Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_157.001 ple_157.016 ple_157.022 1) ple_157.040
Poetik c. 8: "muthos d'estin eis, oukh, osper tines oiontai, ean peri ena e ..... praxeis ple_157.041 enos pollai eisin, ex on mia oudemia ginetai praxis. dio pantes eoikasin amartanein osoi ton ple_157.042 poieton Erakleida, Theseida kai ta toiauta poiemata pepoiekasin. oiontai gar, epei eis en ple_157.043 o Erakles, ena kai ton muthon einai prosekein." ple_157.001 ple_157.016 ple_157.022 1) ple_157.040
Poetik c. 8: „μῦθος δ'ἐστὶν εἷς, οὐχ, ὥσπερ τινὲς οἶονται, ἐὰν περὶ ἕνα ᾖ ..... πράξεις ple_157.041 ἑνὸς πολλαί εἰσιν, ἐξ ὧν μία οὐδεμία γίνεται πρᾶξις. διὸ πάντες ἐοίκασιν ἁμαρτάνειν ὅσοι τῶν ple_157.042 ποιητῶν Ἡρακληίδα, Θησηίδα καὶ τὰ τοιαῦτα ποιήματα πεποιήκασιν. οἴονται γάρ, επεὶ εἷς ἦν ple_157.043 ὁ Ἡρακλῆς, ἕνα καὶ τὸν μῦθον εἶναι προςήκειν.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0171" n="157"/><lb n="ple_157.001"/> immer aufs neue menschliche Teilnahme hervor. Andrerseits kreuzt <lb n="ple_157.002"/> und berührt sich in dieser Entwicklung beständig das Typische mit dem <lb n="ple_157.003"/> Individuellen, die symbolische Bedeutsamkeit des Geschehens tritt kaum <lb n="ple_157.004"/> aus einer anderen Grundform so deutlich hervor. An dieser Bedeutsamkeit <lb n="ple_157.005"/> erhalten nun auch die Ereignisse und Zustände, durch welche die Entwicklung <lb n="ple_157.006"/> beeinflußt oder gehemmt wird, ihren Anteil. Eben durch diese <lb n="ple_157.007"/> Beziehung gewinnen sie eine gefühlsmäßige Teilnahme, die ihnen sonst <lb n="ple_157.008"/> leicht versagt bleibt. Hieraus ergibt sich denn auch der rein technische <lb n="ple_157.009"/> Vorteil, den der Romanschriftsteller durch die biographische Form gewinnt. <lb n="ple_157.010"/> Sie verbindet die einzelnen dargestellten Objekte, Zustände und Ereignisse <lb n="ple_157.011"/> zu einer festeren und interessanteren Einheit, als es die meisten Formenmotive <lb n="ple_157.012"/> vermögen, aus denen die Romane früherer Zeiten ihren Zusammenhalt <lb n="ple_157.013"/> fanden, wie z. B. der Abenteuerroman der Ritterzeit oder der Reiseroman <lb n="ple_157.014"/> des späteren Altertums, der im 18. Jahrhundert mit neuem Inhalt <lb n="ple_157.015"/> wiederkehrt.</p> <p><lb n="ple_157.016"/> Die Einheit der Handlung, die Aristoteles vom Epos forderte, wird <lb n="ple_157.017"/> hier durch die Einheit der Entwicklung ersetzt: es ist das freilich eben <lb n="ple_157.018"/> jene biographische Einheit, die der antike Denker als unzureichend bekämpft, <lb n="ple_157.019"/> aber in einer Vertiefung und Bedeutsamkeit, die er weder kannte <lb n="ple_157.020"/> noch voraussah, als er den Satz schrieb: „Viele Handlungen eines einzigen <lb n="ple_157.021"/> ergeben noch keine einheitliche Handlung.“<note xml:id="ple_157_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_157.040"/> Poetik c. 8: „μῦθος δ'ἐστὶν εἷς, οὐχ, ὥσπερ τινὲς οἶονται, ἐὰν περὶ ἕνα ᾖ ..... πράξεις <lb n="ple_157.041"/> ἑνὸς πολλαί εἰσιν, ἐξ ὧν μία οὐδεμία γίνεται πρᾶξις. διὸ πάντες ἐοίκασιν ἁμαρτάνειν ὅσοι τῶν <lb n="ple_157.042"/> ποιητῶν Ἡρακληίδα, Θησηίδα καὶ τὰ τοιαῦτα ποιήματα πεποιήκασιν. οἴονται γάρ, επεὶ εἷς ἦν <lb n="ple_157.043"/> ὁ Ἡρακλῆς, ἕνα καὶ τὸν μῦθον εἶναι προςήκειν.“</note> </p> <p><lb n="ple_157.022"/> Daher bedienen sich denn auch diejenigen modernen Romandichter <lb n="ple_157.023"/> mit Vorliebe der biographischen Form, denen es tatsächlich weniger auf <lb n="ple_157.024"/> die innere Entwicklung des Individuums als auf die Schilderung der Umwelt <lb n="ple_157.025"/> ankommt, die in ihren verschiedenen Erscheinungen auf den Helden <lb n="ple_157.026"/> einwirkt. Am auffallendsten tritt uns das vielleicht im geschichtlichen <lb n="ple_157.027"/> Roman entgegen, in der Form, die wir durch Walter Scott und seinem <lb n="ple_157.028"/> deutschen Nachfolger Willibald Alexis erhalten haben. Zumeist sind hier <lb n="ple_157.029"/> nicht die großen geschichtlichen Persönlichkeiten die Träger der Handlung, <lb n="ple_157.030"/> vielmehr wird ihr Wesen und Wirken, wird vor allen Dingen das Wesen <lb n="ple_157.031"/> der Zeit, die durch sie beeinflußt ist, in der Lebensgeschichte eines jugendlichen <lb n="ple_157.032"/> Helden reflektiert. So in Walter Scotts Quentin Durward und Ivanhoe, <lb n="ple_157.033"/> so in Willibald Alexis' prächtigem Hans Jürgen, („Die Hosen des Herrn <lb n="ple_157.034"/> von Bredow“), im Cabanis u. a. Aber schon hier ist die Lebensgeschichte <lb n="ple_157.035"/> doch nicht eigentlich das, was unser Interesse hauptsächlich in Bewegung <lb n="ple_157.036"/> setzt, sondern eben die großen Ereignisse, die auf sie wirken, die geschichtliche <lb n="ple_157.037"/> Umwelt, in der sie sich abspielt. Die Entwicklung des Milieu-Romans <lb n="ple_157.038"/> steht im engsten Zusammenhang mit der biographischen Dichtung. Man <lb n="ple_157.039"/> darf sagen, daß im Wilhelm Meister die Keime zu beiden gleichmäßig </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0171]
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immer aufs neue menschliche Teilnahme hervor. Andrerseits kreuzt ple_157.002
und berührt sich in dieser Entwicklung beständig das Typische mit dem ple_157.003
Individuellen, die symbolische Bedeutsamkeit des Geschehens tritt kaum ple_157.004
aus einer anderen Grundform so deutlich hervor. An dieser Bedeutsamkeit ple_157.005
erhalten nun auch die Ereignisse und Zustände, durch welche die Entwicklung ple_157.006
beeinflußt oder gehemmt wird, ihren Anteil. Eben durch diese ple_157.007
Beziehung gewinnen sie eine gefühlsmäßige Teilnahme, die ihnen sonst ple_157.008
leicht versagt bleibt. Hieraus ergibt sich denn auch der rein technische ple_157.009
Vorteil, den der Romanschriftsteller durch die biographische Form gewinnt. ple_157.010
Sie verbindet die einzelnen dargestellten Objekte, Zustände und Ereignisse ple_157.011
zu einer festeren und interessanteren Einheit, als es die meisten Formenmotive ple_157.012
vermögen, aus denen die Romane früherer Zeiten ihren Zusammenhalt ple_157.013
fanden, wie z. B. der Abenteuerroman der Ritterzeit oder der Reiseroman ple_157.014
des späteren Altertums, der im 18. Jahrhundert mit neuem Inhalt ple_157.015
wiederkehrt.
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Die Einheit der Handlung, die Aristoteles vom Epos forderte, wird ple_157.017
hier durch die Einheit der Entwicklung ersetzt: es ist das freilich eben ple_157.018
jene biographische Einheit, die der antike Denker als unzureichend bekämpft, ple_157.019
aber in einer Vertiefung und Bedeutsamkeit, die er weder kannte ple_157.020
noch voraussah, als er den Satz schrieb: „Viele Handlungen eines einzigen ple_157.021
ergeben noch keine einheitliche Handlung.“ 1)
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Daher bedienen sich denn auch diejenigen modernen Romandichter ple_157.023
mit Vorliebe der biographischen Form, denen es tatsächlich weniger auf ple_157.024
die innere Entwicklung des Individuums als auf die Schilderung der Umwelt ple_157.025
ankommt, die in ihren verschiedenen Erscheinungen auf den Helden ple_157.026
einwirkt. Am auffallendsten tritt uns das vielleicht im geschichtlichen ple_157.027
Roman entgegen, in der Form, die wir durch Walter Scott und seinem ple_157.028
deutschen Nachfolger Willibald Alexis erhalten haben. Zumeist sind hier ple_157.029
nicht die großen geschichtlichen Persönlichkeiten die Träger der Handlung, ple_157.030
vielmehr wird ihr Wesen und Wirken, wird vor allen Dingen das Wesen ple_157.031
der Zeit, die durch sie beeinflußt ist, in der Lebensgeschichte eines jugendlichen ple_157.032
Helden reflektiert. So in Walter Scotts Quentin Durward und Ivanhoe, ple_157.033
so in Willibald Alexis' prächtigem Hans Jürgen, („Die Hosen des Herrn ple_157.034
von Bredow“), im Cabanis u. a. Aber schon hier ist die Lebensgeschichte ple_157.035
doch nicht eigentlich das, was unser Interesse hauptsächlich in Bewegung ple_157.036
setzt, sondern eben die großen Ereignisse, die auf sie wirken, die geschichtliche ple_157.037
Umwelt, in der sie sich abspielt. Die Entwicklung des Milieu-Romans ple_157.038
steht im engsten Zusammenhang mit der biographischen Dichtung. Man ple_157.039
darf sagen, daß im Wilhelm Meister die Keime zu beiden gleichmäßig
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Poetik c. 8: „μῦθος δ'ἐστὶν εἷς, οὐχ, ὥσπερ τινὲς οἶονται, ἐὰν περὶ ἕνα ᾖ ..... πράξεις ple_157.041
ἑνὸς πολλαί εἰσιν, ἐξ ὧν μία οὐδεμία γίνεται πρᾶξις. διὸ πάντες ἐοίκασιν ἁμαρτάνειν ὅσοι τῶν ple_157.042
ποιητῶν Ἡρακληίδα, Θησηίδα καὶ τὰ τοιαῦτα ποιήματα πεποιήκασιν. οἴονται γάρ, επεὶ εἷς ἦν ple_157.043
ὁ Ἡρακλῆς, ἕνα καὶ τὸν μῦθον εἶναι προςήκειν.“
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