, die dieß Buch leſen — (und nur fuͤr ſolche, nicht fuͤr Kinder, ſchreib’ ich) nicht unbeſcheiden finden, wenn ich, zur Beſtaͤtigung deſſen, was ich ſo eben geſagt habe, aus dem Haufen einige noch lebende nenne, an denen ſich alle Augenblicke der Beweis ſehen laͤßt. — Und dieß ſey ein neuer Wink zur Beſtaͤtigung der Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles, weil ich wohl gewiß ſeyn kann, daß niemand, der das Gluͤck hat, dieſe Maͤnner zu kennen — mir widerſprechen werde. Man

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/74>, abgerufen am 24.11.2024.