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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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IV. Abschnitt. III. Fragment.

Hellblaue Augen habe ich fast nie bey melancholischen, selten bey cholerischen, am allermei-
sten bey phlegmatischen Temperamenten, die jedoch viel Aktivität hatten, angetroffen.

Augen, wo der untere Bogen des obern Augenliedes hoher Zirkelbogen war -- habe ich im-
mer gut, zart, auch furchtsam, zaghaft, schwach befunden.

Augen, die, wenn sie offen, und nicht zusammengedrückt sind, lange, scharfe, spitzige Winkel ge-
gen die Nase haben, habe ich fast nie, als bey sehr verständigen, oder sehr feinen Menschen gefunden.

Jch habe noch kein Auge, dessen Augenlied horizontal auf dem Apfel sich zeichnete, und halb
den Stern durchschnitt, gesehen -- als an sehr feinen, sehr geschickten, sehr listigen Menschen, wohl
verstanden, an sehr vielen redlichen auch, die aber sehr feinen Verstand hatten, und viel Anstelligkeit.

Augen, die weit offen sind, so daß viel Weißes noch unterm Stern zum Vorschein kömmt --
habe ich an den blödesten, phlegmatischten -- und zugleich an den muthigsten und feurigsten gefun-
den. Neben einander gesetzt, wird man leicht das Matte und Feurige, das Unbestimmte und Be-
stimmte unterscheiden können. Die Feurigen sind fester, kecker gezeichnet, haben weniger Schwei-
fung, gleich dickere, beschnittnere, jedoch weniger hautige Augenlippen.

Beylage. Haller.
Des IV Ban-
des XI Tafel.
Albert Haller.

Und nicht Haller! Erst ins Französische übersetzt, und dann aus dem Französischen
wieder verdeutscht -- also nicht Haller mehr. Höchstens etwas von seiner Stirne, und
seinem Auge -- und im obern Theile der Nase, und im Munde noch einige Spuren
von ihm -- Der untere Theil könnte des gemeinsten Gelehrten seyn. Auch der Schließmuskel un-
[Spaltenumbruch]

ter
"rey, Wucherey, Räuberey u. dgl. Kleine Augen, oder
"die tief im Haupte stehen, kühn, streitbar und unverzagt,
"tückisch und geschwind mit bösen Thaten, kann viel
"leiden etc. Große Augen bedeuten einen geizigen, ge-
"fräßigen Menschen, und zuvor, wenn sie vorder im
"Haupte siehen. Augen, die stets auf und zugehen,
"bedeuten ein blödes Gesicht, einen furchtsamen und
"sorgsamen Menschen. Augen, die schnell hin und wie-
"der schießen,
ein Buhlherz, Fürsichtigkeit, behende
"Rathschläge. Augen, die stets unter sich sehen, zei-
"gen einen schaamhaften, züchtigen Menschen an. Ro-
[Spaltenumbruch] "the Augen zeigen einen kühnen, starken Menschen an.
"Scheinende Augen, die sich nicht bald bewegen, zei-
"gen einen Helden an, großer Thaten, keck, freudig, und
"der von seinen Feinden sehr gefürchtet wird." Theo-
phr. Paracelsi opera. Strasb. 1616. fol. Tom. I. de
natura rerum. L. IX. p.
912.
Es wird wohl niemanden beyfallen, daß ich alle
diese Urtheile unterschreibe -- Sie sind größtentheils
ungerecht -- oder doch unbestimmt. Man könnte von
großen und kleinen Augen, ohne nähere Bestimmung,
mit demselben Rechte, gerade das Gegentheil sagen.
IV. Abſchnitt. III. Fragment.

Hellblaue Augen habe ich faſt nie bey melancholiſchen, ſelten bey choleriſchen, am allermei-
ſten bey phlegmatiſchen Temperamenten, die jedoch viel Aktivitaͤt hatten, angetroffen.

Augen, wo der untere Bogen des obern Augenliedes hoher Zirkelbogen war — habe ich im-
mer gut, zart, auch furchtſam, zaghaft, ſchwach befunden.

Augen, die, wenn ſie offen, und nicht zuſammengedruͤckt ſind, lange, ſcharfe, ſpitzige Winkel ge-
gen die Naſe haben, habe ich faſt nie, als bey ſehr verſtaͤndigen, oder ſehr feinen Menſchen gefunden.

Jch habe noch kein Auge, deſſen Augenlied horizontal auf dem Apfel ſich zeichnete, und halb
den Stern durchſchnitt, geſehen — als an ſehr feinen, ſehr geſchickten, ſehr liſtigen Menſchen, wohl
verſtanden, an ſehr vielen redlichen auch, die aber ſehr feinen Verſtand hatten, und viel Anſtelligkeit.

Augen, die weit offen ſind, ſo daß viel Weißes noch unterm Stern zum Vorſchein koͤmmt —
habe ich an den bloͤdeſten, phlegmatiſchten — und zugleich an den muthigſten und feurigſten gefun-
den. Neben einander geſetzt, wird man leicht das Matte und Feurige, das Unbeſtimmte und Be-
ſtimmte unterſcheiden koͤnnen. Die Feurigen ſind feſter, kecker gezeichnet, haben weniger Schwei-
fung, gleich dickere, beſchnittnere, jedoch weniger hautige Augenlippen.

Beylage. Haller.
Des IV Ban-
des XI Tafel.
Albert Haller.

Und nicht Haller! Erſt ins Franzoͤſiſche uͤberſetzt, und dann aus dem Franzoͤſiſchen
wieder verdeutſcht — alſo nicht Haller mehr. Hoͤchſtens etwas von ſeiner Stirne, und
ſeinem Auge — und im obern Theile der Naſe, und im Munde noch einige Spuren
von ihm — Der untere Theil koͤnnte des gemeinſten Gelehrten ſeyn. Auch der Schließmuskel un-
[Spaltenumbruch]

ter
„rey, Wucherey, Raͤuberey u. dgl. Kleine Augen, oder
„die tief im Haupte ſtehen, kuͤhn, ſtreitbar und unverzagt,
„tuͤckiſch und geſchwind mit boͤſen Thaten, kann viel
„leiden ꝛc. Große Augen bedeuten einen geizigen, ge-
„fraͤßigen Menſchen, und zuvor, wenn ſie vorder im
„Haupte ſiehen. Augen, die ſtets auf und zugehen,
„bedeuten ein bloͤdes Geſicht, einen furchtſamen und
„ſorgſamen Menſchen. Augen, die ſchnell hin und wie-
„der ſchießen,
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„gen einen ſchaamhaften, zuͤchtigen Menſchen an. Ro-
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Scheinende Augen, die ſich nicht bald bewegen, zei-
„gen einen Helden an, großer Thaten, keck, freudig, und
„der von ſeinen Feinden ſehr gefuͤrchtet wird.“ Theo-
phr. Paracelſi opera. Strasb. 1616. fol. Tom. I. de
natura rerum. L. IX. p.
912.
Es wird wohl niemanden beyfallen, daß ich alle
dieſe Urtheile unterſchreibe — Sie ſind groͤßtentheils
ungerecht — oder doch unbeſtimmt. Man koͤnnte von
großen und kleinen Augen, ohne naͤhere Beſtimmung,
mit demſelben Rechte, gerade das Gegentheil ſagen.
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[252/0288] IV. Abſchnitt. III. Fragment. Hellblaue Augen habe ich faſt nie bey melancholiſchen, ſelten bey choleriſchen, am allermei- ſten bey phlegmatiſchen Temperamenten, die jedoch viel Aktivitaͤt hatten, angetroffen. Augen, wo der untere Bogen des obern Augenliedes hoher Zirkelbogen war — habe ich im- mer gut, zart, auch furchtſam, zaghaft, ſchwach befunden. Augen, die, wenn ſie offen, und nicht zuſammengedruͤckt ſind, lange, ſcharfe, ſpitzige Winkel ge- gen die Naſe haben, habe ich faſt nie, als bey ſehr verſtaͤndigen, oder ſehr feinen Menſchen gefunden. Jch habe noch kein Auge, deſſen Augenlied horizontal auf dem Apfel ſich zeichnete, und halb den Stern durchſchnitt, geſehen — als an ſehr feinen, ſehr geſchickten, ſehr liſtigen Menſchen, wohl verſtanden, an ſehr vielen redlichen auch, die aber ſehr feinen Verſtand hatten, und viel Anſtelligkeit. Augen, die weit offen ſind, ſo daß viel Weißes noch unterm Stern zum Vorſchein koͤmmt — habe ich an den bloͤdeſten, phlegmatiſchten — und zugleich an den muthigſten und feurigſten gefun- den. Neben einander geſetzt, wird man leicht das Matte und Feurige, das Unbeſtimmte und Be- ſtimmte unterſcheiden koͤnnen. Die Feurigen ſind feſter, kecker gezeichnet, haben weniger Schwei- fung, gleich dickere, beſchnittnere, jedoch weniger hautige Augenlippen. Beylage. Haller. Und nicht Haller! Erſt ins Franzoͤſiſche uͤberſetzt, und dann aus dem Franzoͤſiſchen wieder verdeutſcht — alſo nicht Haller mehr. Hoͤchſtens etwas von ſeiner Stirne, und ſeinem Auge — und im obern Theile der Naſe, und im Munde noch einige Spuren von ihm — Der untere Theil koͤnnte des gemeinſten Gelehrten ſeyn. Auch der Schließmuskel un- ter *) *) „rey, Wucherey, Raͤuberey u. dgl. Kleine Augen, oder „die tief im Haupte ſtehen, kuͤhn, ſtreitbar und unverzagt, „tuͤckiſch und geſchwind mit boͤſen Thaten, kann viel „leiden ꝛc. Große Augen bedeuten einen geizigen, ge- „fraͤßigen Menſchen, und zuvor, wenn ſie vorder im „Haupte ſiehen. Augen, die ſtets auf und zugehen, „bedeuten ein bloͤdes Geſicht, einen furchtſamen und „ſorgſamen Menſchen. Augen, die ſchnell hin und wie- „der ſchießen, ein Buhlherz, Fuͤrſichtigkeit, behende „Rathſchlaͤge. Augen, die ſtets unter ſich ſehen, zei- „gen einen ſchaamhaften, zuͤchtigen Menſchen an. Ro- „the Augen zeigen einen kuͤhnen, ſtarken Menſchen an. „Scheinende Augen, die ſich nicht bald bewegen, zei- „gen einen Helden an, großer Thaten, keck, freudig, und „der von ſeinen Feinden ſehr gefuͤrchtet wird.“ Theo- phr. Paracelſi opera. Strasb. 1616. fol. Tom. I. de natura rerum. L. IX. p. 912. Es wird wohl niemanden beyfallen, daß ich alle dieſe Urtheile unterſchreibe — Sie ſind groͤßtentheils ungerecht — oder doch unbeſtimmt. Man koͤnnte von großen und kleinen Augen, ohne naͤhere Beſtimmung, mit demſelben Rechte, gerade das Gegentheil ſagen.

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/288>, abgerufen am 22.11.2024.