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Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914.

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wenn man den Aktunterricht bei Damen einer Dame anvertraute. Ge-
eignete Künstlerinnen hätten wir. Aber ganz ähnlich hat man sich vor
Jahrzehnten in den Fakultäten über das Medizinstudium der Frauen
geäußert, und diese Bedenken sind jetzt auf Grund der Erfahrung still
geworden. Was aber das Aktstudium anlangt, so arbeiten tatsächlich
allerorten, in München, Berlin, Paris, (am Staedelschen Jnstitut zu
Frankfurt a. M. unter Leitung einer Bildhauerin) usw. Männer und Frauen
gemeinsam in einer Reihe von Schulen vor dem nackten Modell, und ich
kann aus eigener Erfahrung sagen, daß ich nirgends auch nur die geringste
Unzuträglichkelt beobachtet habe. Es wird gerade vor dem Aktmodell
mit ernstester Hingabe gearbeitet. Das ist auch natürlich, denn diese Arbeit
spannt die künstlerische Kraft auf das höchste an. Jch persönlich bedauere
den Künstler, sei es Mann oder Weib, Schüler oder Lehrer, dem der Anblick
des Nackten bei der künstlerischen Arbeit Anregung zu Häßlichkeiten oder
Furcht vor solchen bei sich und andern gibt. Er hätte nach meiner Meinung
etwas anderes werden sollen als Künstler, denn er hat die innere Vor-
bedingung künstlerischer Arbeit nicht, die restlose, unbeirrte Hingabe an
den künstlerischen Eindruck, und diese unbeirrte, selbstvergessene Hingabe
ist das größte Glück des Künstlers, das solchen anderen fremd bleibt. - Jch
habe bezüglich des Einwands des Platzmangels von Aufstellung eines
Leitsatzes abgesehen, weil mir ein solcher zu spezialisierend schien, möchte
Jhnen aber anheimstellen, einen diesbezüglichen Satz einzuschieben, wenn
es Jhnen zweckmäßig erscheint.

Einen Punkt noch möchte ich aus dem damaligen Bericht des Ver-
treters der Regierung berühren. Er wies auf andere den Frauen offen
stehende staatliche Bildungsmöglichkeiten hin, speziell auf das König-
liche Kunstgewerbemuseum und die Kunstschule zu Berlin, die wesentlich
Zeichenlehrerseminar ist. Beide haben aber andere Lehrziele und gehen
andere Lehrwege als die Akademie, Lehrwege, die den frei schaffenden
Künstler nicht direkt zum Ziele führen. Kunstgewerbe und akademische
Kunst, um sie einmal so zu bezeichnen, sind gleichwertig, aber wesens-

wenn man den Aktunterricht bei Damen einer Dame anvertraute. Ge-
eignete Künstlerinnen hätten wir. Aber ganz ähnlich hat man sich vor
Jahrzehnten in den Fakultäten über das Medizinstudium der Frauen
geäußert, und diese Bedenken sind jetzt auf Grund der Erfahrung still
geworden. Was aber das Aktstudium anlangt, so arbeiten tatsächlich
allerorten, in München, Berlin, Paris, (am Staedelschen Jnstitut zu
Frankfurt a. M. unter Leitung einer Bildhauerin) usw. Männer und Frauen
gemeinsam in einer Reihe von Schulen vor dem nackten Modell, und ich
kann aus eigener Erfahrung sagen, daß ich nirgends auch nur die geringste
Unzuträglichkelt beobachtet habe. Es wird gerade vor dem Aktmodell
mit ernstester Hingabe gearbeitet. Das ist auch natürlich, denn diese Arbeit
spannt die künstlerische Kraft auf das höchste an. Jch persönlich bedauere
den Künstler, sei es Mann oder Weib, Schüler oder Lehrer, dem der Anblick
des Nackten bei der künstlerischen Arbeit Anregung zu Häßlichkeiten oder
Furcht vor solchen bei sich und andern gibt. Er hätte nach meiner Meinung
etwas anderes werden sollen als Künstler, denn er hat die innere Vor-
bedingung künstlerischer Arbeit nicht, die restlose, unbeirrte Hingabe an
den künstlerischen Eindruck, und diese unbeirrte, selbstvergessene Hingabe
ist das größte Glück des Künstlers, das solchen anderen fremd bleibt. – Jch
habe bezüglich des Einwands des Platzmangels von Aufstellung eines
Leitsatzes abgesehen, weil mir ein solcher zu spezialisierend schien, möchte
Jhnen aber anheimstellen, einen diesbezüglichen Satz einzuschieben, wenn
es Jhnen zweckmäßig erscheint.

Einen Punkt noch möchte ich aus dem damaligen Bericht des Ver-
treters der Regierung berühren. Er wies auf andere den Frauen offen
stehende staatliche Bildungsmöglichkeiten hin, speziell auf das König-
liche Kunstgewerbemuseum und die Kunstschule zu Berlin, die wesentlich
Zeichenlehrerseminar ist. Beide haben aber andere Lehrziele und gehen
andere Lehrwege als die Akademie, Lehrwege, die den frei schaffenden
Künstler nicht direkt zum Ziele führen. Kunstgewerbe und akademische
Kunst, um sie einmal so zu bezeichnen, sind gleichwertig, aber wesens-

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[22/0028] wenn man den Aktunterricht bei Damen einer Dame anvertraute. Ge- eignete Künstlerinnen hätten wir. Aber ganz ähnlich hat man sich vor Jahrzehnten in den Fakultäten über das Medizinstudium der Frauen geäußert, und diese Bedenken sind jetzt auf Grund der Erfahrung still geworden. Was aber das Aktstudium anlangt, so arbeiten tatsächlich allerorten, in München, Berlin, Paris, (am Staedelschen Jnstitut zu Frankfurt a. M. unter Leitung einer Bildhauerin) usw. Männer und Frauen gemeinsam in einer Reihe von Schulen vor dem nackten Modell, und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, daß ich nirgends auch nur die geringste Unzuträglichkelt beobachtet habe. Es wird gerade vor dem Aktmodell mit ernstester Hingabe gearbeitet. Das ist auch natürlich, denn diese Arbeit spannt die künstlerische Kraft auf das höchste an. Jch persönlich bedauere den Künstler, sei es Mann oder Weib, Schüler oder Lehrer, dem der Anblick des Nackten bei der künstlerischen Arbeit Anregung zu Häßlichkeiten oder Furcht vor solchen bei sich und andern gibt. Er hätte nach meiner Meinung etwas anderes werden sollen als Künstler, denn er hat die innere Vor- bedingung künstlerischer Arbeit nicht, die restlose, unbeirrte Hingabe an den künstlerischen Eindruck, und diese unbeirrte, selbstvergessene Hingabe ist das größte Glück des Künstlers, das solchen anderen fremd bleibt. – Jch habe bezüglich des Einwands des Platzmangels von Aufstellung eines Leitsatzes abgesehen, weil mir ein solcher zu spezialisierend schien, möchte Jhnen aber anheimstellen, einen diesbezüglichen Satz einzuschieben, wenn es Jhnen zweckmäßig erscheint. Einen Punkt noch möchte ich aus dem damaligen Bericht des Ver- treters der Regierung berühren. Er wies auf andere den Frauen offen stehende staatliche Bildungsmöglichkeiten hin, speziell auf das König- liche Kunstgewerbemuseum und die Kunstschule zu Berlin, die wesentlich Zeichenlehrerseminar ist. Beide haben aber andere Lehrziele und gehen andere Lehrwege als die Akademie, Lehrwege, die den frei schaffenden Künstler nicht direkt zum Ziele führen. Kunstgewerbe und akademische Kunst, um sie einmal so zu bezeichnen, sind gleichwertig, aber wesens-

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Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-07-11T15:25:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-07-11T15:25:44Z)

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Zitationshilfe: Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_kunststudium_1913/28>, abgerufen am 21.11.2024.