Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Homogenität. IV. Zugabe. Zwey männliche Profilumrisse.

Jn beyden ist wenigstens der Umriß des untern Augenlieds, besonders die daraus entstehen-
de länglichte Spitze am Ende des Apfels sicherlich unwahr, und kann mit diesem viel versprechenden
Stern durchaus nicht zusammen bestehen; so wie auch das obere Augenlied gewiß in der Natur wei-
ter über den Augapfel hervorstehen wird. Denn die freylich wieder unrichtige, gewiß aber durch ei-
nen ungefähr ähnlichen Zug in der Natur veranlaßte kleine Bogenlinie über diesem obern Augenliede
setzt ein viel kräftigeres und bestimmteres Augenlied voraus -- obgleich ich sogleich hinzuthun muß:
Der Charakter dieses Gesichtes ist nicht von den scharfkräftigen, vordringenden, kühnen.

Daß das Nasenloch in beyden mißzeichnet ist, sieht jeder Anfänger -- obgleich freylich sol-
che Nasen keine weit offnen Löcher haben können. Jn beyden ist der obere Theil des Hinterhaupts
sicherlich heterogen mit dem ganzen, und hat kein Verhältniß zum Halse.



Ganz im entgegengesetzten Charakter ist nachstehendes Fragment eines idealen Gesichtes.
Nur ist die Unterlippe zu groß und abgerundet, um mit allem übrigen homogen zu seyn. Auch steht
das Auge zu tief zurück -- Sonst ist Auge, Augenbraun, und (Wurzel weggerechnet) Nase, und
Oberlippe homogen, und zeigt einen mächtig ergreifenden, über sich selbst herrschenden, empfindungs-
reichen Charakter.

[Abbildung]

Viertes
Homogenitaͤt. IV. Zugabe. Zwey maͤnnliche Profilumriſſe.

Jn beyden iſt wenigſtens der Umriß des untern Augenlieds, beſonders die daraus entſtehen-
de laͤnglichte Spitze am Ende des Apfels ſicherlich unwahr, und kann mit dieſem viel verſprechenden
Stern durchaus nicht zuſammen beſtehen; ſo wie auch das obere Augenlied gewiß in der Natur wei-
ter uͤber den Augapfel hervorſtehen wird. Denn die freylich wieder unrichtige, gewiß aber durch ei-
nen ungefaͤhr aͤhnlichen Zug in der Natur veranlaßte kleine Bogenlinie uͤber dieſem obern Augenliede
ſetzt ein viel kraͤftigeres und beſtimmteres Augenlied voraus — obgleich ich ſogleich hinzuthun muß:
Der Charakter dieſes Geſichtes iſt nicht von den ſcharfkraͤftigen, vordringenden, kuͤhnen.

Daß das Naſenloch in beyden mißzeichnet iſt, ſieht jeder Anfaͤnger — obgleich freylich ſol-
che Naſen keine weit offnen Loͤcher haben koͤnnen. Jn beyden iſt der obere Theil des Hinterhaupts
ſicherlich heterogen mit dem ganzen, und hat kein Verhaͤltniß zum Halſe.



Ganz im entgegengeſetzten Charakter iſt nachſtehendes Fragment eines idealen Geſichtes.
Nur iſt die Unterlippe zu groß und abgerundet, um mit allem uͤbrigen homogen zu ſeyn. Auch ſteht
das Auge zu tief zuruͤck — Sonſt iſt Auge, Augenbraun, und (Wurzel weggerechnet) Naſe, und
Oberlippe homogen, und zeigt einen maͤchtig ergreifenden, uͤber ſich ſelbſt herrſchenden, empfindungs-
reichen Charakter.

[Abbildung]

Viertes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0079" n="55"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Homogenita&#x0364;t. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Zugabe. Zwey ma&#x0364;nnliche Profilumri&#x017F;&#x017F;e.</hi> </fw><lb/>
              <p>Jn beyden i&#x017F;t wenig&#x017F;tens der Umriß des untern Augenlieds, be&#x017F;onders die daraus ent&#x017F;tehen-<lb/>
de la&#x0364;nglichte Spitze am Ende des Apfels &#x017F;icherlich unwahr, und kann mit die&#x017F;em viel ver&#x017F;prechenden<lb/>
Stern durchaus nicht zu&#x017F;ammen be&#x017F;tehen; &#x017F;o wie auch das obere Augenlied gewiß in der Natur wei-<lb/>
ter u&#x0364;ber den Augapfel hervor&#x017F;tehen wird. Denn die freylich wieder unrichtige, gewiß aber durch ei-<lb/>
nen ungefa&#x0364;hr a&#x0364;hnlichen Zug in der Natur veranlaßte kleine Bogenlinie u&#x0364;ber die&#x017F;em obern Augenliede<lb/>
&#x017F;etzt ein viel kra&#x0364;ftigeres und be&#x017F;timmteres Augenlied voraus &#x2014; obgleich ich &#x017F;ogleich hinzuthun muß:<lb/>
Der Charakter die&#x017F;es Ge&#x017F;ichtes i&#x017F;t nicht von den &#x017F;charfkra&#x0364;ftigen, vordringenden, ku&#x0364;hnen.</p><lb/>
              <p>Daß das Na&#x017F;enloch in beyden mißzeichnet i&#x017F;t, &#x017F;ieht jeder Anfa&#x0364;nger &#x2014; obgleich freylich &#x017F;ol-<lb/>
che Na&#x017F;en keine weit offnen Lo&#x0364;cher haben ko&#x0364;nnen. Jn beyden i&#x017F;t der obere Theil des Hinterhaupts<lb/>
&#x017F;icherlich heterogen mit dem ganzen, und hat kein Verha&#x0364;ltniß zum Hal&#x017F;e.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <p>Ganz im entgegenge&#x017F;etzten Charakter i&#x017F;t nach&#x017F;tehendes Fragment eines idealen Ge&#x017F;ichtes.<lb/>
Nur i&#x017F;t die Unterlippe zu groß und abgerundet, um mit allem u&#x0364;brigen homogen zu &#x017F;eyn. Auch &#x017F;teht<lb/>
das Auge zu tief zuru&#x0364;ck &#x2014; Son&#x017F;t i&#x017F;t Auge, Augenbraun, und (Wurzel weggerechnet) Na&#x017F;e, und<lb/>
Oberlippe homogen, und zeigt einen ma&#x0364;chtig ergreifenden, u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t herr&#x017F;chenden, empfindungs-<lb/>
reichen Charakter.</p><lb/>
              <figure/>
            </div>
          </div>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Viertes</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0079] Homogenitaͤt. IV. Zugabe. Zwey maͤnnliche Profilumriſſe. Jn beyden iſt wenigſtens der Umriß des untern Augenlieds, beſonders die daraus entſtehen- de laͤnglichte Spitze am Ende des Apfels ſicherlich unwahr, und kann mit dieſem viel verſprechenden Stern durchaus nicht zuſammen beſtehen; ſo wie auch das obere Augenlied gewiß in der Natur wei- ter uͤber den Augapfel hervorſtehen wird. Denn die freylich wieder unrichtige, gewiß aber durch ei- nen ungefaͤhr aͤhnlichen Zug in der Natur veranlaßte kleine Bogenlinie uͤber dieſem obern Augenliede ſetzt ein viel kraͤftigeres und beſtimmteres Augenlied voraus — obgleich ich ſogleich hinzuthun muß: Der Charakter dieſes Geſichtes iſt nicht von den ſcharfkraͤftigen, vordringenden, kuͤhnen. Daß das Naſenloch in beyden mißzeichnet iſt, ſieht jeder Anfaͤnger — obgleich freylich ſol- che Naſen keine weit offnen Loͤcher haben koͤnnen. Jn beyden iſt der obere Theil des Hinterhaupts ſicherlich heterogen mit dem ganzen, und hat kein Verhaͤltniß zum Halſe. Ganz im entgegengeſetzten Charakter iſt nachſtehendes Fragment eines idealen Geſichtes. Nur iſt die Unterlippe zu groß und abgerundet, um mit allem uͤbrigen homogen zu ſeyn. Auch ſteht das Auge zu tief zuruͤck — Sonſt iſt Auge, Augenbraun, und (Wurzel weggerechnet) Naſe, und Oberlippe homogen, und zeigt einen maͤchtig ergreifenden, uͤber ſich ſelbſt herrſchenden, empfindungs- reichen Charakter. [Abbildung] Viertes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/79
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/79>, abgerufen am 21.11.2024.