Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_151.001 ple_151.031 1) ple_151.041
Vgl. Herders und Th. A. Meyers kritische Betrachtungen zum Laokoon, oben ple_151.042 S. 76 und 80. ple_151.001 ple_151.031 1) ple_151.041
Vgl. Herders und Th. A. Meyers kritische Betrachtungen zum Laokoon, oben ple_151.042 S. 76 und 80. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0165" n="151"/><lb n="ple_151.001"/> die so alt ist wie die Poesie überhaupt. „Es ist“, sagt Spielhagen mit <lb n="ple_151.002"/> Recht, „eine Eigentümlichkeit der epischen Phantasie, den Menschen immer <lb n="ple_151.003"/> auf dem Hintergrunde der Natur, immer in Zusammenhang mit der Abhängigkeit <lb n="ple_151.004"/> von den Bedingungen der Kultur, d. h. also so zu sehen, wie <lb n="ple_151.005"/> ihn die moderne Wissenschaft auch sieht“ (a. a. O. S. 41). Auch diese <lb n="ple_151.006"/> Eigenschaft wirkt notwendigerweise retardierend auf den Gang der epischen <lb n="ple_151.007"/> Darstellung. Sie nötigt, wie jene erste Forderung, zu einer gewissen Breite, <lb n="ple_151.008"/> zur Einführung z. B. einer größeren Anzahl von Nebenpersonen, zur Erwähnung <lb n="ple_151.009"/> oder Darstellung von Ereignissen, die auf den Hauptgang der <lb n="ple_151.010"/> Handlung keinen unmittelbaren Einfluß haben, aber sie gleichwohl in ihrem <lb n="ple_151.011"/> weiteren Zusammenhang verständlicher machen. Eingehendere Schilderungen <lb n="ple_151.012"/> von Örtlichkeiten und Gegenständen werden freilich für diesen <lb n="ple_151.013"/> Zweck so wenig wie für jenen nötig sein. Lessing untersagt bekanntlich <lb n="ple_151.014"/> im Laokoon dem Epiker das Beschreiben ganz und gar; er verlangt, daß <lb n="ple_151.015"/> jede Schilderung in Handlung umgesetzt werde. In dieser Allgemeinheit <lb n="ple_151.016"/> ausgesprochen ist das Gesetz etwas äußerlich und zudem nicht frei von <lb n="ple_151.017"/> Pedanterie; und nicht ganz ohne Pedanterie haben sich auch unsere <lb n="ple_151.018"/> Klassiker daran gebunden, wie z. B. Schiller im Kampf mit dem Drachen <lb n="ple_151.019"/> statt des wirklichen Ungetüms, das er nur beschreiben konnte, den Kunstdrachen <lb n="ple_151.020"/> schildert, an dem der Ritter sich übt, weil dieser vor unseren Augen <lb n="ple_151.021"/> hergestellt werden kann. Soviel aber ist an Lessings Lehre vollkommen <lb n="ple_151.022"/> richtig, daß der Epiker durch Schilderungen von Örtlichkeiten und Gegenständen, <lb n="ple_151.023"/> sei es der Natur, sei es der Kunst, uns immer nur soweit interessieren <lb n="ple_151.024"/> wird, wie er sie in unmittelbaren Zusammenhang mit den Interessen <lb n="ple_151.025"/> und Handlungen seiner Menschen zu bringen vermag. Und dies wird in <lb n="ple_151.026"/> der Tat am sichersten geschehen, wenn er sie in ihrer Wirkung oder, <lb n="ple_151.027"/> wo das möglich ist, in ihrer Entstehung darstellt. Die indirekte Schilderung <lb n="ple_151.028"/> wird unter allen Umständen der direkten vorzuziehen sein, eben weil sie <lb n="ple_151.029"/> von vornherein in jenem Zusammenhang erscheint, den die andere erst <lb n="ple_151.030"/> nachträglich herstellt.<note xml:id="ple_151_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_151.041"/> Vgl. Herders und Th. A. Meyers kritische Betrachtungen zum Laokoon, oben <lb n="ple_151.042"/> S. 76 und 80.</note> </p> <p><lb n="ple_151.031"/> Diese Grundeigentümlichkeiten des epischen Stils treten nun allerdings, <lb n="ple_151.032"/> darin hat die ältere Ästhetik recht, im Volksepos am deutlichsten hervor. <lb n="ple_151.033"/> Die großzügige Einfachheit der Handlung, die in der Epopöe herrscht, ermöglicht <lb n="ple_151.034"/> es dem Dichter, sie zugleich äußerlich vollkommen anschaulich <lb n="ple_151.035"/> und in ihrer inneren Motivierung vollkommen klar darzustellen. In dem <lb n="ple_151.036"/> lebhaft beweglichen Antlitz der Achäischen Helden scheint sich jede Regung <lb n="ple_151.037"/> ihres leicht aufbrausenden Südländer-Temperaments widerzuspiegeln. Aber <lb n="ple_151.038"/> auch die starren Charaktere des nordischen Heldengesangs erscheinen wie <lb n="ple_151.039"/> durchsichtig. Einfache und starke Instinkte herrschen durchweg und <lb n="ple_151.040"/> setzen sich rasch und vollkommen in Worte, ebenso rasch in Taten um. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [151/0165]
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die so alt ist wie die Poesie überhaupt. „Es ist“, sagt Spielhagen mit ple_151.002
Recht, „eine Eigentümlichkeit der epischen Phantasie, den Menschen immer ple_151.003
auf dem Hintergrunde der Natur, immer in Zusammenhang mit der Abhängigkeit ple_151.004
von den Bedingungen der Kultur, d. h. also so zu sehen, wie ple_151.005
ihn die moderne Wissenschaft auch sieht“ (a. a. O. S. 41). Auch diese ple_151.006
Eigenschaft wirkt notwendigerweise retardierend auf den Gang der epischen ple_151.007
Darstellung. Sie nötigt, wie jene erste Forderung, zu einer gewissen Breite, ple_151.008
zur Einführung z. B. einer größeren Anzahl von Nebenpersonen, zur Erwähnung ple_151.009
oder Darstellung von Ereignissen, die auf den Hauptgang der ple_151.010
Handlung keinen unmittelbaren Einfluß haben, aber sie gleichwohl in ihrem ple_151.011
weiteren Zusammenhang verständlicher machen. Eingehendere Schilderungen ple_151.012
von Örtlichkeiten und Gegenständen werden freilich für diesen ple_151.013
Zweck so wenig wie für jenen nötig sein. Lessing untersagt bekanntlich ple_151.014
im Laokoon dem Epiker das Beschreiben ganz und gar; er verlangt, daß ple_151.015
jede Schilderung in Handlung umgesetzt werde. In dieser Allgemeinheit ple_151.016
ausgesprochen ist das Gesetz etwas äußerlich und zudem nicht frei von ple_151.017
Pedanterie; und nicht ganz ohne Pedanterie haben sich auch unsere ple_151.018
Klassiker daran gebunden, wie z. B. Schiller im Kampf mit dem Drachen ple_151.019
statt des wirklichen Ungetüms, das er nur beschreiben konnte, den Kunstdrachen ple_151.020
schildert, an dem der Ritter sich übt, weil dieser vor unseren Augen ple_151.021
hergestellt werden kann. Soviel aber ist an Lessings Lehre vollkommen ple_151.022
richtig, daß der Epiker durch Schilderungen von Örtlichkeiten und Gegenständen, ple_151.023
sei es der Natur, sei es der Kunst, uns immer nur soweit interessieren ple_151.024
wird, wie er sie in unmittelbaren Zusammenhang mit den Interessen ple_151.025
und Handlungen seiner Menschen zu bringen vermag. Und dies wird in ple_151.026
der Tat am sichersten geschehen, wenn er sie in ihrer Wirkung oder, ple_151.027
wo das möglich ist, in ihrer Entstehung darstellt. Die indirekte Schilderung ple_151.028
wird unter allen Umständen der direkten vorzuziehen sein, eben weil sie ple_151.029
von vornherein in jenem Zusammenhang erscheint, den die andere erst ple_151.030
nachträglich herstellt. 1)
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Diese Grundeigentümlichkeiten des epischen Stils treten nun allerdings, ple_151.032
darin hat die ältere Ästhetik recht, im Volksepos am deutlichsten hervor. ple_151.033
Die großzügige Einfachheit der Handlung, die in der Epopöe herrscht, ermöglicht ple_151.034
es dem Dichter, sie zugleich äußerlich vollkommen anschaulich ple_151.035
und in ihrer inneren Motivierung vollkommen klar darzustellen. In dem ple_151.036
lebhaft beweglichen Antlitz der Achäischen Helden scheint sich jede Regung ple_151.037
ihres leicht aufbrausenden Südländer-Temperaments widerzuspiegeln. Aber ple_151.038
auch die starren Charaktere des nordischen Heldengesangs erscheinen wie ple_151.039
durchsichtig. Einfache und starke Instinkte herrschen durchweg und ple_151.040
setzen sich rasch und vollkommen in Worte, ebenso rasch in Taten um.
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