Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.III. Fragment. verstanden oder mißverstanden werde -- wenn wir nicht heterogen gebildet sind, kein sichtbares,spürbares Mißverhältniß zwischen unsern Bildungen und Kräften ist -- so nähern wir uns, wün- schen nicht bloß aus vorübergehenden, gekünstelten, conventionellen Ursachen, uns einander zu nä- hern. Alle Freundschaften, die sich bloß auf conventionelle Bedürfnisse gründen -- (im Kleinen, was die Freundschaften großer Staaten, die sich verbünden) -- dauren nur so lange, als das con- ventionelle Bedürfniß -- Nicht so die Freundschaft, die sich auf physiognomische Gleichartigkeit gründet. Die bleibet so lange, so lange die Gesichter bleiben. Daher hilft zur eigentlichen wahren Freundschaft, zur persönlichen unmittelbaren Herzens- Soll und darf denn niemand den andern um seine Freundschaft bitten? oder ihm seine Wie die Apostel, nur nach ihrer Gabe, die Geister zu prüfen, Geistesgaben austheilten, Was
III. Fragment. verſtanden oder mißverſtanden werde — wenn wir nicht heterogen gebildet ſind, kein ſichtbares,ſpuͤrbares Mißverhaͤltniß zwiſchen unſern Bildungen und Kraͤften iſt — ſo naͤhern wir uns, wuͤn- ſchen nicht bloß aus voruͤbergehenden, gekuͤnſtelten, conventionellen Urſachen, uns einander zu naͤ- hern. Alle Freundſchaften, die ſich bloß auf conventionelle Beduͤrfniſſe gruͤnden — (im Kleinen, was die Freundſchaften großer Staaten, die ſich verbuͤnden) — dauren nur ſo lange, als das con- ventionelle Beduͤrfniß — Nicht ſo die Freundſchaft, die ſich auf phyſiognomiſche Gleichartigkeit gruͤndet. Die bleibet ſo lange, ſo lange die Geſichter bleiben. Daher hilft zur eigentlichen wahren Freundſchaft, zur perſoͤnlichen unmittelbaren Herzens- Soll und darf denn niemand den andern um ſeine Freundſchaft bitten? oder ihm ſeine Wie die Apoſtel, nur nach ihrer Gabe, die Geiſter zu pruͤfen, Geiſtesgaben austheilten, Was
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0048" n="32"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">III.</hi> Fragment.</hi></hi></fw><lb/> verſtanden oder mißverſtanden werde — wenn wir nicht heterogen gebildet ſind, kein ſichtbares,<lb/> ſpuͤrbares Mißverhaͤltniß zwiſchen unſern Bildungen und Kraͤften iſt — ſo naͤhern wir uns, wuͤn-<lb/> ſchen nicht bloß aus voruͤbergehenden, gekuͤnſtelten, conventionellen Urſachen, uns einander zu naͤ-<lb/> hern. Alle Freundſchaften, die ſich bloß auf conventionelle Beduͤrfniſſe gruͤnden — (im Kleinen,<lb/> was die Freundſchaften großer Staaten, die ſich verbuͤnden) — dauren nur ſo lange, als das con-<lb/> ventionelle Beduͤrfniß — Nicht ſo die Freundſchaft, die ſich auf phyſiognomiſche Gleichartigkeit<lb/> gruͤndet. Die bleibet ſo lange, ſo lange die Geſichter bleiben.</p><lb/> <p>Daher hilft zur eigentlichen wahren Freundſchaft, zur perſoͤnlichen unmittelbaren Herzens-<lb/> freundſchaft kein Bitten und Flehen; und es iſt immer ſicherlich ein Zeichen, daß ein Menſch ent-<lb/> weder den wahren Sinn des Wortes <hi rendition="#fr">Freundſchaft</hi> oder die <hi rendition="#fr">menſchliche Natur</hi> nicht kennt, der<lb/> einen andern um ſeine <hi rendition="#fr">Freundſchaft bittet;</hi> um Liebe kann ich bitten; aber nicht um Freund-<lb/> ſchaft! Liebe bin ich Menſch der Menſchheit ſchuldig, Freundſchaft laͤßt ſich nur dem mitfuͤhlenden<lb/> geben. Einen um Freundſchaft bitten, heißt eben ſo viel, als den andern bitten — „leihe mir<lb/> „deine Naſe!“ — oder — „erweiſe mir die Gefaͤlligkeit, andere Augen zu haben, als du haſt!“</p><lb/> <p>Soll und darf denn niemand den andern um ſeine Freundſchaft bitten? oder ihm ſeine<lb/> Freundſchaft antragen? — Niemand kann’s mit Weisheit und Wahrheit thun, als der Phyſiogno-<lb/> miſt. Nur Er kann um Freundſchaft bitten und Freundſchaft antragen. Wohl verſtanden, wir<lb/> ſprechen nicht von der allgemeinen Menſchenliebe, Bruderliebe, Buͤrgerliebe — die ſich auf die all-<lb/> gemeine Menſchennatur, unſere haͤuslichen und buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe gruͤndet, wir ſprechen von<lb/><hi rendition="#fr">Freundſchaft.</hi> Wohlverſtanden ferner; wir ſprechen nicht von uns ſelber, oder dieſem und jenem<lb/> beſondern Phyſiognomiſten — wir ſprechen vom wohlgeuͤbten und gepruͤften phyſiognomiſchen Ge-<lb/> nie. Nur das, oder bisweilen auch reines zartes phyſiognomiſches Gefuͤhl, kann allenfalls Freund-<lb/> ſchaft verlangen und geben, kann ſagen: „wir harmoniren“ — kann den andern auf dieſe Harmo-<lb/> nie aufmerkſam machen, ihm ſie aufſchließen — <hi rendition="#fr">wie der Apoſtel durch Auflegung der Haͤnde<lb/> Geiſtesgaben,</hi> wie er Glauben fordern, uud geben, oder erwecken konnte. Ein Gedanke, der<lb/> nach einiger Entwickelung werth zu ſeyn ſcheint.</p><lb/> <p>Wie die Apoſtel, nur nach ihrer Gabe, die Geiſter zu pruͤfen, Geiſtesgaben austheilten,<lb/> ſo der Phyſiognomiſt, in ſeiner Entfernung, Freundſchaft und Achtung!</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [32/0048]
III. Fragment.
verſtanden oder mißverſtanden werde — wenn wir nicht heterogen gebildet ſind, kein ſichtbares,
ſpuͤrbares Mißverhaͤltniß zwiſchen unſern Bildungen und Kraͤften iſt — ſo naͤhern wir uns, wuͤn-
ſchen nicht bloß aus voruͤbergehenden, gekuͤnſtelten, conventionellen Urſachen, uns einander zu naͤ-
hern. Alle Freundſchaften, die ſich bloß auf conventionelle Beduͤrfniſſe gruͤnden — (im Kleinen,
was die Freundſchaften großer Staaten, die ſich verbuͤnden) — dauren nur ſo lange, als das con-
ventionelle Beduͤrfniß — Nicht ſo die Freundſchaft, die ſich auf phyſiognomiſche Gleichartigkeit
gruͤndet. Die bleibet ſo lange, ſo lange die Geſichter bleiben.
Daher hilft zur eigentlichen wahren Freundſchaft, zur perſoͤnlichen unmittelbaren Herzens-
freundſchaft kein Bitten und Flehen; und es iſt immer ſicherlich ein Zeichen, daß ein Menſch ent-
weder den wahren Sinn des Wortes Freundſchaft oder die menſchliche Natur nicht kennt, der
einen andern um ſeine Freundſchaft bittet; um Liebe kann ich bitten; aber nicht um Freund-
ſchaft! Liebe bin ich Menſch der Menſchheit ſchuldig, Freundſchaft laͤßt ſich nur dem mitfuͤhlenden
geben. Einen um Freundſchaft bitten, heißt eben ſo viel, als den andern bitten — „leihe mir
„deine Naſe!“ — oder — „erweiſe mir die Gefaͤlligkeit, andere Augen zu haben, als du haſt!“
Soll und darf denn niemand den andern um ſeine Freundſchaft bitten? oder ihm ſeine
Freundſchaft antragen? — Niemand kann’s mit Weisheit und Wahrheit thun, als der Phyſiogno-
miſt. Nur Er kann um Freundſchaft bitten und Freundſchaft antragen. Wohl verſtanden, wir
ſprechen nicht von der allgemeinen Menſchenliebe, Bruderliebe, Buͤrgerliebe — die ſich auf die all-
gemeine Menſchennatur, unſere haͤuslichen und buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe gruͤndet, wir ſprechen von
Freundſchaft. Wohlverſtanden ferner; wir ſprechen nicht von uns ſelber, oder dieſem und jenem
beſondern Phyſiognomiſten — wir ſprechen vom wohlgeuͤbten und gepruͤften phyſiognomiſchen Ge-
nie. Nur das, oder bisweilen auch reines zartes phyſiognomiſches Gefuͤhl, kann allenfalls Freund-
ſchaft verlangen und geben, kann ſagen: „wir harmoniren“ — kann den andern auf dieſe Harmo-
nie aufmerkſam machen, ihm ſie aufſchließen — wie der Apoſtel durch Auflegung der Haͤnde
Geiſtesgaben, wie er Glauben fordern, uud geben, oder erwecken konnte. Ein Gedanke, der
nach einiger Entwickelung werth zu ſeyn ſcheint.
Wie die Apoſtel, nur nach ihrer Gabe, die Geiſter zu pruͤfen, Geiſtesgaben austheilten,
ſo der Phyſiognomiſt, in ſeiner Entfernung, Freundſchaft und Achtung!
Was
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |