Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_109.001 ple_109.005 ple_109.009 1) ple_109.040
In diesem Sinne hat G. Th. Fechner in der Vorschule der Ästhetik eine ple_109.041 Anzahl Gesetze des dichterischen Baues unter dem Namen "Prinzipien des ästhetischen ple_109.042 Kontrasts, der ästhetischen Folge und Versöhnung" aufgestellt (Bd. II S. 231 ff.). Die ple_109.043 folgende Betrachtung lehnt sich zum Teil an ihn an, ohne ihm ganz zu folgen. ple_109.001 ple_109.005 ple_109.009 1) ple_109.040
In diesem Sinne hat G. Th. Fechner in der Vorschule der Ästhetik eine ple_109.041 Anzahl Gesetze des dichterischen Baues unter dem Namen „Prinzipien des ästhetischen ple_109.042 Kontrasts, der ästhetischen Folge und Versöhnung“ aufgestellt (Bd. II S. 231 ff.). Die ple_109.043 folgende Betrachtung lehnt sich zum Teil an ihn an, ohne ihm ganz zu folgen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0123" n="109"/><lb n="ple_109.001"/> sich die allgemeinen Gesetze, denen er folgt, fast durchweg verstandesmäßig <lb n="ple_109.002"/> erkennen und aussprechen. Die psychologische Grundlage der organischen <lb n="ple_109.003"/> Bildungsgesetze poetischer Werke ist in keinem anderen Punkt so <lb n="ple_109.004"/> faßbar und zugänglich wie hier.</p> <p><lb n="ple_109.005"/> Aus diesem Grunde ist es belehrend und vorteilhaft, die Gesetze der <lb n="ple_109.006"/> Komposition in ihrer allgemeinen Form aufzustellen und zusammenzufassen.<note xml:id="ple_109_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_109.040"/> In diesem Sinne hat G. Th. <hi rendition="#k">Fechner</hi> in der <hi rendition="#g">Vorschule der Ästhetik</hi> eine <lb n="ple_109.041"/> Anzahl Gesetze des dichterischen Baues unter dem Namen „Prinzipien des ästhetischen <lb n="ple_109.042"/> Kontrasts, der ästhetischen Folge und Versöhnung“ aufgestellt (Bd. II S. 231 ff.). Die <lb n="ple_109.043"/> folgende Betrachtung lehnt sich zum Teil an ihn an, ohne ihm ganz zu folgen.</note> <lb n="ple_109.007"/> Ihre ganze Bedeutung erhellt allerdings erst aus den besonderen Modifikationen, <lb n="ple_109.008"/> die sie innerhalb der einzelnen Dichtungsgattungen annehmen.</p> <p><lb n="ple_109.009"/> Das gilt ganz besonders von demjenigen Prinzip, das man als erstes <lb n="ple_109.010"/> und unumstößliches Gesetz dichterischer Komposition aufzustellen pflegt: <lb n="ple_109.011"/> dem der <hi rendition="#g">Einheit.</hi> In der Tat kommt darin die allgemeinste Voraussetzung <lb n="ple_109.012"/> eines jeden Kunstwerks zum Ausdruck, daß es nämlich aus einer einheitlich <lb n="ple_109.013"/> bestimmten Intention des schaffenden Künstlers hervorgegangen sein <lb n="ple_109.014"/> muß und dementsprechend wirken soll. Nun wird freilich eine solche einheitliche <lb n="ple_109.015"/> Intention immer vorhanden sein, wenn ein Dichter ein Werk beginnt, <lb n="ple_109.016"/> nur daß dieselbe durch äußere oder innere Umstände gestört und <lb n="ple_109.017"/> verschoben werden kann, zumal wenn über der Ausführung lange Zeit vergeht. <lb n="ple_109.018"/> Daß in einem solchen Falle auch die Wirkung beeinträchtigt wird, <lb n="ple_109.019"/> ist allerdings klar, und man sieht das beispielsweise am Don Carlos oder <lb n="ple_109.020"/> am zweiten Teil des Faust. Aber solche Umstände werden immer nur <lb n="ple_109.021"/> ausnahmsweise und wider Willen des Dichters eintreten, und die Verschiebung <lb n="ple_109.022"/> wird ihm im allgemeinen nicht zum Bewußtsein kommen. So erscheint <lb n="ple_109.023"/> das Gesetz der Einheit in seiner allgemeinen Form als selbstverständlich <lb n="ple_109.024"/> und daher wenig ergiebig. Die besonderen Formen aber, die <lb n="ple_109.025"/> es innerhalb der einzelnen Gattungen annimmt, bilden gleichwohl mehrfach <lb n="ple_109.026"/> Probleme, von deren Auffassung die künstlerische Gestaltung und das <lb n="ple_109.027"/> ästhetische Urteil wesentlich mit bestimmt wird. Wir werden im Anschluß <lb n="ple_109.028"/> an die ältere Ästhetik schon hier den allgemeinen Satz aufstellen dürfen, <lb n="ple_109.029"/> daß alle lyrische Darstellung die <hi rendition="#g">Einheit</hi> eines <hi rendition="#g">Zustandes,</hi> alle epische <lb n="ple_109.030"/> die Einheit der <hi rendition="#g">Entwicklung,</hi> alle dramatische die der <hi rendition="#g">Handlung</hi> voraussetzt <lb n="ple_109.031"/> und fordert. Allein diese Begriffe sind an sich keineswegs eindeutig <lb n="ple_109.032"/> und zweifelsfrei; sie können erst aus den späteren Erörterungen <lb n="ple_109.033"/> volles Licht empfangen, und dann werden uns auch die Fragen deutlich <lb n="ple_109.034"/> werden, die sich an sie knüpfen, wie z. B. die, ob die Einheit des Helden <lb n="ple_109.035"/> für das Epos ausreichend ist oder ob wir Aristoteles noch heute recht <lb n="ple_109.036"/> geben müssen, wenn er auch für die epische Dichtung die Einheit der <lb n="ple_109.037"/> Handlung in dem gleichen Sinne wie für das Drama fordert. Auch die <lb n="ple_109.038"/> Einheit des Stils und seiner Formen, die an sich ebenso selbstverständlich <lb n="ple_109.039"/> erscheint, wie die des Inhalts, kann zu Zweifeln Anlaß geben: ist es künstlerisch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0123]
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sich die allgemeinen Gesetze, denen er folgt, fast durchweg verstandesmäßig ple_109.002
erkennen und aussprechen. Die psychologische Grundlage der organischen ple_109.003
Bildungsgesetze poetischer Werke ist in keinem anderen Punkt so ple_109.004
faßbar und zugänglich wie hier.
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Aus diesem Grunde ist es belehrend und vorteilhaft, die Gesetze der ple_109.006
Komposition in ihrer allgemeinen Form aufzustellen und zusammenzufassen. 1) ple_109.007
Ihre ganze Bedeutung erhellt allerdings erst aus den besonderen Modifikationen, ple_109.008
die sie innerhalb der einzelnen Dichtungsgattungen annehmen.
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Das gilt ganz besonders von demjenigen Prinzip, das man als erstes ple_109.010
und unumstößliches Gesetz dichterischer Komposition aufzustellen pflegt: ple_109.011
dem der Einheit. In der Tat kommt darin die allgemeinste Voraussetzung ple_109.012
eines jeden Kunstwerks zum Ausdruck, daß es nämlich aus einer einheitlich ple_109.013
bestimmten Intention des schaffenden Künstlers hervorgegangen sein ple_109.014
muß und dementsprechend wirken soll. Nun wird freilich eine solche einheitliche ple_109.015
Intention immer vorhanden sein, wenn ein Dichter ein Werk beginnt, ple_109.016
nur daß dieselbe durch äußere oder innere Umstände gestört und ple_109.017
verschoben werden kann, zumal wenn über der Ausführung lange Zeit vergeht. ple_109.018
Daß in einem solchen Falle auch die Wirkung beeinträchtigt wird, ple_109.019
ist allerdings klar, und man sieht das beispielsweise am Don Carlos oder ple_109.020
am zweiten Teil des Faust. Aber solche Umstände werden immer nur ple_109.021
ausnahmsweise und wider Willen des Dichters eintreten, und die Verschiebung ple_109.022
wird ihm im allgemeinen nicht zum Bewußtsein kommen. So erscheint ple_109.023
das Gesetz der Einheit in seiner allgemeinen Form als selbstverständlich ple_109.024
und daher wenig ergiebig. Die besonderen Formen aber, die ple_109.025
es innerhalb der einzelnen Gattungen annimmt, bilden gleichwohl mehrfach ple_109.026
Probleme, von deren Auffassung die künstlerische Gestaltung und das ple_109.027
ästhetische Urteil wesentlich mit bestimmt wird. Wir werden im Anschluß ple_109.028
an die ältere Ästhetik schon hier den allgemeinen Satz aufstellen dürfen, ple_109.029
daß alle lyrische Darstellung die Einheit eines Zustandes, alle epische ple_109.030
die Einheit der Entwicklung, alle dramatische die der Handlung voraussetzt ple_109.031
und fordert. Allein diese Begriffe sind an sich keineswegs eindeutig ple_109.032
und zweifelsfrei; sie können erst aus den späteren Erörterungen ple_109.033
volles Licht empfangen, und dann werden uns auch die Fragen deutlich ple_109.034
werden, die sich an sie knüpfen, wie z. B. die, ob die Einheit des Helden ple_109.035
für das Epos ausreichend ist oder ob wir Aristoteles noch heute recht ple_109.036
geben müssen, wenn er auch für die epische Dichtung die Einheit der ple_109.037
Handlung in dem gleichen Sinne wie für das Drama fordert. Auch die ple_109.038
Einheit des Stils und seiner Formen, die an sich ebenso selbstverständlich ple_109.039
erscheint, wie die des Inhalts, kann zu Zweifeln Anlaß geben: ist es künstlerisch
1) ple_109.040
In diesem Sinne hat G. Th. Fechner in der Vorschule der Ästhetik eine ple_109.041
Anzahl Gesetze des dichterischen Baues unter dem Namen „Prinzipien des ästhetischen ple_109.042
Kontrasts, der ästhetischen Folge und Versöhnung“ aufgestellt (Bd. II S. 231 ff.). Die ple_109.043
folgende Betrachtung lehnt sich zum Teil an ihn an, ohne ihm ganz zu folgen.
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