Jch weiß nicht das mindeste von dem Manne; nicht einmal, ob der Name richtig ist; nichts von seinem Kunstcharakter, aber sein Gesicht frappirte mich. So, wollt' ich fast gut stehen, kann kein Franzose, kein Deutscher, so nur ein Engländer aussehen. Der äußere Umriß von der Stirne herab bis zum Kinn; die Form der Stirne; Augen, Augenbraunen und der Mund sind so engländisch, wie möglich. Gewaltsamkeit und Größe ist nicht in diesem Ge- sichte. Nicht Erhabenheit weder im Munde, noch in der Nase, noch in den Augen. Mehr sanfte, kalte Güte und ein sehendes Gefühl .. Nicht Feuer der Stärke, nicht Sehnen idealisirender Ver- liebtheit -- ist in diesen Augen. Ruhige, treue, edle, geschmackvolle Darstellung des richtig gesehenen Gegenstandes! Jedoch ohn' ängstliche Pünktlichkeit. Die Stirn ist, so wie sich aus dieser Zeichnung mehr vermuthen, als sehen läßt, besonders die Augenbraunen mit gerechnet, äußerst empfänglich schneller, auch der leichtesten Eindrücke, elastischen und muthvollen Cha- rakters.
Nachstehende Vignette -- (Copie von Copie) eines Porträtmahlers, beynahe ganz nach meinem Herzen. Der Mann in der Natur läßt sich nicht so gut ansehen, als er euch ansieht.
Auf seiner Stirne sammlet sich Unruhe, euer Gesicht zu erfassen, und das schnell und muthig darzustellen, was das Auge so mächtig durchschaut.
Stirn
VII. Abſchnitt. IV. Fragment.
Viertes Fragment. Johann Wooton.
Des III. Ban- des XLVI. Tafel.
Jch weiß nicht das mindeſte von dem Manne; nicht einmal, ob der Name richtig iſt; nichts von ſeinem Kunſtcharakter, aber ſein Geſicht frappirte mich. So, wollt’ ich faſt gut ſtehen, kann kein Franzoſe, kein Deutſcher, ſo nur ein Englaͤnder ausſehen. Der aͤußere Umriß von der Stirne herab bis zum Kinn; die Form der Stirne; Augen, Augenbraunen und der Mund ſind ſo englaͤndiſch, wie moͤglich. Gewaltſamkeit und Groͤße iſt nicht in dieſem Ge- ſichte. Nicht Erhabenheit weder im Munde, noch in der Naſe, noch in den Augen. Mehr ſanfte, kalte Guͤte und ein ſehendes Gefuͤhl .. Nicht Feuer der Staͤrke, nicht Sehnen idealiſirender Ver- liebtheit — iſt in dieſen Augen. Ruhige, treue, edle, geſchmackvolle Darſtellung des richtig geſehenen Gegenſtandes! Jedoch ohn’ aͤngſtliche Puͤnktlichkeit. Die Stirn iſt, ſo wie ſich aus dieſer Zeichnung mehr vermuthen, als ſehen laͤßt, beſonders die Augenbraunen mit gerechnet, aͤußerſt empfaͤnglich ſchneller, auch der leichteſten Eindruͤcke, elaſtiſchen und muthvollen Cha- rakters.
Nachſtehende Vignette — (Copie von Copie) eines Portraͤtmahlers, beynahe ganz nach meinem Herzen. Der Mann in der Natur laͤßt ſich nicht ſo gut anſehen, als er euch anſieht.
Auf ſeiner Stirne ſammlet ſich Unruhe, euer Geſicht zu erfaſſen, und das ſchnell und muthig darzuſtellen, was das Auge ſo maͤchtig durchſchaut.
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VII. Abſchnitt. IV. Fragment.
Viertes Fragment.
Johann Wooton.
Jch weiß nicht das mindeſte von dem Manne; nicht einmal, ob der Name richtig
iſt; nichts von ſeinem Kunſtcharakter, aber ſein Geſicht frappirte mich. So, wollt’ ich
faſt gut ſtehen, kann kein Franzoſe, kein Deutſcher, ſo nur ein Englaͤnder ausſehen. Der aͤußere
Umriß von der Stirne herab bis zum Kinn; die Form der Stirne; Augen, Augenbraunen und
der Mund ſind ſo englaͤndiſch, wie moͤglich. Gewaltſamkeit und Groͤße iſt nicht in dieſem Ge-
ſichte. Nicht Erhabenheit weder im Munde, noch in der Naſe, noch in den Augen. Mehr ſanfte,
kalte Guͤte und ein ſehendes Gefuͤhl .. Nicht Feuer der Staͤrke, nicht Sehnen idealiſirender Ver-
liebtheit — iſt in dieſen Augen. Ruhige, treue, edle, geſchmackvolle Darſtellung des richtig
geſehenen Gegenſtandes! Jedoch ohn’ aͤngſtliche Puͤnktlichkeit. Die Stirn iſt, ſo wie ſich aus
dieſer Zeichnung mehr vermuthen, als ſehen laͤßt, beſonders die Augenbraunen mit gerechnet,
aͤußerſt empfaͤnglich ſchneller, auch der leichteſten Eindruͤcke, elaſtiſchen und muthvollen Cha-
rakters.
Nachſtehende Vignette — (Copie von Copie) eines Portraͤtmahlers, beynahe ganz nach
meinem Herzen. Der Mann in der Natur laͤßt ſich nicht ſo gut anſehen, als er euch
anſieht.
Auf ſeiner Stirne ſammlet ſich Unruhe, euer Geſicht zu erfaſſen, und das ſchnell und
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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