Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.Beylage B. Fünf Schädel nach Vesalius. Des IV Ban-des X Tafel. Fünf Schädel nach Vesalius. a) Jst nach ihm die einzige natürliche *) Schädelform, die eine ablange Sphä- Jch möchte nicht sagen, die einzige natürliche, zumal sich noch mehrere von den Von dem Schädel c sagt Vesalius: "Die erste unnatürliche Schädelform, wo die vor- b. "Zweyte unnatürliche Schädelform, wo die vordere Herausragung verdorben ist." d. "Die dritte nicht natürliche Hauptform, wo die vordere und hintere Hervorragung e. "Vierte unnatürliche Gesichtsform, wo die beyden Hervorragungen auf die Seiten Es Mannes Bild zu sehen! Kann's eine menschlichere und göttlichere Freude geben, als ein edles Menschengesicht zu verstehen? *) [Spaltenumbruch]
Caspar Bauhinus hat in seinem Theatrum anatomicum diese fünf Schädelarten auch zeichnen las- sen. Aber die Form, die er für die vollkommenste giebt, ist, vermuthlich durch Ungeschicklichkeit des Zeichners, so unnatürlich und unvollkommen, als es immer die vier andern seyn mögen. Denn sie ist oben auf dem Scheitel nicht nur ganz flach, sondern die an sich schon [Spaltenumbruch] unnatürliche Fläche wird noch unnatürlicher durch eine kleine Vertiefung. Anderer Unvollkommenheiten nicht zu gedenken. -- Ueberhaupt bemerke ich, daß die größ- ten Anatomisten und Zeichner für die so unendlich auf- fallende, und unendlich wichtige Verschiedenheit der Schädel wenig Sinn hatten. **) "Verum Galenus alibi hanc figuram excogita-
"ri quidem, non autem in rerum natura consistere pos- "se affirmat; quamvis interim Venetiis puer multis "partibus deformis, et admodum amens, hac figura hodie Beylage B. Fuͤnf Schaͤdel nach Veſalius. Des IV Ban-des X Tafel. Fuͤnf Schaͤdel nach Veſalius. a) Jſt nach ihm die einzige natuͤrliche *) Schaͤdelform, die eine ablange Sphaͤ- Jch moͤchte nicht ſagen, die einzige natuͤrliche, zumal ſich noch mehrere von den Von dem Schaͤdel c ſagt Veſalius: „Die erſte unnatuͤrliche Schaͤdelform, wo die vor- b. „Zweyte unnatuͤrliche Schaͤdelform, wo die vordere Herausragung verdorben iſt.“ d. „Die dritte nicht natuͤrliche Hauptform, wo die vordere und hintere Hervorragung e. „Vierte unnatuͤrliche Geſichtsform, wo die beyden Hervorragungen auf die Seiten Es Mannes Bild zu ſehen! Kann’s eine menſchlichere und goͤttlichere Freude geben, als ein edles Menſchengeſicht zu verſtehen? *) [Spaltenumbruch]
Caſpar Bauhinus hat in ſeinem Theatrum anatomicum dieſe fuͤnf Schaͤdelarten auch zeichnen laſ- ſen. Aber die Form, die er fuͤr die vollkommenſte giebt, iſt, vermuthlich durch Ungeſchicklichkeit des Zeichners, ſo unnatuͤrlich und unvollkommen, als es immer die vier andern ſeyn moͤgen. Denn ſie iſt oben auf dem Scheitel nicht nur ganz flach, ſondern die an ſich ſchon [Spaltenumbruch] unnatuͤrliche Flaͤche wird noch unnatuͤrlicher durch eine kleine Vertiefung. Anderer Unvollkommenheiten nicht zu gedenken. — Ueberhaupt bemerke ich, daß die groͤß- ten Anatomiſten und Zeichner fuͤr die ſo unendlich auf- fallende, und unendlich wichtige Verſchiedenheit der Schaͤdel wenig Sinn hatten. **) „Verum Galenus alibi hanc figuram excogita-
„ri quidem, non autem in rerum natura conſiſtere poſ- „ſe affirmat; quamvis interim Venetiis puer multis „partibus deformis, et admodum amens, hac figura hodie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0283" n="247"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Beylage <hi rendition="#aq">B.</hi> Fuͤnf Schaͤdel nach Veſalius.</hi> </fw><lb/> <note place="left">Des <hi rendition="#aq">IV</hi> Ban-<lb/> des <hi rendition="#aq">X</hi> Tafel.<lb/> Fuͤnf Schaͤdel<lb/> nach Veſalius.</note> <p><hi rendition="#aq">a)</hi> Jſt nach ihm die <hi rendition="#fr">einzige natuͤrliche</hi> <note place="foot" n="*)"><cb/> Caſpar <hi rendition="#fr">Bauhinus</hi> hat in ſeinem <hi rendition="#aq">Theatrum<lb/> anatomicum</hi> dieſe fuͤnf Schaͤdelarten auch zeichnen laſ-<lb/> ſen. Aber die Form, die er fuͤr die vollkommenſte giebt,<lb/> iſt, vermuthlich durch Ungeſchicklichkeit des Zeichners,<lb/> ſo unnatuͤrlich und unvollkommen, als es immer die<lb/> vier andern ſeyn moͤgen. Denn ſie iſt oben auf dem<lb/> Scheitel nicht nur ganz flach, ſondern die an ſich ſchon<lb/><cb/> unnatuͤrliche Flaͤche wird noch unnatuͤrlicher durch eine<lb/> kleine Vertiefung. Anderer Unvollkommenheiten nicht<lb/> zu gedenken. — Ueberhaupt bemerke ich, daß die groͤß-<lb/> ten Anatomiſten und Zeichner fuͤr die ſo unendlich auf-<lb/> fallende, und unendlich wichtige Verſchiedenheit der<lb/> Schaͤdel wenig Sinn hatten.</note> Schaͤdelform, die eine ablange Sphaͤ-<lb/> re vorſtellt, auf beyden Seiten zugedruͤckt, und vornen und hinten vorſtehend.</p><lb/> <p>Jch moͤchte nicht ſagen, die <hi rendition="#fr">einzige natuͤrliche,</hi> zumal ſich noch mehrere von den<lb/> wohlgebildetſten Menſchen zeichnen ließen, deren Umriſſe <hi rendition="#fr">ſchoͤner</hi> und <hi rendition="#fr">verhaͤltnißmaͤßiger</hi> und viel<lb/><hi rendition="#fr">verſtaͤndiger</hi> ſind, als der gegenwaͤrtige. Wenn z. E. die Stirn oben ein wenig mehr zuruͤckſaͤnke;<lb/> oben der Schaͤdel um etwas erhoͤhter und gewoͤlbter waͤre; hinten ebenfalls — ſo waͤr’ er ſchon viel<lb/> vollkommner. Auch das Stirnbein iſt gegen die Naſe zu theils zu ſtumpf, theils zu ſcharf. Stumpf-<lb/> heit in 1. laͤßt die ſcharfe Vertiefung 2. gewiß nicht zu.</p><lb/> <p>Von dem Schaͤdel <hi rendition="#aq">c</hi> ſagt <hi rendition="#fr">Veſalius:</hi> „Die <hi rendition="#fr">erſte</hi> unnatuͤrliche Schaͤdelform, wo die vor-<lb/> „dere Herauswoͤlbung mangelt.“ Der ſtumpfrunde Umriß des Stirnbeins macht in der That die-<lb/> ſen Kopf zum Stumpfkopfe.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">b.</hi> „<hi rendition="#fr">Zweyte</hi> unnatuͤrliche Schaͤdelform, wo die vordere Herausragung verdorben iſt.“<lb/> Unnatuͤrlicher iſt das Hinterhaupt. Wenn das Stirnbein gegen die Naſenwurzel nur etwas an-<lb/> gezogener und ſchaͤrfer waͤre, ſo waͤr’ es nicht ſo unnatuͤrlich.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">d.</hi> „Die <hi rendition="#fr">dritte</hi> nicht natuͤrliche Hauptform, wo die vordere und hintere Hervorragung<lb/> „fehlt.“ — Dieſe iſt nun ſicherlich eines foͤrmlichen, gebornen Dummkopfes, wie’s auch die Zaͤhne<lb/> weiſen, beſonders das Verhaͤltniß der obern Zaͤhne zum Kinne.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">e.</hi> „<hi rendition="#fr">Vierte</hi> unnatuͤrliche Geſichtsform, wo die beyden Hervorragungen auf die Seiten<lb/> „hinaus gehen, nicht aber vorwaͤrts und hinterwaͤrts.“ — Waͤre die Stirn im Profile ganz per-<lb/> pendikulaͤr, ſo koͤnnte ſie mit großem Verſtande ſehr wohl beſtehen. <note xml:id="a26" next="#a27" place="foot" n="**)"><hi rendition="#aq">„Verum Galenus alibi hanc figuram excogita-<lb/> „ri quidem, non autem in rerum natura conſiſtere poſ-<lb/> „ſe affirmat; quamvis interim Venetiis puer multis<lb/> „partibus deformis, et admodum amens, hac figura</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">hodie</hi></fw></note></p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/> <cb/> <note xml:id="a25" prev="#a24" place="foot" n="*)">Mannes Bild zu ſehen! Kann’s eine menſchlichere und<lb/> goͤttlichere Freude geben, als ein edles Menſchengeſicht<lb/> zu verſtehen?</note><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0283]
Beylage B. Fuͤnf Schaͤdel nach Veſalius.
a) Jſt nach ihm die einzige natuͤrliche *) Schaͤdelform, die eine ablange Sphaͤ-
re vorſtellt, auf beyden Seiten zugedruͤckt, und vornen und hinten vorſtehend.
Jch moͤchte nicht ſagen, die einzige natuͤrliche, zumal ſich noch mehrere von den
wohlgebildetſten Menſchen zeichnen ließen, deren Umriſſe ſchoͤner und verhaͤltnißmaͤßiger und viel
verſtaͤndiger ſind, als der gegenwaͤrtige. Wenn z. E. die Stirn oben ein wenig mehr zuruͤckſaͤnke;
oben der Schaͤdel um etwas erhoͤhter und gewoͤlbter waͤre; hinten ebenfalls — ſo waͤr’ er ſchon viel
vollkommner. Auch das Stirnbein iſt gegen die Naſe zu theils zu ſtumpf, theils zu ſcharf. Stumpf-
heit in 1. laͤßt die ſcharfe Vertiefung 2. gewiß nicht zu.
Von dem Schaͤdel c ſagt Veſalius: „Die erſte unnatuͤrliche Schaͤdelform, wo die vor-
„dere Herauswoͤlbung mangelt.“ Der ſtumpfrunde Umriß des Stirnbeins macht in der That die-
ſen Kopf zum Stumpfkopfe.
b. „Zweyte unnatuͤrliche Schaͤdelform, wo die vordere Herausragung verdorben iſt.“
Unnatuͤrlicher iſt das Hinterhaupt. Wenn das Stirnbein gegen die Naſenwurzel nur etwas an-
gezogener und ſchaͤrfer waͤre, ſo waͤr’ es nicht ſo unnatuͤrlich.
d. „Die dritte nicht natuͤrliche Hauptform, wo die vordere und hintere Hervorragung
„fehlt.“ — Dieſe iſt nun ſicherlich eines foͤrmlichen, gebornen Dummkopfes, wie’s auch die Zaͤhne
weiſen, beſonders das Verhaͤltniß der obern Zaͤhne zum Kinne.
e. „Vierte unnatuͤrliche Geſichtsform, wo die beyden Hervorragungen auf die Seiten
„hinaus gehen, nicht aber vorwaͤrts und hinterwaͤrts.“ — Waͤre die Stirn im Profile ganz per-
pendikulaͤr, ſo koͤnnte ſie mit großem Verſtande ſehr wohl beſtehen. **)
Es
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Caſpar Bauhinus hat in ſeinem Theatrum
anatomicum dieſe fuͤnf Schaͤdelarten auch zeichnen laſ-
ſen. Aber die Form, die er fuͤr die vollkommenſte giebt,
iſt, vermuthlich durch Ungeſchicklichkeit des Zeichners,
ſo unnatuͤrlich und unvollkommen, als es immer die
vier andern ſeyn moͤgen. Denn ſie iſt oben auf dem
Scheitel nicht nur ganz flach, ſondern die an ſich ſchon
unnatuͤrliche Flaͤche wird noch unnatuͤrlicher durch eine
kleine Vertiefung. Anderer Unvollkommenheiten nicht
zu gedenken. — Ueberhaupt bemerke ich, daß die groͤß-
ten Anatomiſten und Zeichner fuͤr die ſo unendlich auf-
fallende, und unendlich wichtige Verſchiedenheit der
Schaͤdel wenig Sinn hatten.
**) „Verum Galenus alibi hanc figuram excogita-
„ri quidem, non autem in rerum natura conſiſtere poſ-
„ſe affirmat; quamvis interim Venetiis puer multis
„partibus deformis, et admodum amens, hac figura
hodie
*) Mannes Bild zu ſehen! Kann’s eine menſchlichere und
goͤttlichere Freude geben, als ein edles Menſchengeſicht
zu verſtehen?
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