Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
einiger vermischten besondern Einwendungen gegen die Physiognomik.

Man erlaube mir also -- Namen anzuführen. Vater Bodmer, erlaube mir, bey dir
anzufangen.

Wer sieht in Bodmern nicht den naiven, vernunftvollen, attischen Selbstdenker? Dich-
ter? Jünglings Freund? --

Jn Breitingern -- (doch von dem ein besonderes Fragment) nicht den festen, durch-
dringenden, ordnenden, unüberwindlichen, klugen Geschäfftsmann?

Jn Geßnern nicht den schwebenden Schauer und den geschmackvollen Verschönerer der
Natur? den Mann, der lauter Aug' und Geschmack ist? --

Jn Sulzern nicht den gesunden, lichtvollen Denker, gewiß seiner Sache? fest, ohne
Härte? nachgebend, ohne Schwäche?

Jn Mendelssohn -- nicht den Mann, "in keinem Sinne zum Athleten geboren?" --
den lichthellen Verstand voll unbeflecklicher Politur?

Jn Zimmermann das seltenste Gemisch der edelsten Feinheit und der zermalmendsten
Stärke? -- "die tiefste Kenntniß der menschlichen Natur unter das Laubgewand des philosophi-
"schen Satyrs verborgen? -- so viel warmes Herz mit so viel Weisheitsheiterkeit -- so viel
"Laune als Ernst, und Ernst als Laune?" --

Jn Spalding -- den bescheidenen, und dennoch in sich festen, sanften, eleganten, empfind-
samen Denker?

Jn Hallern den wolfischen Geist, und den kernhaften Geschmack?

Jn Roußeau -- den äusserst reizbaren, nervenreichen Redner?

Jn Basedow -- den unverdroßnen, redlichen, thätigen, tiefen Durchforscher? die Leib-
wache der Vernunft?

Jn Lambert -- den allverschlingenden, allumfassenden, in sich grabenden, lichtstralspal-
tenden Ordner und -- Darsteller, aus Licht in Licht -- oder, aus Nacht in Licht?

Und daß ich nicht nur Gelehrte nenne -- Jn Herzogen Carl von Würtemberg den
Mann voll unerschöpflicher Schöpfungs- und Zerstörungskraft? --

Jn Friedrich, dem Könige von Preußen -- nicht den Würker und Vollender deß, was
er will? --

Jch
G 3
einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

Man erlaube mir alſo — Namen anzufuͤhren. Vater Bodmer, erlaube mir, bey dir
anzufangen.

Wer ſieht in Bodmern nicht den naiven, vernunftvollen, attiſchen Selbſtdenker? Dich-
ter? Juͤnglings Freund? —

Jn Breitingern — (doch von dem ein beſonderes Fragment) nicht den feſten, durch-
dringenden, ordnenden, unuͤberwindlichen, klugen Geſchaͤfftsmann?

Jn Geßnern nicht den ſchwebenden Schauer und den geſchmackvollen Verſchoͤnerer der
Natur? den Mann, der lauter Aug’ und Geſchmack iſt? —

Jn Sulzern nicht den geſunden, lichtvollen Denker, gewiß ſeiner Sache? feſt, ohne
Haͤrte? nachgebend, ohne Schwaͤche?

Jn Mendelsſohn — nicht den Mann, „in keinem Sinne zum Athleten geboren?“ —
den lichthellen Verſtand voll unbeflecklicher Politur?

Jn Zimmermann das ſeltenſte Gemiſch der edelſten Feinheit und der zermalmendſten
Staͤrke? — „die tiefſte Kenntniß der menſchlichen Natur unter das Laubgewand des philoſophi-
„ſchen Satyrs verborgen? — ſo viel warmes Herz mit ſo viel Weisheitsheiterkeit — ſo viel
„Laune als Ernſt, und Ernſt als Laune?“ —

Jn Spalding — den beſcheidenen, und dennoch in ſich feſten, ſanften, eleganten, empfind-
ſamen Denker?

Jn Hallern den wolfiſchen Geiſt, und den kernhaften Geſchmack?

Jn Roußeau — den aͤuſſerſt reizbaren, nervenreichen Redner?

Jn Baſedow — den unverdroßnen, redlichen, thaͤtigen, tiefen Durchforſcher? die Leib-
wache der Vernunft?

Jn Lambert — den allverſchlingenden, allumfaſſenden, in ſich grabenden, lichtſtralſpal-
tenden Ordner und — Darſteller, aus Licht in Licht — oder, aus Nacht in Licht?

Und daß ich nicht nur Gelehrte nenne — Jn Herzogen Carl von Wuͤrtemberg den
Mann voll unerſchoͤpflicher Schoͤpfungs- und Zerſtoͤrungskraft? —

Jn Friedrich, dem Koͤnige von Preußen — nicht den Wuͤrker und Vollender deß, was
er will? —

Jch
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <pb facs="#f0075" n="53"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">einiger vermi&#x017F;chten be&#x017F;ondern Einwendungen gegen die Phy&#x017F;iognomik.</hi> </fw><lb/>
            <p>Man erlaube mir al&#x017F;o &#x2014; Namen anzufu&#x0364;hren. Vater <hi rendition="#fr">Bodmer,</hi> erlaube mir, bey dir<lb/>
anzufangen.</p><lb/>
            <p>Wer &#x017F;ieht in <hi rendition="#fr">Bodmern</hi> nicht den naiven, vernunftvollen, atti&#x017F;chen Selb&#x017F;tdenker? Dich-<lb/>
ter? Ju&#x0364;nglings Freund? &#x2014;</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Breitingern</hi> &#x2014; (doch von dem ein be&#x017F;onderes Fragment) nicht den fe&#x017F;ten, durch-<lb/>
dringenden, ordnenden, unu&#x0364;berwindlichen, klugen Ge&#x017F;cha&#x0364;fftsmann?</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Geßnern</hi> nicht den &#x017F;chwebenden Schauer und den ge&#x017F;chmackvollen Ver&#x017F;cho&#x0364;nerer der<lb/>
Natur? den Mann, der lauter Aug&#x2019; und Ge&#x017F;chmack i&#x017F;t? &#x2014;</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Sulzern</hi> nicht den ge&#x017F;unden, lichtvollen Denker, gewiß &#x017F;einer Sache? fe&#x017F;t, ohne<lb/>
Ha&#x0364;rte? nachgebend, ohne Schwa&#x0364;che?</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Mendels&#x017F;ohn</hi> &#x2014; nicht den Mann, &#x201E;in keinem Sinne zum Athleten geboren?&#x201C; &#x2014;<lb/>
den lichthellen Ver&#x017F;tand voll unbeflecklicher Politur?</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Zimmermann</hi> das &#x017F;elten&#x017F;te Gemi&#x017F;ch der edel&#x017F;ten Feinheit und der zermalmend&#x017F;ten<lb/>
Sta&#x0364;rke? &#x2014; &#x201E;die tief&#x017F;te Kenntniß der men&#x017F;chlichen Natur unter das Laubgewand des philo&#x017F;ophi-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chen Satyrs verborgen? &#x2014; &#x017F;o viel warmes Herz mit &#x017F;o viel Weisheitsheiterkeit &#x2014; &#x017F;o viel<lb/>
&#x201E;Laune als Ern&#x017F;t, und Ern&#x017F;t als Laune?&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Spalding</hi> &#x2014; den be&#x017F;cheidenen, und dennoch in &#x017F;ich fe&#x017F;ten, &#x017F;anften, eleganten, empfind-<lb/>
&#x017F;amen Denker?</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Hallern</hi> den wolfi&#x017F;chen Gei&#x017F;t, und den kernhaften Ge&#x017F;chmack?</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Roußeau</hi> &#x2014; den a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t reizbaren, nervenreichen Redner?</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Ba&#x017F;edow</hi> &#x2014; den unverdroßnen, redlichen, tha&#x0364;tigen, tiefen Durchfor&#x017F;cher? die Leib-<lb/>
wache der Vernunft?</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Lambert</hi> &#x2014; den allver&#x017F;chlingenden, allumfa&#x017F;&#x017F;enden, in &#x017F;ich grabenden, licht&#x017F;tral&#x017F;pal-<lb/>
tenden Ordner und &#x2014; Dar&#x017F;teller, aus Licht in Licht &#x2014; oder, aus Nacht in Licht?</p><lb/>
            <p>Und daß ich nicht nur Gelehrte nenne &#x2014; Jn <hi rendition="#fr">Herzogen Carl von Wu&#x0364;rtemberg</hi> den<lb/>
Mann voll uner&#x017F;cho&#x0364;pflicher Scho&#x0364;pfungs- und Zer&#x017F;to&#x0364;rungskraft? &#x2014;</p><lb/>
            <p>Jn <hi rendition="#fr">Friedrich,</hi> dem Ko&#x0364;nige von Preußen &#x2014; nicht den Wu&#x0364;rker und Vollender deß, was<lb/>
er will? &#x2014;</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">G 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0075] einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik. Man erlaube mir alſo — Namen anzufuͤhren. Vater Bodmer, erlaube mir, bey dir anzufangen. Wer ſieht in Bodmern nicht den naiven, vernunftvollen, attiſchen Selbſtdenker? Dich- ter? Juͤnglings Freund? — Jn Breitingern — (doch von dem ein beſonderes Fragment) nicht den feſten, durch- dringenden, ordnenden, unuͤberwindlichen, klugen Geſchaͤfftsmann? Jn Geßnern nicht den ſchwebenden Schauer und den geſchmackvollen Verſchoͤnerer der Natur? den Mann, der lauter Aug’ und Geſchmack iſt? — Jn Sulzern nicht den geſunden, lichtvollen Denker, gewiß ſeiner Sache? feſt, ohne Haͤrte? nachgebend, ohne Schwaͤche? Jn Mendelsſohn — nicht den Mann, „in keinem Sinne zum Athleten geboren?“ — den lichthellen Verſtand voll unbeflecklicher Politur? Jn Zimmermann das ſeltenſte Gemiſch der edelſten Feinheit und der zermalmendſten Staͤrke? — „die tiefſte Kenntniß der menſchlichen Natur unter das Laubgewand des philoſophi- „ſchen Satyrs verborgen? — ſo viel warmes Herz mit ſo viel Weisheitsheiterkeit — ſo viel „Laune als Ernſt, und Ernſt als Laune?“ — Jn Spalding — den beſcheidenen, und dennoch in ſich feſten, ſanften, eleganten, empfind- ſamen Denker? Jn Hallern den wolfiſchen Geiſt, und den kernhaften Geſchmack? Jn Roußeau — den aͤuſſerſt reizbaren, nervenreichen Redner? Jn Baſedow — den unverdroßnen, redlichen, thaͤtigen, tiefen Durchforſcher? die Leib- wache der Vernunft? Jn Lambert — den allverſchlingenden, allumfaſſenden, in ſich grabenden, lichtſtralſpal- tenden Ordner und — Darſteller, aus Licht in Licht — oder, aus Nacht in Licht? Und daß ich nicht nur Gelehrte nenne — Jn Herzogen Carl von Wuͤrtemberg den Mann voll unerſchoͤpflicher Schoͤpfungs- und Zerſtoͤrungskraft? — Jn Friedrich, dem Koͤnige von Preußen — nicht den Wuͤrker und Vollender deß, was er will? — Jch G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/75
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/75>, abgerufen am 24.11.2024.