Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_127.001 ple_127.013 1) ple_127.040
S. 88 und 124 seiner oben genannten Psychologie der Lyrik. Die wertvollere ple_127.041 zweite Hälfte dieses Buches enthält eine Reihe belehrender Studien und reiches Material ple_127.042 zur Frage der Symbolik in der lyrischen Dichtung. ple_127.001 ple_127.013 1) ple_127.040
S. 88 und 124 seiner oben genannten Psychologie der Lyrik. Die wertvollere ple_127.041 zweite Hälfte dieses Buches enthält eine Reihe belehrender Studien und reiches Material ple_127.042 zur Frage der Symbolik in der lyrischen Dichtung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0141" n="127"/><lb n="ple_127.001"/> Liebende sieht, wie Goethe einmal sagt, alles mit Bezug auf die Geliebte; <lb n="ple_127.002"/> der Trauernde findet überall Beziehung zu seinem Schmerz. Jenes macht <lb n="ple_127.003"/> uns das Bedürfnis des Dichters nach sinnbildlicher Ausdrucksweise verständlich; <lb n="ple_127.004"/> in diesem liegt der größte Teil der Erscheinung, die heutige <lb n="ple_127.005"/> Ästhetiker als <hi rendition="#g">Einfühlung</hi> zu bezeichnen pflegen, begründet. Der Dichter <lb n="ple_127.006"/> belebt die Gegenstände der Natur mit seinen eigenen Gefühlen, er belebt <lb n="ple_127.007"/> sie, bis sie ihm als selbständige Wesen, als Personen erscheinen. Das bedeuten <lb n="ple_127.008"/> die Schillerschen Verse: <lb n="ple_127.009"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>„Da lebte mir der Baum, die Rose,</l><lb n="ple_127.010"/><l>Mir sang der Quellen Silberfall;</l><lb n="ple_127.011"/><l>Es fühlte selbst das Seelenlose</l><lb n="ple_127.012"/><l>Von meines Lebens Wiederhall.“</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_127.013"/> „Wo das Objekt auch nur von Ferne an Menschliches gemahnt“, sagt <lb n="ple_127.014"/> du Prel,<note xml:id="ple_127_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_127.040"/> S. 88 und 124 seiner oben genannten Psychologie der Lyrik. Die wertvollere <lb n="ple_127.041"/> zweite Hälfte dieses Buches enthält eine Reihe belehrender Studien und reiches Material <lb n="ple_127.042"/> zur Frage der Symbolik in der lyrischen Dichtung.</note> „beseele ich es menschlich, vermöge der wunderbaren Fähigkeit <lb n="ple_127.015"/> der Phantasie, sich in äußere Objekte hineinzuleben. Ein steiler Fels <lb n="ple_127.016"/> scheint trotzig die Stirne zu erheben; ein Bach springt fröhlich den Wiesenhang <lb n="ple_127.017"/> hinab; Blumen lachen uns freundlichen Auges an. — In der Naturbeseelung <lb n="ple_127.018"/> decken sich also die äußeren Formen der Dinge mit den ihnen <lb n="ple_127.019"/> untergelegten Empfindungen. Die Formen mögen starr sein oder veränderlich, <lb n="ple_127.020"/> immer sind sie uns der äußerliche Ausdruck eines geheimnisvollen <lb n="ple_127.021"/> Innern, das wir uns in menschlicher Art vorstellen, weil wir außer <lb n="ple_127.022"/> dieser Analogie gar keinen anderen Maßstab des Verständnisses haben. <lb n="ple_127.023"/> Wir, deren Mienen und Geberden so innig verflochten sind mit unseren <lb n="ple_127.024"/> Seelenzuständen, daß das jeweilige äußerliche Verhalten unseres Leibes bis <lb n="ple_127.025"/> in die Fingerspitzen durchgeistigt ist, wir schauen auch aus den Gestalten <lb n="ple_127.026"/> der Naturobjekte und aus ihren Tätigkeiten, wenn sie noch so leise an <lb n="ple_127.027"/> menschliches Verhalten mahnen, die korrespondierenden menschlichen Empfindungen <lb n="ple_127.028"/> heraus. Kurz, weil unsere Leiblichkeit immer ganz und gar <lb n="ple_127.029"/> der äußere Ausdruck eines ganz bestimmten Innern ist, so erscheinen uns <lb n="ple_127.030"/> auch die leblosen Dinge bis in die letzten Ausläufer ihrer Formen beseelt. <lb n="ple_127.031"/> Darauf beruht die ästhetische Wirkung aller landschaftlichen Objekte; auch <lb n="ple_127.032"/> leblose Dinge erfüllen wir mit Freud und Leid, mit Liebe und Haß, und <lb n="ple_127.033"/> dadurch erst treten sie uns ästhetisch nahe.“ Und durchaus dichterisch <lb n="ple_127.034"/> empfunden ist, was Hebbel einmal in sein Tagebuch schreibt (Tagebücher, <lb n="ple_127.035"/> herausg. von R. M. Werner Nr. 1083): „Welch hohe Freudigkeit der Seele, <lb n="ple_127.036"/> welch ein Mut für alle Zukunft im Menschen erwacht, wenn ihm die <lb n="ple_127.037"/> zwischen den ewigen, den Fundamentalgefühlen in seinem Innern und den <lb n="ple_127.038"/> Erscheinungen der Natur bestehende untrennbare Harmonie in klarem Lichte <lb n="ple_127.039"/> aufgeht, das scheint niemand zu wissen.“</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0141]
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Liebende sieht, wie Goethe einmal sagt, alles mit Bezug auf die Geliebte; ple_127.002
der Trauernde findet überall Beziehung zu seinem Schmerz. Jenes macht ple_127.003
uns das Bedürfnis des Dichters nach sinnbildlicher Ausdrucksweise verständlich; ple_127.004
in diesem liegt der größte Teil der Erscheinung, die heutige ple_127.005
Ästhetiker als Einfühlung zu bezeichnen pflegen, begründet. Der Dichter ple_127.006
belebt die Gegenstände der Natur mit seinen eigenen Gefühlen, er belebt ple_127.007
sie, bis sie ihm als selbständige Wesen, als Personen erscheinen. Das bedeuten ple_127.008
die Schillerschen Verse: ple_127.009
„Da lebte mir der Baum, die Rose, ple_127.010
Mir sang der Quellen Silberfall; ple_127.011
Es fühlte selbst das Seelenlose ple_127.012
Von meines Lebens Wiederhall.“
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„Wo das Objekt auch nur von Ferne an Menschliches gemahnt“, sagt ple_127.014
du Prel, 1) „beseele ich es menschlich, vermöge der wunderbaren Fähigkeit ple_127.015
der Phantasie, sich in äußere Objekte hineinzuleben. Ein steiler Fels ple_127.016
scheint trotzig die Stirne zu erheben; ein Bach springt fröhlich den Wiesenhang ple_127.017
hinab; Blumen lachen uns freundlichen Auges an. — In der Naturbeseelung ple_127.018
decken sich also die äußeren Formen der Dinge mit den ihnen ple_127.019
untergelegten Empfindungen. Die Formen mögen starr sein oder veränderlich, ple_127.020
immer sind sie uns der äußerliche Ausdruck eines geheimnisvollen ple_127.021
Innern, das wir uns in menschlicher Art vorstellen, weil wir außer ple_127.022
dieser Analogie gar keinen anderen Maßstab des Verständnisses haben. ple_127.023
Wir, deren Mienen und Geberden so innig verflochten sind mit unseren ple_127.024
Seelenzuständen, daß das jeweilige äußerliche Verhalten unseres Leibes bis ple_127.025
in die Fingerspitzen durchgeistigt ist, wir schauen auch aus den Gestalten ple_127.026
der Naturobjekte und aus ihren Tätigkeiten, wenn sie noch so leise an ple_127.027
menschliches Verhalten mahnen, die korrespondierenden menschlichen Empfindungen ple_127.028
heraus. Kurz, weil unsere Leiblichkeit immer ganz und gar ple_127.029
der äußere Ausdruck eines ganz bestimmten Innern ist, so erscheinen uns ple_127.030
auch die leblosen Dinge bis in die letzten Ausläufer ihrer Formen beseelt. ple_127.031
Darauf beruht die ästhetische Wirkung aller landschaftlichen Objekte; auch ple_127.032
leblose Dinge erfüllen wir mit Freud und Leid, mit Liebe und Haß, und ple_127.033
dadurch erst treten sie uns ästhetisch nahe.“ Und durchaus dichterisch ple_127.034
empfunden ist, was Hebbel einmal in sein Tagebuch schreibt (Tagebücher, ple_127.035
herausg. von R. M. Werner Nr. 1083): „Welch hohe Freudigkeit der Seele, ple_127.036
welch ein Mut für alle Zukunft im Menschen erwacht, wenn ihm die ple_127.037
zwischen den ewigen, den Fundamentalgefühlen in seinem Innern und den ple_127.038
Erscheinungen der Natur bestehende untrennbare Harmonie in klarem Lichte ple_127.039
aufgeht, das scheint niemand zu wissen.“
1) ple_127.040
S. 88 und 124 seiner oben genannten Psychologie der Lyrik. Die wertvollere ple_127.041
zweite Hälfte dieses Buches enthält eine Reihe belehrender Studien und reiches Material ple_127.042
zur Frage der Symbolik in der lyrischen Dichtung.
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