Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Physiognomik, Pfeiler der Freundschaft und Achtung. Kraft zu würken flößt Achtung; Weisheit zu würken, Hochachtung; Stärke zu Was würkt also Freundschaft? Gleichgesinntheit? Nicht allemal! nicht durchaus! Was Wo sie rein physiognomisch ist, ganz unwissend aller andern Verhältnisse, als der Verhältnisse Jch bin langsam, immer langsam, einen Menschen um seine Freundschaft zu bitten -- O Anschaun, Anschaun der Menschheit! wie verschlingst du auf einmal alle unwahre, halb- Gesicht, E 2
Phyſiognomik, Pfeiler der Freundſchaft und Achtung. Kraft zu wuͤrken floͤßt Achtung; Weisheit zu wuͤrken, Hochachtung; Staͤrke zu Was wuͤrkt alſo Freundſchaft? Gleichgeſinntheit? Nicht allemal! nicht durchaus! Was Wo ſie rein phyſiognomiſch iſt, ganz unwiſſend aller andern Verhaͤltniſſe, als der Verhaͤltniſſe Jch bin langſam, immer langſam, einen Menſchen um ſeine Freundſchaft zu bitten — O Anſchaun, Anſchaun der Menſchheit! wie verſchlingſt du auf einmal alle unwahre, halb- Geſicht, E 2
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Phyſiognomik, Pfeiler der Freundſchaft und Achtung.
Kraft zu wuͤrken floͤßt Achtung; Weisheit zu wuͤrken, Hochachtung; Staͤrke zu
leiden, Hochachtung mit Mitleiden — Begierde zu geben und Freude zu machen —
Liebe — ein — und alles dieſes, naͤmlich Kraft und Weisheit, und Staͤrke und Wohlwollen
haben offenbar ihre untruͤglichen Kennzeichen — Alſo auch Freundſchaftlichkeit, die ſich auf ein
beſtimmtes Maaß und Verhaͤltniß aller dieſer Dinge gegen mich — gruͤndet!
Was wuͤrkt alſo Freundſchaft? Gleichgeſinntheit? Nicht allemal! nicht durchaus! Was
dann? — Verhaͤltniß meiner Beſitzthuͤmer zu den Beduͤrfniſſen — meiner Beduͤrfniſſe zu den Be-
ſitzthuͤmern des andern — Je geiſtiger, innwohnender, je tiefer gewurzelt in meiner und des an-
dern Natur dieſe Beſitzthuͤmer und dieſe Beduͤrfniſſe ſind — deſto inniger, feſter, unzerſtoͤrbarer,
phyſiognomiſcher die Freundſchaft.
Wo ſie rein phyſiognomiſch iſt, ganz unwiſſend aller andern Verhaͤltniſſe, als der Verhaͤltniſſe
der Geſichtszuͤge, und der Geſichtsform — da iſt ſie ſo unzertrennlich wie die Vereinigung der Glie-
der Eines Leibes — das iſt, nur zertrennbar durch Tod und aͤußere fremde Gewaltthaͤtigkeit.
Jch bin langſam, immer langſam, einen Menſchen um ſeine Freundſchaft zu bitten —
oder auch ihn meine Freundſchaft nehmen zu laſſen, oder ſie ihm anzubieten, aber ich glaube, wenn
ich ſie bloß aus reinem phyſiognomiſchen Gefuͤhle — oder Beobachtung unſerer phyſiognomiſchen
Verhaͤltniſſe nehmen laſſe, oder anbiete, oder weſſen Freundſchaft ich um deßwillen ſuche — —
Himmel und Erde werden eher ſich mit einander zerſtoßen, als eine ſolche Freundſchaft. Daher es
nunmehr einer meiner heiligſten Grundſaͤtze iſt — „Mit keinem Menſchen, wie menſchlich oder uͤber-
„menſchlich er auch heißen, wie beruͤhmt immer ſeine Tugend und wie ſchimmernd ſeine Religion ſeyn
„moͤchte, Freundſchaft zu machen, (im hohen reinſten Sinne dieſes Wortes) bis ich ihn — oder
„zuverlaͤßig — aͤhnliche Portraͤte und Silhouetten von ihm geſehen — und vorher, auch keinem,
„und wenn gleich die ſchlimmſten Dinge von ihm mit der groͤßten Zuverſicht erzaͤhlt wuͤrden, meine
„Freundſchaft ſchlechterdings zu verſchließen.“
O Anſchaun, Anſchaun der Menſchheit! wie verſchlingſt du auf einmal alle unwahre, halb-
wahre, ſchiefe Urtheile uͤber einen guten oder boͤſen Menſchen! — Der beſte Menſch kann aus Ue-
bereilung eine laſterhafte That thun — ſo gar einer ſchlimmen Leidenſchaft eine Zeitlang nachhaͤn-
gen — der ſchlimmſte Menſch — eine gute Handlung allenfalls mit oder nachmachen. Aber ſein
Geſicht,
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