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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Constantinopel.
verlangen. Er leiht auf Pfänder und vermehrt sein Vermögen ziemlich
rasch, ohne etwas zu riskiren.

Wie im Kleinen, ist es auch im Grossen. Die grossen Banken
sind mit fremdem Gelde ins Leben gerufen. Aber Handel und Indu-
strie wurden durch sie nur wenig befruchtet.

Die Concessionirung gemeinnütziger Arbeiten, wie die der Aus-
trocknung der sumpfigen Strecken bei Ismid, am Marmara-Meere und
der Bahn nach Angora, führt nur in seltenen Fällen zur Vollendung
dessen, was man sich vorgenommen.

Es wäre zu wünschen, dass der eben jetzt in den Vordergrund
gerückte Plan französischer Ingenieure den Bosporus an seiner schmal-
sten Stelle zu überbrücken, nicht auch an den herrschenden Zuständen zu
Grunde gehe. Die Verbindung der rumelischen und der anatolischen Bahn
würde dem Handel Constantinopels einen neuen Aufschwung geben. Das
Absatzgebiet der sogenannten Constantinopler Waaren, die einst die
ganze Balkanhalbinsel bis an die Grenzen Croatiens und Bessarabiens
beherrscht haben, würde in Kleinasien neu aufleben. Nicht weit von
der Stelle, wo der Grieche Mandrokles die Schiffbrücke gebaut, über
die 700.000 persische Krieger, unter den Augen ihres Königs Darius,
über den Bosporus gezogen, soll die neue stabile Brücke errichtet
werden, 800 m lang und in der Höhe von 17 m über dem Spiegel
des Wassers, das hier jene vorerwähnte gewaltige Strömung zeigt,
welche die Griechen die "grosse", die Türken die "teuflische" nennen.
Nördlich von den Anlegepunkten der Brücken erheben sich auf der
europäischen Seite die grossen Thürme von Rumili-Hissar, umgeben
von den Ueberresten zinnengekrönter Mauern und kleinen Thürmen,
die in malerischer Unordnung sich bis zum Ufer hinabziehen. Und
auf dem asiatischen Ufer leuchten von einer Höhe die schlanken
Thürme von Anadoli-Hissar, dem Castelle des Sultans Bajazid, herab.
Die Bahn würde von hier aus die entzückende Au der "asiatischen
süssen Wässer" durchschneiden, um Scutari, den heutigen Kopf der
anatolischen Linien, zu gewinnen.

Empfindsam angelegte Naturen werden den Bau der Eisen-
bahnen bedauern; er wird ein schönes Stück der Poesie, welche die
Ufer des Bosporus umgibt, hinwegräumen, aber zugleich dem Handel
und Verkehr Constantinopels neues Blut zuführen.

So würden auch für die bestehenden türkischen Bahnen in stei-
gendem Masse die Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie ihrer
wirtschaftlichen Aufgabe in vollem Umfange gerecht werden könnten.

17*

Constantinopel.
verlangen. Er leiht auf Pfänder und vermehrt sein Vermögen ziemlich
rasch, ohne etwas zu riskiren.

Wie im Kleinen, ist es auch im Grossen. Die grossen Banken
sind mit fremdem Gelde ins Leben gerufen. Aber Handel und Indu-
strie wurden durch sie nur wenig befruchtet.

Die Concessionirung gemeinnütziger Arbeiten, wie die der Aus-
trocknung der sumpfigen Strecken bei Ismid, am Marmara-Meere und
der Bahn nach Angora, führt nur in seltenen Fällen zur Vollendung
dessen, was man sich vorgenommen.

Es wäre zu wünschen, dass der eben jetzt in den Vordergrund
gerückte Plan französischer Ingenieure den Bosporus an seiner schmal-
sten Stelle zu überbrücken, nicht auch an den herrschenden Zuständen zu
Grunde gehe. Die Verbindung der rumelischen und der anatolischen Bahn
würde dem Handel Constantinopels einen neuen Aufschwung geben. Das
Absatzgebiet der sogenannten Constantinopler Waaren, die einst die
ganze Balkanhalbinsel bis an die Grenzen Croatiens und Bessarabiens
beherrscht haben, würde in Kleinasien neu aufleben. Nicht weit von
der Stelle, wo der Grieche Mandrokles die Schiffbrücke gebaut, über
die 700.000 persische Krieger, unter den Augen ihres Königs Darius,
über den Bosporus gezogen, soll die neue stabile Brücke errichtet
werden, 800 m lang und in der Höhe von 17 m über dem Spiegel
des Wassers, das hier jene vorerwähnte gewaltige Strömung zeigt,
welche die Griechen die „grosse“, die Türken die „teuflische“ nennen.
Nördlich von den Anlegepunkten der Brücken erheben sich auf der
europäischen Seite die grossen Thürme von Rumili-Hissar, umgeben
von den Ueberresten zinnengekrönter Mauern und kleinen Thürmen,
die in malerischer Unordnung sich bis zum Ufer hinabziehen. Und
auf dem asiatischen Ufer leuchten von einer Höhe die schlanken
Thürme von Anadoli-Hissar, dem Castelle des Sultans Bajazid, herab.
Die Bahn würde von hier aus die entzückende Au der „asiatischen
süssen Wässer“ durchschneiden, um Scutari, den heutigen Kopf der
anatolischen Linien, zu gewinnen.

Empfindsam angelegte Naturen werden den Bau der Eisen-
bahnen bedauern; er wird ein schönes Stück der Poesie, welche die
Ufer des Bosporus umgibt, hinwegräumen, aber zugleich dem Handel
und Verkehr Constantinopels neues Blut zuführen.

So würden auch für die bestehenden türkischen Bahnen in stei-
gendem Masse die Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie ihrer
wirtschaftlichen Aufgabe in vollem Umfange gerecht werden könnten.

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[131/0151] Constantinopel. verlangen. Er leiht auf Pfänder und vermehrt sein Vermögen ziemlich rasch, ohne etwas zu riskiren. Wie im Kleinen, ist es auch im Grossen. Die grossen Banken sind mit fremdem Gelde ins Leben gerufen. Aber Handel und Indu- strie wurden durch sie nur wenig befruchtet. Die Concessionirung gemeinnütziger Arbeiten, wie die der Aus- trocknung der sumpfigen Strecken bei Ismid, am Marmara-Meere und der Bahn nach Angora, führt nur in seltenen Fällen zur Vollendung dessen, was man sich vorgenommen. Es wäre zu wünschen, dass der eben jetzt in den Vordergrund gerückte Plan französischer Ingenieure den Bosporus an seiner schmal- sten Stelle zu überbrücken, nicht auch an den herrschenden Zuständen zu Grunde gehe. Die Verbindung der rumelischen und der anatolischen Bahn würde dem Handel Constantinopels einen neuen Aufschwung geben. Das Absatzgebiet der sogenannten Constantinopler Waaren, die einst die ganze Balkanhalbinsel bis an die Grenzen Croatiens und Bessarabiens beherrscht haben, würde in Kleinasien neu aufleben. Nicht weit von der Stelle, wo der Grieche Mandrokles die Schiffbrücke gebaut, über die 700.000 persische Krieger, unter den Augen ihres Königs Darius, über den Bosporus gezogen, soll die neue stabile Brücke errichtet werden, 800 m lang und in der Höhe von 17 m über dem Spiegel des Wassers, das hier jene vorerwähnte gewaltige Strömung zeigt, welche die Griechen die „grosse“, die Türken die „teuflische“ nennen. Nördlich von den Anlegepunkten der Brücken erheben sich auf der europäischen Seite die grossen Thürme von Rumili-Hissar, umgeben von den Ueberresten zinnengekrönter Mauern und kleinen Thürmen, die in malerischer Unordnung sich bis zum Ufer hinabziehen. Und auf dem asiatischen Ufer leuchten von einer Höhe die schlanken Thürme von Anadoli-Hissar, dem Castelle des Sultans Bajazid, herab. Die Bahn würde von hier aus die entzückende Au der „asiatischen süssen Wässer“ durchschneiden, um Scutari, den heutigen Kopf der anatolischen Linien, zu gewinnen. Empfindsam angelegte Naturen werden den Bau der Eisen- bahnen bedauern; er wird ein schönes Stück der Poesie, welche die Ufer des Bosporus umgibt, hinwegräumen, aber zugleich dem Handel und Verkehr Constantinopels neues Blut zuführen. So würden auch für die bestehenden türkischen Bahnen in stei- gendem Masse die Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie ihrer wirtschaftlichen Aufgabe in vollem Umfange gerecht werden könnten. 17*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/151>, abgerufen am 24.11.2024.