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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
Zehntes Fragment.
Einige Anmerkungen über Büffons, Hallers und Bonnets Gedanken
von der Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
A.
Man kennt Büffons Theorie, oder Hypothese von der Entstehung der Menschengestalten.
Haller hat sie folgendermaßen verkürzt und genau vorgetragen.

"Beyde Geschlechter haben ihren Saamen, und in demselben gebildete bewegte Theilchen, aus
"deren Vereinigung die Leibesfrucht entsteht.

"Diese Theilchen enthalten die Aehnlichkeit aller Theile des Vaters oder der Mutter. Sie
"sind von der erfahrnen Künstlerinn, der Natur, von den rohen und ungebildeten Theilen der
"menschlichen Säfte abgeschieden, und nach allen den Theilen des Leibes des Vaters und der Mut-
"ter abgedruckt worden. Hieraus entsteht die Aehnlichkeit der Kinder mit den Aeltern. Die Ver-
"mischung der Züge des Vaters mit den mütterlichen in den Kindern, die Flecken in den Thieren,
"deren Aeltern von ungleichen Farben sind, und der Mulatten Mittelstand zwischen Weißen und
"Mohren, und viele andere durch die Lehre der Entwickelung sehr schwer aufzulösende Fragen er-
"halten hier auch ihre Erledigung.

"Fragt man: wie diese Theilchen den innern Bau des väterlichen Leibes annehmen können,
"da sie billig nur Abdrücke hohler Gefäße seyn sollten; so antwortet der Herr v. B. wir kennen die
"Kräfte der Natur nicht alle, und sie hat, mit Ausschließung ihrer Schüler, der Menschen, die
"Kunst sich vorbehalten, innere Modelle und innere Abdrücke zu machen, die des Modells
"ganze Dichtigkeit ausdrücken."

Haller hat in seiner Vorrede zu B. allgemeiner Historie der Natur dieß System --
wie mich dünkt, unwiderleglich widerlegt -- aber er hat die Aehnlichkeit zwischen Aeltern und Kin-
dern nicht nur nicht erklärt, sondern eher, wo nicht geläugnet, doch dadurch, daß er sich über die
innere physiologische Unähnlichkeit der menschlichen Körper ausbreitet, und diese vornehmlich dem
Büffon entgegensetzt, zu läugnen geschienen. Büffons Hypothese revoltirt alle Philosophie, und

Bonnet
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Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
Zehntes Fragment.
Einige Anmerkungen uͤber Buͤffons, Hallers und Bonnets Gedanken
von der Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
A.
Man kennt Buͤffons Theorie, oder Hypotheſe von der Entſtehung der Menſchengeſtalten.
Haller hat ſie folgendermaßen verkuͤrzt und genau vorgetragen.

Beyde Geſchlechter haben ihren Saamen, und in demſelben gebildete bewegte Theilchen, aus
„deren Vereinigung die Leibesfrucht entſteht.

„Dieſe Theilchen enthalten die Aehnlichkeit aller Theile des Vaters oder der Mutter. Sie
„ſind von der erfahrnen Kuͤnſtlerinn, der Natur, von den rohen und ungebildeten Theilen der
„menſchlichen Saͤfte abgeſchieden, und nach allen den Theilen des Leibes des Vaters und der Mut-
„ter abgedruckt worden. Hieraus entſteht die Aehnlichkeit der Kinder mit den Aeltern. Die Ver-
„miſchung der Zuͤge des Vaters mit den muͤtterlichen in den Kindern, die Flecken in den Thieren,
„deren Aeltern von ungleichen Farben ſind, und der Mulatten Mittelſtand zwiſchen Weißen und
„Mohren, und viele andere durch die Lehre der Entwickelung ſehr ſchwer aufzuloͤſende Fragen er-
„halten hier auch ihre Erledigung.

„Fragt man: wie dieſe Theilchen den innern Bau des vaͤterlichen Leibes annehmen koͤnnen,
„da ſie billig nur Abdruͤcke hohler Gefaͤße ſeyn ſollten; ſo antwortet der Herr v. B. wir kennen die
„Kraͤfte der Natur nicht alle, und ſie hat, mit Ausſchließung ihrer Schuͤler, der Menſchen, die
„Kunſt ſich vorbehalten, innere Modelle und innere Abdruͤcke zu machen, die des Modells
„ganze Dichtigkeit ausdruͤcken.“

Haller hat in ſeiner Vorrede zu B. allgemeiner Hiſtorie der Natur dieß Syſtem —
wie mich duͤnkt, unwiderleglich widerlegt — aber er hat die Aehnlichkeit zwiſchen Aeltern und Kin-
dern nicht nur nicht erklaͤrt, ſondern eher, wo nicht gelaͤugnet, doch dadurch, daß er ſich uͤber die
innere phyſiologiſche Unaͤhnlichkeit der menſchlichen Koͤrper ausbreitet, und dieſe vornehmlich dem
Buͤffon entgegenſetzt, zu laͤugnen geſchienen. Buͤffons Hypotheſe revoltirt alle Philoſophie, und

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[331/0391] Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder. Zehntes Fragment. Einige Anmerkungen uͤber Buͤffons, Hallers und Bonnets Gedanken von der Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder. A. Man kennt Buͤffons Theorie, oder Hypotheſe von der Entſtehung der Menſchengeſtalten. Haller hat ſie folgendermaßen verkuͤrzt und genau vorgetragen. „Beyde Geſchlechter haben ihren Saamen, und in demſelben gebildete bewegte Theilchen, aus „deren Vereinigung die Leibesfrucht entſteht. „Dieſe Theilchen enthalten die Aehnlichkeit aller Theile des Vaters oder der Mutter. Sie „ſind von der erfahrnen Kuͤnſtlerinn, der Natur, von den rohen und ungebildeten Theilen der „menſchlichen Saͤfte abgeſchieden, und nach allen den Theilen des Leibes des Vaters und der Mut- „ter abgedruckt worden. Hieraus entſteht die Aehnlichkeit der Kinder mit den Aeltern. Die Ver- „miſchung der Zuͤge des Vaters mit den muͤtterlichen in den Kindern, die Flecken in den Thieren, „deren Aeltern von ungleichen Farben ſind, und der Mulatten Mittelſtand zwiſchen Weißen und „Mohren, und viele andere durch die Lehre der Entwickelung ſehr ſchwer aufzuloͤſende Fragen er- „halten hier auch ihre Erledigung. „Fragt man: wie dieſe Theilchen den innern Bau des vaͤterlichen Leibes annehmen koͤnnen, „da ſie billig nur Abdruͤcke hohler Gefaͤße ſeyn ſollten; ſo antwortet der Herr v. B. wir kennen die „Kraͤfte der Natur nicht alle, und ſie hat, mit Ausſchließung ihrer Schuͤler, der Menſchen, die „Kunſt ſich vorbehalten, innere Modelle und innere Abdruͤcke zu machen, die des Modells „ganze Dichtigkeit ausdruͤcken.“ Haller hat in ſeiner Vorrede zu B. allgemeiner Hiſtorie der Natur dieß Syſtem — wie mich duͤnkt, unwiderleglich widerlegt — aber er hat die Aehnlichkeit zwiſchen Aeltern und Kin- dern nicht nur nicht erklaͤrt, ſondern eher, wo nicht gelaͤugnet, doch dadurch, daß er ſich uͤber die innere phyſiologiſche Unaͤhnlichkeit der menſchlichen Koͤrper ausbreitet, und dieſe vornehmlich dem Buͤffon entgegenſetzt, zu laͤugnen geſchienen. Buͤffons Hypotheſe revoltirt alle Philoſophie, und Bonnet T t 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/391>, abgerufen am 22.11.2024.