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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Etwas von den Temperamenten.
so könnte man sich vors erste mit diesen allein begnügen -- und zwar weil das Haupt die Summe
des Körpers, das Profil oder die Grundlinie der Stirn eine Summe des Hauptes ist -- mit der
Profillinie des Angesichts, oder der Grundlinie der Stirn. Jtzt weiß man schon, daß jede Linie,

je mehr
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Beylage zum ersten Fragment.
Aus der Handschrift eines sehr originellen und
sehr vielwissenden Selbstdenkers.

"Wir haben sieben Sinnen -- nebst den gewöhnli-
"chen, Hunger und Durst, die so unentbehrlich sind,
"als die andern fünfe, und unter keinen von den Sin-
"nen besonders begreiflich, und zum Leben gleichwohl
"so gehörig, ja von den andern fünfen unabhängig,
"den Geschmack selbst nur zum nächsten Probierstein ha-
"bend. -- Hunger verlangt immer was dichtes; Durst
"was flüssiges .. Diesen sieben Sinnen antworten
"gleichsam sieben Elemente der Körperwelt, das Licht
"dem Gesichte; die Luft dem Gehöre; das Salz dem
"Geschmacke; die Erde dem Gefühle; das Wasser
"dem Durste; die Fettigkeit oder Zähigkeit dem Hun-
"ger;
das Feuer dem Geruche. (Denn lauter flüchtige,
"brennbar feurige, oder salzig feurige Theilchen sind af-
"fizirend für den Geruch; von Erde und Wasser und
"Luft und Licht riecht man nichts; vom Salz auch nichts,
"wenn's nicht feurig in die Luft getrieben ist; von Fet-
"tigkeiten oder brennbaren Dingen am meisten, aber nur
"ihre subtilen feurigen Ausdünstungen, die ihr inneres
"Feuer immer austreibt; bey cholerischen feurigen Na-
"turen ist auch der Geruch am schärfsten, und ihre Nase
"zeichnet sich vor allen heroisch aus. Also denn Feuer
"dem Geruche, so seltsam es auch dem ersten Anscheine
"nach klingen mag!)
"Nach diesen sieben Elementen nun und ihrer vorzüg-
"lichen Reizungskraft giebt es sieben Temperamente
"oder Naturelle, wo in jedem Eins der sieben vorzüg-
[Spaltenumbruch] "lich herrscht, und nach demselben wohl genannt werden
"kann. Wenn die Siebenzahl zu biblisch klingt, und
"nicht philosophisch genug, der denke beyläufig an
"Neutons Lichtsystem von sieben Farben, und die sie-
"ben wolfischen Vorstellungskräfte in Baumgartens
"kernhafter Metaphysik.
"Bekannt ist, daß fast kein Temperament auch von
"den vier gemeinen lediglich ganz allein, sondern mit
"den andern im Menschen vermischt ist, doch gemeinig-
"lich eins oder zwey vorzüglich mit einander herrschen,
"und mit dem natürlichen Charakter der Seele har-
"moniren. Aus dieser Harmonie möchte sich ergeben,
"daß die Seele die Grundkräfte aller Elemente, oder
"die diesen Elementen ähnlichste Wirksamkeits- und
"Leidsamkeitsquelle
vorzüglich originell in sich enthal-
"ten muß; sonst möchte es wohl keine wirksame und
"leidsame Grundharmonie zwischen Leib und Seele ge-
"ben. Daß durch Gottes Wort alles Sichtbare aus
"Unsichtbarem geworden, ist biblisch -- und vernünftig,
"daß Aeußeres aus dem Jnnern hervorkommen möge;
"Bild aus Geist und Wesen, Ausdruck von Kraft, Wir-
"kungsform von Grundthätigkeit, ausgebreitetes Bild
"von auswickelndem Original.
"Nun herrscht bey heitern, verständigen, sokratischen
"Seelen gerade Lichteskraft des Geistes, davon das
"äußere Licht das ähnlichste Bild ist, im sanftesten
"Wesen die weiteste Ausbreitungskraft, die kläreste, all-
"gemeinste Mittheilungskraft, von allen Seiten auf alle
"gerade sich einzudrücken; gerade Klarheit ins Unendli-
"che fortzusetzen, und, wenn sie konzentrirt wird, den
"hellesten allmächtigen Brennpunkt zu machen -- Das
herrschende,
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Etwas von den Temperamenten.
ſo koͤnnte man ſich vors erſte mit dieſen allein begnuͤgen — und zwar weil das Haupt die Summe
des Koͤrpers, das Profil oder die Grundlinie der Stirn eine Summe des Hauptes iſt — mit der
Profillinie des Angeſichts, oder der Grundlinie der Stirn. Jtzt weiß man ſchon, daß jede Linie,

je mehr
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Beylage zum erſten Fragment.
Aus der Handſchrift eines ſehr originellen und
ſehr vielwiſſenden Selbſtdenkers.

„Wir haben ſieben Sinnen — nebſt den gewoͤhnli-
„chen, Hunger und Durſt, die ſo unentbehrlich ſind,
„als die andern fuͤnfe, und unter keinen von den Sin-
„nen beſonders begreiflich, und zum Leben gleichwohl
„ſo gehoͤrig, ja von den andern fuͤnfen unabhaͤngig,
„den Geſchmack ſelbſt nur zum naͤchſten Probierſtein ha-
„bend. — Hunger verlangt immer was dichtes; Durſt
„was fluͤſſiges .. Dieſen ſieben Sinnen antworten
„gleichſam ſieben Elemente der Koͤrperwelt, das Licht
„dem Geſichte; die Luft dem Gehoͤre; das Salz dem
Geſchmacke; die Erde dem Gefuͤhle; das Waſſer
„dem Durſte; die Fettigkeit oder Zaͤhigkeit dem Hun-
„ger;
das Feuer dem Geruche. (Denn lauter fluͤchtige,
„brennbar feurige, oder ſalzig feurige Theilchen ſind af-
„fizirend fuͤr den Geruch; von Erde und Waſſer und
„Luft und Licht riecht man nichts; vom Salz auch nichts,
„wenn’s nicht feurig in die Luft getrieben iſt; von Fet-
„tigkeiten oder brennbaren Dingen am meiſten, aber nur
„ihre ſubtilen feurigen Ausduͤnſtungen, die ihr inneres
„Feuer immer austreibt; bey choleriſchen feurigen Na-
„turen iſt auch der Geruch am ſchaͤrfſten, und ihre Naſe
„zeichnet ſich vor allen heroiſch aus. Alſo denn Feuer
„dem Geruche, ſo ſeltſam es auch dem erſten Anſcheine
„nach klingen mag!)
„Nach dieſen ſieben Elementen nun und ihrer vorzuͤg-
„lichen Reizungskraft giebt es ſieben Temperamente
„oder Naturelle, wo in jedem Eins der ſieben vorzuͤg-
[Spaltenumbruch] „lich herrſcht, und nach demſelben wohl genannt werden
„kann. Wenn die Siebenzahl zu bibliſch klingt, und
„nicht philoſophiſch genug, der denke beylaͤufig an
Neutons Lichtſyſtem von ſieben Farben, und die ſie-
„ben wolfiſchen Vorſtellungskraͤfte in Baumgartens
„kernhafter Metaphyſik.
„Bekannt iſt, daß faſt kein Temperament auch von
„den vier gemeinen lediglich ganz allein, ſondern mit
„den andern im Menſchen vermiſcht iſt, doch gemeinig-
„lich eins oder zwey vorzuͤglich mit einander herrſchen,
„und mit dem natuͤrlichen Charakter der Seele har-
„moniren. Aus dieſer Harmonie moͤchte ſich ergeben,
„daß die Seele die Grundkraͤfte aller Elemente, oder
„die dieſen Elementen aͤhnlichſte Wirkſamkeits- und
„Leidſamkeitsquelle
vorzuͤglich originell in ſich enthal-
„ten muß; ſonſt moͤchte es wohl keine wirkſame und
„leidſame Grundharmonie zwiſchen Leib und Seele ge-
„ben. Daß durch Gottes Wort alles Sichtbare aus
„Unſichtbarem geworden, iſt bibliſch — und vernuͤnftig,
„daß Aeußeres aus dem Jnnern hervorkommen moͤge;
„Bild aus Geiſt und Weſen, Ausdruck von Kraft, Wir-
„kungsform von Grundthaͤtigkeit, ausgebreitetes Bild
„von auswickelndem Original.
„Nun herrſcht bey heitern, verſtaͤndigen, ſokratiſchen
„Seelen gerade Lichteskraft des Geiſtes, davon das
„aͤußere Licht das aͤhnlichſte Bild iſt, im ſanfteſten
„Weſen die weiteſte Ausbreitungskraft, die klaͤreſte, all-
„gemeinſte Mittheilungskraft, von allen Seiten auf alle
„gerade ſich einzudruͤcken; gerade Klarheit ins Unendli-
„che fortzuſetzen, und, wenn ſie konzentrirt wird, den
„helleſten allmaͤchtigen Brennpunkt zu machen — Das
herrſchende,
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[349/0411] Etwas von den Temperamenten. ſo koͤnnte man ſich vors erſte mit dieſen allein begnuͤgen — und zwar weil das Haupt die Summe des Koͤrpers, das Profil oder die Grundlinie der Stirn eine Summe des Hauptes iſt — mit der Profillinie des Angeſichts, oder der Grundlinie der Stirn. Jtzt weiß man ſchon, daß jede Linie, je mehr Beylage zum erſten Fragment. Aus der Handſchrift eines ſehr originellen und ſehr vielwiſſenden Selbſtdenkers. „Wir haben ſieben Sinnen — nebſt den gewoͤhnli- „chen, Hunger und Durſt, die ſo unentbehrlich ſind, „als die andern fuͤnfe, und unter keinen von den Sin- „nen beſonders begreiflich, und zum Leben gleichwohl „ſo gehoͤrig, ja von den andern fuͤnfen unabhaͤngig, „den Geſchmack ſelbſt nur zum naͤchſten Probierſtein ha- „bend. — Hunger verlangt immer was dichtes; Durſt „was fluͤſſiges .. Dieſen ſieben Sinnen antworten „gleichſam ſieben Elemente der Koͤrperwelt, das Licht „dem Geſichte; die Luft dem Gehoͤre; das Salz dem „Geſchmacke; die Erde dem Gefuͤhle; das Waſſer „dem Durſte; die Fettigkeit oder Zaͤhigkeit dem Hun- „ger; das Feuer dem Geruche. (Denn lauter fluͤchtige, „brennbar feurige, oder ſalzig feurige Theilchen ſind af- „fizirend fuͤr den Geruch; von Erde und Waſſer und „Luft und Licht riecht man nichts; vom Salz auch nichts, „wenn’s nicht feurig in die Luft getrieben iſt; von Fet- „tigkeiten oder brennbaren Dingen am meiſten, aber nur „ihre ſubtilen feurigen Ausduͤnſtungen, die ihr inneres „Feuer immer austreibt; bey choleriſchen feurigen Na- „turen iſt auch der Geruch am ſchaͤrfſten, und ihre Naſe „zeichnet ſich vor allen heroiſch aus. Alſo denn Feuer „dem Geruche, ſo ſeltſam es auch dem erſten Anſcheine „nach klingen mag!) „Nach dieſen ſieben Elementen nun und ihrer vorzuͤg- „lichen Reizungskraft giebt es ſieben Temperamente „oder Naturelle, wo in jedem Eins der ſieben vorzuͤg- „lich herrſcht, und nach demſelben wohl genannt werden „kann. Wenn die Siebenzahl zu bibliſch klingt, und „nicht philoſophiſch genug, der denke beylaͤufig an „Neutons Lichtſyſtem von ſieben Farben, und die ſie- „ben wolfiſchen Vorſtellungskraͤfte in Baumgartens „kernhafter Metaphyſik. „Bekannt iſt, daß faſt kein Temperament auch von „den vier gemeinen lediglich ganz allein, ſondern mit „den andern im Menſchen vermiſcht iſt, doch gemeinig- „lich eins oder zwey vorzuͤglich mit einander herrſchen, „und mit dem natuͤrlichen Charakter der Seele har- „moniren. Aus dieſer Harmonie moͤchte ſich ergeben, „daß die Seele die Grundkraͤfte aller Elemente, oder „die dieſen Elementen aͤhnlichſte Wirkſamkeits- und „Leidſamkeitsquelle vorzuͤglich originell in ſich enthal- „ten muß; ſonſt moͤchte es wohl keine wirkſame und „leidſame Grundharmonie zwiſchen Leib und Seele ge- „ben. Daß durch Gottes Wort alles Sichtbare aus „Unſichtbarem geworden, iſt bibliſch — und vernuͤnftig, „daß Aeußeres aus dem Jnnern hervorkommen moͤge; „Bild aus Geiſt und Weſen, Ausdruck von Kraft, Wir- „kungsform von Grundthaͤtigkeit, ausgebreitetes Bild „von auswickelndem Original. „Nun herrſcht bey heitern, verſtaͤndigen, ſokratiſchen „Seelen gerade Lichteskraft des Geiſtes, davon das „aͤußere Licht das aͤhnlichſte Bild iſt, im ſanfteſten „Weſen die weiteſte Ausbreitungskraft, die klaͤreſte, all- „gemeinſte Mittheilungskraft, von allen Seiten auf alle „gerade ſich einzudruͤcken; gerade Klarheit ins Unendli- „che fortzuſetzen, und, wenn ſie konzentrirt wird, den „helleſten allmaͤchtigen Brennpunkt zu machen — Das herrſchende, X x 3

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/411>, abgerufen am 23.11.2024.