Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuntes Fragment.
Leidenschaftliche Charakter. Schmerz und Schrecken.
A. Zween Schmerzensköpfe.
Des IV Ban-
des XLIV.
Tafel. Sch.
1. 2.

Auch große Seelen leiden, leiden unnennbare Schmerzen. Keine Größe und Stär-
ke hebt die Empfindung gewisser Schmerzen auf. Balsam gießt sie auf die Wun-
de, und gießt immer fort, so schnell auch die Glut der Wunde ihn wieder verzeh-
re -- Der stärkste aller Menschensöhne litt unaussprechlich; aber trug die unaussprech-
liche Leidenslast durch unaussprechliches Vertrauen auf Gott.

Nachstehende zwey Gesichter leidenhaftig; aber es sind große Seelen, die leiden. Der
Ausdruck ihres Schmerzes ist der Kopfgestalt und den festen Zügen conform.

Sie leiden -- leiden entsetzlich, leiden unschuldig, und wollen sich nicht rächen -- Der obe-
re Kopf ist stärker; der untere feiner und edler. Jn des obern Schmerz scheint sich jedoch Mitleid
mit eines Mitleidenden Schmerz zu mischen. Oder ist's tödtliches, sinnloses Hinstaunen? Mehr
langsam und tief fortbrennender Schmerz ist im obern; im untern mehr Schrey plötzlich durchste-
chenden Schmerzes. Jn beyden fehlt die in solchen Lagen unausbleibliche Queerfalte in der
Stirne.

[Abbildung]

B. Ugolino.
F f f 3
Neuntes Fragment.
Leidenſchaftliche Charakter. Schmerz und Schrecken.
A. Zween Schmerzenskoͤpfe.
Des IV Ban-
des XLIV.
Tafel. Sch.
1. 2.

Auch große Seelen leiden, leiden unnennbare Schmerzen. Keine Groͤße und Staͤr-
ke hebt die Empfindung gewiſſer Schmerzen auf. Balſam gießt ſie auf die Wun-
de, und gießt immer fort, ſo ſchnell auch die Glut der Wunde ihn wieder verzeh-
re — Der ſtaͤrkſte aller Menſchenſoͤhne litt unausſprechlich; aber trug die unausſprech-
liche Leidenslaſt durch unausſprechliches Vertrauen auf Gott.

Nachſtehende zwey Geſichter leidenhaftig; aber es ſind große Seelen, die leiden. Der
Ausdruck ihres Schmerzes iſt der Kopfgeſtalt und den feſten Zuͤgen conform.

Sie leiden — leiden entſetzlich, leiden unſchuldig, und wollen ſich nicht raͤchen — Der obe-
re Kopf iſt ſtaͤrker; der untere feiner und edler. Jn des obern Schmerz ſcheint ſich jedoch Mitleid
mit eines Mitleidenden Schmerz zu miſchen. Oder iſt’s toͤdtliches, ſinnloſes Hinſtaunen? Mehr
langſam und tief fortbrennender Schmerz iſt im obern; im untern mehr Schrey ploͤtzlich durchſte-
chenden Schmerzes. Jn beyden fehlt die in ſolchen Lagen unausbleibliche Queerfalte in der
Stirne.

[Abbildung]

B. Ugolino.
F f f 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0517" n="413"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Neuntes Fragment</hi>.<lb/>
Leiden&#x017F;chaftliche Charakter. Schmerz und Schrecken.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">A.</hi> Zween Schmerzensko&#x0364;pfe.</hi> </head><lb/>
              <note place="left">Des <hi rendition="#aq">IV</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">XLIV.</hi><lb/>
Tafel. <hi rendition="#aq">Sch.</hi><lb/>
1. 2.</note>
              <p><hi rendition="#in">A</hi>uch große Seelen leiden, leiden unnennbare Schmerzen. Keine Gro&#x0364;ße und Sta&#x0364;r-<lb/>
ke hebt die Empfindung gewi&#x017F;&#x017F;er Schmerzen auf. Bal&#x017F;am gießt &#x017F;ie auf die Wun-<lb/>
de, und gießt immer fort, &#x017F;o &#x017F;chnell auch die Glut der Wunde ihn wieder verzeh-<lb/>
re &#x2014; Der &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;te aller Men&#x017F;chen&#x017F;o&#x0364;hne litt unaus&#x017F;prechlich; aber trug die unaus&#x017F;prech-<lb/>
liche Leidensla&#x017F;t durch unaus&#x017F;prechliches Vertrauen auf Gott.</p><lb/>
              <p>Nach&#x017F;tehende zwey Ge&#x017F;ichter leidenhaftig; aber es &#x017F;ind große Seelen, die leiden. Der<lb/>
Ausdruck ihres Schmerzes i&#x017F;t der Kopfge&#x017F;talt und den fe&#x017F;ten Zu&#x0364;gen conform.</p><lb/>
              <p>Sie leiden &#x2014; leiden ent&#x017F;etzlich, leiden un&#x017F;chuldig, und wollen &#x017F;ich nicht ra&#x0364;chen &#x2014; Der obe-<lb/>
re Kopf i&#x017F;t &#x017F;ta&#x0364;rker; der untere feiner und edler. Jn des obern Schmerz &#x017F;cheint &#x017F;ich jedoch Mitleid<lb/>
mit eines Mitleidenden Schmerz zu mi&#x017F;chen. Oder i&#x017F;t&#x2019;s to&#x0364;dtliches, &#x017F;innlo&#x017F;es Hin&#x017F;taunen? Mehr<lb/>
lang&#x017F;am und tief fortbrennender Schmerz i&#x017F;t im obern; im untern mehr Schrey plo&#x0364;tzlich durch&#x017F;te-<lb/>
chenden Schmerzes. Jn beyden fehlt die in &#x017F;olchen Lagen unausbleibliche Queerfalte in der<lb/>
Stirne.</p><lb/>
              <figure/>
            </div>
            <fw place="bottom" type="sig">F f f 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">B.</hi> Ugolino.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0517] Neuntes Fragment. Leidenſchaftliche Charakter. Schmerz und Schrecken. A. Zween Schmerzenskoͤpfe. Auch große Seelen leiden, leiden unnennbare Schmerzen. Keine Groͤße und Staͤr- ke hebt die Empfindung gewiſſer Schmerzen auf. Balſam gießt ſie auf die Wun- de, und gießt immer fort, ſo ſchnell auch die Glut der Wunde ihn wieder verzeh- re — Der ſtaͤrkſte aller Menſchenſoͤhne litt unausſprechlich; aber trug die unausſprech- liche Leidenslaſt durch unausſprechliches Vertrauen auf Gott. Nachſtehende zwey Geſichter leidenhaftig; aber es ſind große Seelen, die leiden. Der Ausdruck ihres Schmerzes iſt der Kopfgeſtalt und den feſten Zuͤgen conform. Sie leiden — leiden entſetzlich, leiden unſchuldig, und wollen ſich nicht raͤchen — Der obe- re Kopf iſt ſtaͤrker; der untere feiner und edler. Jn des obern Schmerz ſcheint ſich jedoch Mitleid mit eines Mitleidenden Schmerz zu miſchen. Oder iſt’s toͤdtliches, ſinnloſes Hinſtaunen? Mehr langſam und tief fortbrennender Schmerz iſt im obern; im untern mehr Schrey ploͤtzlich durchſte- chenden Schmerzes. Jn beyden fehlt die in ſolchen Lagen unausbleibliche Queerfalte in der Stirne. [Abbildung] B. Ugolino. F f f 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/517
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/517>, abgerufen am 22.11.2024.