Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
VII. Abschnitt. VI. Fragment.
Sechstes Fragment.
West. Geschichtsmahler.
Des III. Ban-
des L. Tafel.

Eine deutsche Copie eines englischen nicht ganz ähnlichen Porträts. Wir kennen den
Geist und die Kunst seiner Werke. Viel Ueberlegung -- viel Seele, viel Fleiß, viel Wahrheit --
ob Freyheit, ob Lebendigkeit, ob Feuer und Drang, auch ob -- bey aller unbeschreiblichen Aus-
arbeitung -- Richtigkeit genug? -- zweifl' ich.

Dieß Gesicht -- in meinem Sinne -- genau, wie seine Werke. Edel -- wie sie! Rein,
ruhig, wohlgeordnet, anziehend -- wie sie! Aber so wenig schnell entworfen, so wenig vollströ-
mend -- überfließend -- brausend, als sie -- so unter Poußin, wie Poußin unter Raphael --
doch fleißiger, und, wenn man will, studierter und gedachter, als beyder. Sanftheit, Reinheit,
Adel, stille Empfindung, Geschmack, Weisheit -- sind auffallender Charakter dieses Gesichtes.
Die Stirn aber ist sicherlich keines Genies von der ersten Größe -- dieß wird sich im nachfolgen-
den Profil noch deutlicher zeigen. Würklich hat die Umrißlinie der Stirn im Zusammenhang und
Verhältniß zum übrigen -- abermals vielleicht bloß englischen Umrisse -- was, ich mag nicht sa-
gen, fatales, aber -- gemeines, unerhebliches, oder wie man's nennen will. Auf der linken Au-
genbraune ruhet sehr viel Verstand, und im Auge drunter viel hinschauende Weisheit. Die Nase
zeigt wenig Kühnheit, desto mehr Geschmack. Aber in dem Mund ist viel stille Seele. Auch das
Haar harmonirt trefflich mit Gesicht und Charakter. Englisch ist übrigens dieß ganze Gesichtgen.
Nicht mit deutscher Pflugschaar durchpflügt und vermannichfaltigt. Umriß, Augenbraunen und
Lippen werdet ihr selten von dieser Art, als bey der englischen Nation antreffen.

Und
VII. Abſchnitt. VI. Fragment.
Sechstes Fragment.
Weſt. Geſchichtsmahler.
Des III. Ban-
des L. Tafel.

Eine deutſche Copie eines engliſchen nicht ganz aͤhnlichen Portraͤts. Wir kennen den
Geiſt und die Kunſt ſeiner Werke. Viel Ueberlegung — viel Seele, viel Fleiß, viel Wahrheit —
ob Freyheit, ob Lebendigkeit, ob Feuer und Drang, auch ob — bey aller unbeſchreiblichen Aus-
arbeitung — Richtigkeit genug? — zweifl’ ich.

Dieß Geſicht — in meinem Sinne — genau, wie ſeine Werke. Edel — wie ſie! Rein,
ruhig, wohlgeordnet, anziehend — wie ſie! Aber ſo wenig ſchnell entworfen, ſo wenig vollſtroͤ-
mend — uͤberfließend — brauſend, als ſie — ſo unter Poußin, wie Poußin unter Raphael
doch fleißiger, und, wenn man will, ſtudierter und gedachter, als beyder. Sanftheit, Reinheit,
Adel, ſtille Empfindung, Geſchmack, Weisheit — ſind auffallender Charakter dieſes Geſichtes.
Die Stirn aber iſt ſicherlich keines Genies von der erſten Groͤße — dieß wird ſich im nachfolgen-
den Profil noch deutlicher zeigen. Wuͤrklich hat die Umrißlinie der Stirn im Zuſammenhang und
Verhaͤltniß zum uͤbrigen — abermals vielleicht bloß engliſchen Umriſſe — was, ich mag nicht ſa-
gen, fatales, aber — gemeines, unerhebliches, oder wie man’s nennen will. Auf der linken Au-
genbraune ruhet ſehr viel Verſtand, und im Auge drunter viel hinſchauende Weisheit. Die Naſe
zeigt wenig Kuͤhnheit, deſto mehr Geſchmack. Aber in dem Mund iſt viel ſtille Seele. Auch das
Haar harmonirt trefflich mit Geſicht und Charakter. Engliſch iſt uͤbrigens dieß ganze Geſichtgen.
Nicht mit deutſcher Pflugſchaar durchpfluͤgt und vermannichfaltigt. Umriß, Augenbraunen und
Lippen werdet ihr ſelten von dieſer Art, als bey der engliſchen Nation antreffen.

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0292" n="178"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">VI.</hi> Fragment.</hi> </hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Sechstes Fragment.</hi> </head><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">We&#x017F;t. Ge&#x017F;chichtsmahler.</hi> </hi> </head><lb/>
            <note place="left">Des <hi rendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">L.</hi> Tafel.</note>
            <p><hi rendition="#in">E</hi>ine deut&#x017F;che Copie eines engli&#x017F;chen nicht ganz a&#x0364;hnlichen Portra&#x0364;ts. Wir kennen den<lb/>
Gei&#x017F;t und die Kun&#x017F;t &#x017F;einer Werke. Viel Ueberlegung &#x2014; viel Seele, viel Fleiß, viel Wahrheit &#x2014;<lb/>
ob Freyheit, ob Lebendigkeit, ob Feuer und Drang, auch ob &#x2014; bey aller unbe&#x017F;chreiblichen Aus-<lb/>
arbeitung &#x2014; Richtigkeit genug? &#x2014; zweifl&#x2019; ich.</p><lb/>
            <p>Dieß Ge&#x017F;icht &#x2014; in meinem Sinne &#x2014; genau, wie &#x017F;eine Werke. Edel &#x2014; wie &#x017F;ie! Rein,<lb/>
ruhig, wohlgeordnet, anziehend &#x2014; wie &#x017F;ie! Aber &#x017F;o wenig &#x017F;chnell entworfen, &#x017F;o wenig voll&#x017F;tro&#x0364;-<lb/>
mend &#x2014; u&#x0364;berfließend &#x2014; brau&#x017F;end, als &#x017F;ie &#x2014; &#x017F;o unter <hi rendition="#fr">Poußin,</hi> wie <hi rendition="#fr">Poußin</hi> unter <hi rendition="#fr">Raphael</hi> &#x2014;<lb/>
doch fleißiger, und, wenn man will, &#x017F;tudierter und gedachter, als beyder. Sanftheit, Reinheit,<lb/>
Adel, &#x017F;tille Empfindung, Ge&#x017F;chmack, Weisheit &#x2014; &#x017F;ind auffallender Charakter die&#x017F;es Ge&#x017F;ichtes.<lb/>
Die Stirn aber i&#x017F;t &#x017F;icherlich keines Genies von der er&#x017F;ten Gro&#x0364;ße &#x2014; dieß wird &#x017F;ich im nachfolgen-<lb/>
den Profil noch deutlicher zeigen. Wu&#x0364;rklich hat die Umrißlinie der Stirn im Zu&#x017F;ammenhang und<lb/>
Verha&#x0364;ltniß zum u&#x0364;brigen &#x2014; abermals vielleicht bloß engli&#x017F;chen Umri&#x017F;&#x017F;e &#x2014; was, ich mag nicht &#x017F;a-<lb/>
gen, fatales, aber &#x2014; gemeines, unerhebliches, oder wie man&#x2019;s nennen will. Auf der linken Au-<lb/>
genbraune ruhet &#x017F;ehr viel Ver&#x017F;tand, und im Auge drunter viel hin&#x017F;chauende Weisheit. Die Na&#x017F;e<lb/>
zeigt wenig Ku&#x0364;hnheit, de&#x017F;to mehr Ge&#x017F;chmack. Aber in dem Mund i&#x017F;t viel &#x017F;tille Seele. Auch das<lb/>
Haar harmonirt trefflich mit Ge&#x017F;icht und Charakter. Engli&#x017F;ch i&#x017F;t u&#x0364;brigens dieß ganze Ge&#x017F;ichtgen.<lb/>
Nicht mit deut&#x017F;cher Pflug&#x017F;chaar durchpflu&#x0364;gt und vermannichfaltigt. Umriß, Augenbraunen und<lb/>
Lippen werdet ihr &#x017F;elten von die&#x017F;er Art, als bey der engli&#x017F;chen Nation antreffen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0292] VII. Abſchnitt. VI. Fragment. Sechstes Fragment. Weſt. Geſchichtsmahler. Eine deutſche Copie eines engliſchen nicht ganz aͤhnlichen Portraͤts. Wir kennen den Geiſt und die Kunſt ſeiner Werke. Viel Ueberlegung — viel Seele, viel Fleiß, viel Wahrheit — ob Freyheit, ob Lebendigkeit, ob Feuer und Drang, auch ob — bey aller unbeſchreiblichen Aus- arbeitung — Richtigkeit genug? — zweifl’ ich. Dieß Geſicht — in meinem Sinne — genau, wie ſeine Werke. Edel — wie ſie! Rein, ruhig, wohlgeordnet, anziehend — wie ſie! Aber ſo wenig ſchnell entworfen, ſo wenig vollſtroͤ- mend — uͤberfließend — brauſend, als ſie — ſo unter Poußin, wie Poußin unter Raphael — doch fleißiger, und, wenn man will, ſtudierter und gedachter, als beyder. Sanftheit, Reinheit, Adel, ſtille Empfindung, Geſchmack, Weisheit — ſind auffallender Charakter dieſes Geſichtes. Die Stirn aber iſt ſicherlich keines Genies von der erſten Groͤße — dieß wird ſich im nachfolgen- den Profil noch deutlicher zeigen. Wuͤrklich hat die Umrißlinie der Stirn im Zuſammenhang und Verhaͤltniß zum uͤbrigen — abermals vielleicht bloß engliſchen Umriſſe — was, ich mag nicht ſa- gen, fatales, aber — gemeines, unerhebliches, oder wie man’s nennen will. Auf der linken Au- genbraune ruhet ſehr viel Verſtand, und im Auge drunter viel hinſchauende Weisheit. Die Naſe zeigt wenig Kuͤhnheit, deſto mehr Geſchmack. Aber in dem Mund iſt viel ſtille Seele. Auch das Haar harmonirt trefflich mit Geſicht und Charakter. Engliſch iſt uͤbrigens dieß ganze Geſichtgen. Nicht mit deutſcher Pflugſchaar durchpfluͤgt und vermannichfaltigt. Umriß, Augenbraunen und Lippen werdet ihr ſelten von dieſer Art, als bey der engliſchen Nation antreffen. Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/292
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/292>, abgerufen am 22.11.2024.