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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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V. Abschnitt. IX. Fragment.
Neuntes Fragment.
Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
Lukretz.
Fit quoque, ut interdum similes existere avorum
Possint et referant proavorum saepe figuras,
Propterea, quia multimodis primordia multis
Mixta suo celant in corpore saepe parentes
Quae patribus patres tradunt a stirpe profecta,
Inde venus varias producit scite figuras,
Majorumque refert vultus, vocesque, comasque,
Quandoquidem nihilo magis haec de semine certo
Fiunt, quam facies et corpora, membraque nobis.



Aehnlichkeit zwischen Aeltern und Kindern ist hundertmal auffallend.

Die Familienphysiognomien sind so unläugbar, als die Nationalphysiognomien; sie bezwei-
feln, hieße, die Sonne am Himmel bezweifeln; -- sie ganz erklären wollen, hieße, das unauflösliche
Geheimniß des Daseyns erklären. So auffallend und alltäglich indessen die Bemerkung ist, daß die
Kinder ihren Aeltern ähnlich sehen, so ununtersucht ist noch das Verhältniß der Aehnlichkeiten der
Charakter und der Gesichter in den Familien -- und meines Wissens hat noch niemand hierüber or-
dentliche Beobachtungen angestellt; auch muß ich gestehen, daß ich selbst noch wenig förmliche und
durchgesetzte Beobachtungen darüber angestellt habe. Das wenige, was ich darüber sagen kann, ist
folgendes:

Wo der Vater noch so dumm ist, die Mutter aber sehr weise, da werden sicherlich alle-
mal die meisten Kinder außerordentlich weise seyn.

Wo der Vater gut, recht gut ist, werden die Kinder größtentheils gute Anlagen haben;
wenigstens beynah immer einen großen Theil Gutmüthigkeit.

Die
V. Abſchnitt. IX. Fragment.
Neuntes Fragment.
Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
Lukretz.
Fit quoque, ut interdum ſimiles exiſtere avorum
Poſſint et referant proavorum ſaepe figuras,
Propterea, quia multimodis primordia multis
Mixta ſuo celant in corpore ſaepe parentes
Quae patribus patres tradunt a ſtirpe profecta,
Inde venus varias producit ſcite figuras,
Majorumque refert vultus, vocesque, comasque,
Quandoquidem nihilo magis haec de ſemine certo
Fiunt, quam facies et corpora, membraque nobis.



Aehnlichkeit zwiſchen Aeltern und Kindern iſt hundertmal auffallend.

Die Familienphyſiognomien ſind ſo unlaͤugbar, als die Nationalphyſiognomien; ſie bezwei-
feln, hieße, die Sonne am Himmel bezweifeln; — ſie ganz erklaͤren wollen, hieße, das unaufloͤsliche
Geheimniß des Daſeyns erklaͤren. So auffallend und alltaͤglich indeſſen die Bemerkung iſt, daß die
Kinder ihren Aeltern aͤhnlich ſehen, ſo ununterſucht iſt noch das Verhaͤltniß der Aehnlichkeiten der
Charakter und der Geſichter in den Familien — und meines Wiſſens hat noch niemand hieruͤber or-
dentliche Beobachtungen angeſtellt; auch muß ich geſtehen, daß ich ſelbſt noch wenig foͤrmliche und
durchgeſetzte Beobachtungen daruͤber angeſtellt habe. Das wenige, was ich daruͤber ſagen kann, iſt
folgendes:

Wo der Vater noch ſo dumm iſt, die Mutter aber ſehr weiſe, da werden ſicherlich alle-
mal die meiſten Kinder außerordentlich weiſe ſeyn.

Wo der Vater gut, recht gut iſt, werden die Kinder groͤßtentheils gute Anlagen haben;
wenigſtens beynah immer einen großen Theil Gutmuͤthigkeit.

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[326/0386] V. Abſchnitt. IX. Fragment. Neuntes Fragment. Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder. Lukretz. Fit quoque, ut interdum ſimiles exiſtere avorum Poſſint et referant proavorum ſaepe figuras, Propterea, quia multimodis primordia multis Mixta ſuo celant in corpore ſaepe parentes Quae patribus patres tradunt a ſtirpe profecta, Inde venus varias producit ſcite figuras, Majorumque refert vultus, vocesque, comasque, Quandoquidem nihilo magis haec de ſemine certo Fiunt, quam facies et corpora, membraque nobis. Aehnlichkeit zwiſchen Aeltern und Kindern iſt hundertmal auffallend. Die Familienphyſiognomien ſind ſo unlaͤugbar, als die Nationalphyſiognomien; ſie bezwei- feln, hieße, die Sonne am Himmel bezweifeln; — ſie ganz erklaͤren wollen, hieße, das unaufloͤsliche Geheimniß des Daſeyns erklaͤren. So auffallend und alltaͤglich indeſſen die Bemerkung iſt, daß die Kinder ihren Aeltern aͤhnlich ſehen, ſo ununterſucht iſt noch das Verhaͤltniß der Aehnlichkeiten der Charakter und der Geſichter in den Familien — und meines Wiſſens hat noch niemand hieruͤber or- dentliche Beobachtungen angeſtellt; auch muß ich geſtehen, daß ich ſelbſt noch wenig foͤrmliche und durchgeſetzte Beobachtungen daruͤber angeſtellt habe. Das wenige, was ich daruͤber ſagen kann, iſt folgendes: Wo der Vater noch ſo dumm iſt, die Mutter aber ſehr weiſe, da werden ſicherlich alle- mal die meiſten Kinder außerordentlich weiſe ſeyn. Wo der Vater gut, recht gut iſt, werden die Kinder groͤßtentheils gute Anlagen haben; wenigſtens beynah immer einen großen Theil Gutmuͤthigkeit. Die

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/386>, abgerufen am 22.11.2024.