Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_007.001 ple_007.003 ple_007.029 ple_007.001 ple_007.003 ple_007.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0021" n="7"/><lb n="ple_007.001"/> auf ihre Gestaltung eingewirkt haben. Die Schöpfer derselben <lb n="ple_007.002"/> waren <hi rendition="#g">Shaftesbury</hi> und <hi rendition="#g">Winckelmann.</hi></p> <p><lb n="ple_007.003"/> Für <hi rendition="#g">Winckelmann</hi> hatte die Schönheit einen religiös mystischen <lb n="ple_007.004"/> Ursprung. Sie ist der Ausfluß der Gottheit selbst: „Die höchste Schönheit <lb n="ple_007.005"/> ist in Gott“, sagt er in der „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764). <lb n="ple_007.006"/> Die Kunst, welche die Schönheit darstellt, ist ihm daher ein völlig selbständiges <lb n="ple_007.007"/> Lebensgebiet von höchstem eigenen Wert und durchaus losgelöst <lb n="ple_007.008"/> vom Dienste der Moral, eine unmittelbare Verkörperung des Göttlichen im <lb n="ple_007.009"/> Menschen. Diese Schönheit nun wird in einem bestimmten und begrenzten <lb n="ple_007.010"/> Sinne gefaßt: sie ist Einheit im Mannigfaltigen, Harmonie der Teile eines <lb n="ple_007.011"/> Ganzen. Hierdurch wird nun die Kunst überhaupt und also mittelbar auch <lb n="ple_007.012"/> die Dichtung in ihrem Wesen bestimmt: das Prinzip der harmonischen <lb n="ple_007.013"/> Schönheit wird zur allgemein verbindlichen Norm für den Künstler und <lb n="ple_007.014"/> zum festen Kriterium für das Kunsturteil. Die Wirkungen, die das Kunstwerk <lb n="ple_007.015"/> hervorrufen soll, und die technischen Bedingungen, auf denen sie <lb n="ple_007.016"/> beruhen, erscheinen gänzlich beherrscht von jenen höchsten Formenprinzipien. <lb n="ple_007.017"/> Winckelmann untersuchte sie in Bezug auf die bildenden Künste, <lb n="ple_007.018"/> vor allem die Plastik, und brachte, was er hier schauend und fühlend erfuhr <lb n="ple_007.019"/> und erlebte, zu überzeugender, ja hinreißender Darstellung. Denn seine <lb n="ple_007.020"/> ganze ästhetische Theorie, soweit man von einer solchen sprechen kann, ist <lb n="ple_007.021"/> nicht das Ergebnis abstrakten und philosophischen Denkens, sondern vielmehr <lb n="ple_007.022"/> der allgemein gefaßte Ausdruck seiner Anschauung von der griechischen <lb n="ple_007.023"/> Kunst. Aus der begeisterten Versenkung in die Vollkommenheit hellenischer <lb n="ple_007.024"/> Formen schöpft er seine ästhetischen Begriffe und Ideale. Die griechische <lb n="ple_007.025"/> Kunst erscheint ihm daher notwendigerweise als die absolute Verkörperung <lb n="ple_007.026"/> des künstlerisch Schönen. Ihr Wesen ist durch und durch Harmonie, wie <lb n="ple_007.027"/> die leibliche Erscheinung des Hellenen und die phantasievolle Gestaltung <lb n="ple_007.028"/> seiner Gottheiten überall eine solche Harmonie verkörperte.</p> <p><lb n="ple_007.029"/> War es nun zunächst ein Formenideal, dessen lebendige Anschauung <lb n="ple_007.030"/> und theoretische Bestimmung Winckelmann aus den Werken der griechischen <lb n="ple_007.031"/> Bildnerei ableitete, so konnte es doch nicht ausbleiben, daß die Idee der <lb n="ple_007.032"/> harmonischen Schönheit auch auf das seelische Gebiet übertragen wurde: <lb n="ple_007.033"/> dem schönen Körper entspricht die harmonisch schöne Seele. <hi rendition="#g">Ihre</hi> Darstellung <lb n="ple_007.034"/> aber mußte vor allem das Werk der Poesie sein, die hier ihre <lb n="ple_007.035"/> entsprechende höchste Aufgabe fand. Auch für sie wurde somit das <lb n="ple_007.036"/> Griechentum in der neuen Wertung, die Winckelmann angebahnt hatte, <lb n="ple_007.037"/> das maßgebende Vorbild. Die beiden Hauptgedanken Winckelmanns, das <lb n="ple_007.038"/> Ideal der harmonischen Schönheit und die Ansicht vom Griechentum als <lb n="ple_007.039"/> der Verkörperung dieses Ideals, wurden — zuerst durch <hi rendition="#g">Herder</hi> — verallgemeinert <lb n="ple_007.040"/> und auf das Gebiet der Poesie übertragen. Daß dies aber geschah, <lb n="ple_007.041"/> dazu hat der Einfluß eines Philosophen, der älter als Winckelmann <lb n="ple_007.042"/> war, jedoch in Deutschland erst etwa gleichzeitig mit diesem zur Wirkung <lb n="ple_007.043"/> kam, vieles beigetragen. Es ist <hi rendition="#g">Shaftesbury,</hi> dessen Lehre vermutlich </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0021]
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auf ihre Gestaltung eingewirkt haben. Die Schöpfer derselben ple_007.002
waren Shaftesbury und Winckelmann.
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Für Winckelmann hatte die Schönheit einen religiös mystischen ple_007.004
Ursprung. Sie ist der Ausfluß der Gottheit selbst: „Die höchste Schönheit ple_007.005
ist in Gott“, sagt er in der „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764). ple_007.006
Die Kunst, welche die Schönheit darstellt, ist ihm daher ein völlig selbständiges ple_007.007
Lebensgebiet von höchstem eigenen Wert und durchaus losgelöst ple_007.008
vom Dienste der Moral, eine unmittelbare Verkörperung des Göttlichen im ple_007.009
Menschen. Diese Schönheit nun wird in einem bestimmten und begrenzten ple_007.010
Sinne gefaßt: sie ist Einheit im Mannigfaltigen, Harmonie der Teile eines ple_007.011
Ganzen. Hierdurch wird nun die Kunst überhaupt und also mittelbar auch ple_007.012
die Dichtung in ihrem Wesen bestimmt: das Prinzip der harmonischen ple_007.013
Schönheit wird zur allgemein verbindlichen Norm für den Künstler und ple_007.014
zum festen Kriterium für das Kunsturteil. Die Wirkungen, die das Kunstwerk ple_007.015
hervorrufen soll, und die technischen Bedingungen, auf denen sie ple_007.016
beruhen, erscheinen gänzlich beherrscht von jenen höchsten Formenprinzipien. ple_007.017
Winckelmann untersuchte sie in Bezug auf die bildenden Künste, ple_007.018
vor allem die Plastik, und brachte, was er hier schauend und fühlend erfuhr ple_007.019
und erlebte, zu überzeugender, ja hinreißender Darstellung. Denn seine ple_007.020
ganze ästhetische Theorie, soweit man von einer solchen sprechen kann, ist ple_007.021
nicht das Ergebnis abstrakten und philosophischen Denkens, sondern vielmehr ple_007.022
der allgemein gefaßte Ausdruck seiner Anschauung von der griechischen ple_007.023
Kunst. Aus der begeisterten Versenkung in die Vollkommenheit hellenischer ple_007.024
Formen schöpft er seine ästhetischen Begriffe und Ideale. Die griechische ple_007.025
Kunst erscheint ihm daher notwendigerweise als die absolute Verkörperung ple_007.026
des künstlerisch Schönen. Ihr Wesen ist durch und durch Harmonie, wie ple_007.027
die leibliche Erscheinung des Hellenen und die phantasievolle Gestaltung ple_007.028
seiner Gottheiten überall eine solche Harmonie verkörperte.
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War es nun zunächst ein Formenideal, dessen lebendige Anschauung ple_007.030
und theoretische Bestimmung Winckelmann aus den Werken der griechischen ple_007.031
Bildnerei ableitete, so konnte es doch nicht ausbleiben, daß die Idee der ple_007.032
harmonischen Schönheit auch auf das seelische Gebiet übertragen wurde: ple_007.033
dem schönen Körper entspricht die harmonisch schöne Seele. Ihre Darstellung ple_007.034
aber mußte vor allem das Werk der Poesie sein, die hier ihre ple_007.035
entsprechende höchste Aufgabe fand. Auch für sie wurde somit das ple_007.036
Griechentum in der neuen Wertung, die Winckelmann angebahnt hatte, ple_007.037
das maßgebende Vorbild. Die beiden Hauptgedanken Winckelmanns, das ple_007.038
Ideal der harmonischen Schönheit und die Ansicht vom Griechentum als ple_007.039
der Verkörperung dieses Ideals, wurden — zuerst durch Herder — verallgemeinert ple_007.040
und auf das Gebiet der Poesie übertragen. Daß dies aber geschah, ple_007.041
dazu hat der Einfluß eines Philosophen, der älter als Winckelmann ple_007.042
war, jedoch in Deutschland erst etwa gleichzeitig mit diesem zur Wirkung ple_007.043
kam, vieles beigetragen. Es ist Shaftesbury, dessen Lehre vermutlich
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