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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
tur der Mutter analoge Menschheitempfängliche, zu irgend einer Menschengestalt überhaupt
vorgebildete, zugerichtete Keimliche -- erhält eine besondere individuelle persönliche Physiogno-
mie,
nach der Beschaffenheit des Vaters und der Mutter, und nach dem Charakter des Momentes
der Empfängniß, und vielleicht auch mancher späterer entscheidender Momente. Jmmer also bleibt
der Freyheit und Vorbereitung des Menschen erstaunlich viel übrig. Man kann seine Säfte verder-
ben oder verbessern -- man kann sich in ruhige oder heftige Gemüthsbewegung setzen -- man kann
Empfindungen der Liebe erwecken -- einander auf mancherley Weise auf- und abspannen -- u. s. f.
Und auch mit daher, denke ich, nicht von einer der Zeugung vorgehenden physiognomischen
Präformation, wenigstens bey weitem nicht von dieser allein, hängt sowohl die Natur der Kno-
chen,
als der Muskeln und der Nerven -- und sodann des Charakters ab. Freylich auch das
Organisirbare, Bildsame, Primitive -- hat allemal auch eine eigne Jndividualität,
die nur gewisse feine Geistigkeiten annehmen kann, und gewisse respuiren muß. -- Doch genug
hievon.

Beylage A.

Es giebt gewisse Gesichter, und gewisse Züge in gewissen Gesichtern, von denen man mit der größ-
ten Wahrscheinlichkeit voraussagen kann, daß sie sich fortpflanzen werden. Diese zu bestimmen,
wäre eine Untersuchung, die in die geheimnißvolleste Lehre von der Bildung der Frucht gewiß Licht
bringen müßte. Jch setze hier ein solches Gesicht her, von dem ich, analogen Beobachtungen zu-
folge, versichern wollte, das Auge, und noch gewisser der Mund, wird sich fortpflanzen. Also
auch, wird man mir sagen, nach deinem Begriffe von Gleichartigkeit, Ganzheit, Einerleyheit des
Körpers, die ganze Gestalt? -- Also muß es eine unendliche Reihe ähnlicher Gestalten geben kön-
nen? -- Nein! das folgt nicht alles. So viel folgt -- nach der Aehnlichkeit des Mundes die
Aehnlichkeit der Form. Ganz ähnlich wird nie nichts. Aber sehr ähnlich. Die Aehnlichkeit
des Mundes, und mit derselben die Gestalt kann sich also nach und nach verlieren. Diese aller-

seltenste

Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder.
tur der Mutter analoge Menſchheitempfaͤngliche, zu irgend einer Menſchengeſtalt uͤberhaupt
vorgebildete, zugerichtete Keimliche — erhaͤlt eine beſondere individuelle perſoͤnliche Phyſiogno-
mie,
nach der Beſchaffenheit des Vaters und der Mutter, und nach dem Charakter des Momentes
der Empfaͤngniß, und vielleicht auch mancher ſpaͤterer entſcheidender Momente. Jmmer alſo bleibt
der Freyheit und Vorbereitung des Menſchen erſtaunlich viel uͤbrig. Man kann ſeine Saͤfte verder-
ben oder verbeſſern — man kann ſich in ruhige oder heftige Gemuͤthsbewegung ſetzen — man kann
Empfindungen der Liebe erwecken — einander auf mancherley Weiſe auf- und abſpannen — u. ſ. f.
Und auch mit daher, denke ich, nicht von einer der Zeugung vorgehenden phyſiognomiſchen
Praͤformation, wenigſtens bey weitem nicht von dieſer allein, haͤngt ſowohl die Natur der Kno-
chen,
als der Muskeln und der Nerven — und ſodann des Charakters ab. Freylich auch das
Organiſirbare, Bildſame, Primitive — hat allemal auch eine eigne Jndividualitaͤt,
die nur gewiſſe feine Geiſtigkeiten annehmen kann, und gewiſſe reſpuiren muß. — Doch genug
hievon.

Beylage A.

Es giebt gewiſſe Geſichter, und gewiſſe Zuͤge in gewiſſen Geſichtern, von denen man mit der groͤß-
ten Wahrſcheinlichkeit vorausſagen kann, daß ſie ſich fortpflanzen werden. Dieſe zu beſtimmen,
waͤre eine Unterſuchung, die in die geheimnißvolleſte Lehre von der Bildung der Frucht gewiß Licht
bringen muͤßte. Jch ſetze hier ein ſolches Geſicht her, von dem ich, analogen Beobachtungen zu-
folge, verſichern wollte, das Auge, und noch gewiſſer der Mund, wird ſich fortpflanzen. Alſo
auch, wird man mir ſagen, nach deinem Begriffe von Gleichartigkeit, Ganzheit, Einerleyheit des
Koͤrpers, die ganze Geſtalt? — Alſo muß es eine unendliche Reihe aͤhnlicher Geſtalten geben koͤn-
nen? — Nein! das folgt nicht alles. So viel folgt — nach der Aehnlichkeit des Mundes die
Aehnlichkeit der Form. Ganz aͤhnlich wird nie nichts. Aber ſehr aͤhnlich. Die Aehnlichkeit
des Mundes, und mit derſelben die Geſtalt kann ſich alſo nach und nach verlieren. Dieſe aller-

ſeltenſte
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[335/0395] Aehnlichkeit der Aeltern und Kinder. tur der Mutter analoge Menſchheitempfaͤngliche, zu irgend einer Menſchengeſtalt uͤberhaupt vorgebildete, zugerichtete Keimliche — erhaͤlt eine beſondere individuelle perſoͤnliche Phyſiogno- mie, nach der Beſchaffenheit des Vaters und der Mutter, und nach dem Charakter des Momentes der Empfaͤngniß, und vielleicht auch mancher ſpaͤterer entſcheidender Momente. Jmmer alſo bleibt der Freyheit und Vorbereitung des Menſchen erſtaunlich viel uͤbrig. Man kann ſeine Saͤfte verder- ben oder verbeſſern — man kann ſich in ruhige oder heftige Gemuͤthsbewegung ſetzen — man kann Empfindungen der Liebe erwecken — einander auf mancherley Weiſe auf- und abſpannen — u. ſ. f. Und auch mit daher, denke ich, nicht von einer der Zeugung vorgehenden phyſiognomiſchen Praͤformation, wenigſtens bey weitem nicht von dieſer allein, haͤngt ſowohl die Natur der Kno- chen, als der Muskeln und der Nerven — und ſodann des Charakters ab. Freylich auch das Organiſirbare, Bildſame, Primitive — hat allemal auch eine eigne Jndividualitaͤt, die nur gewiſſe feine Geiſtigkeiten annehmen kann, und gewiſſe reſpuiren muß. — Doch genug hievon. Beylage A. Es giebt gewiſſe Geſichter, und gewiſſe Zuͤge in gewiſſen Geſichtern, von denen man mit der groͤß- ten Wahrſcheinlichkeit vorausſagen kann, daß ſie ſich fortpflanzen werden. Dieſe zu beſtimmen, waͤre eine Unterſuchung, die in die geheimnißvolleſte Lehre von der Bildung der Frucht gewiß Licht bringen muͤßte. Jch ſetze hier ein ſolches Geſicht her, von dem ich, analogen Beobachtungen zu- folge, verſichern wollte, das Auge, und noch gewiſſer der Mund, wird ſich fortpflanzen. Alſo auch, wird man mir ſagen, nach deinem Begriffe von Gleichartigkeit, Ganzheit, Einerleyheit des Koͤrpers, die ganze Geſtalt? — Alſo muß es eine unendliche Reihe aͤhnlicher Geſtalten geben koͤn- nen? — Nein! das folgt nicht alles. So viel folgt — nach der Aehnlichkeit des Mundes die Aehnlichkeit der Form. Ganz aͤhnlich wird nie nichts. Aber ſehr aͤhnlich. Die Aehnlichkeit des Mundes, und mit derſelben die Geſtalt kann ſich alſo nach und nach verlieren. Dieſe aller- ſeltenſte

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/395>, abgerufen am 22.11.2024.