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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
durch continentale Einwanderung besetzt. Es fängt mit dem Auftreten
der Phönikier eine neue Aera der Besiedlung und Völkerberührung an.
Individuen eines Culturvolkes, das sich zum Colporteur der Erzeugnisse
aller schon bestehenden, meist an wasserreichen Strömen entstandenen
Culturländer emporgeschwungen hat, dringen in die homogenen, un-
entwickelten Massen begabter Naturvölker ein, und beschleunigen
deren Entwicklung. Es gibt eine Epoche, in der die Phönikier
die ausschliesslichen Herren des Mittelmeeres und damit des Welt-
handels sind, in welcher Epoche alle Länder bis nach Centralasien
und Indien, bis zur Nord- und Ostsee (Bernstein!) zu den Hinter-
ländern des Mittelmeeres gehören. Was sich an selbständigen Kräften
am indischen Oceane regen mag, wird durch die Verbindungen mit
dem persischen Golfe, mit Arabien und dem rothen Meere zu einer
Dependance der jeweiligen Oberherren des Mittelmeerhandels. Ja, als
auf einem unermesslich weiten Umwege die Seide Chinas und das
Gold in den Welthandel gelangen, so wird auch der äusserste Osten
Asiens in den Anziehungskreis dieser commerciellen Centralstellen der
alten Welt hineingezogen.

Den Phönikiern folgen die Hellenen, diesen die Römer, ohne
dass sich dieses Ur- und Grundverhältniss anders gestalten würde.
Gerade zur Römerzeit, als die Cäsaren über die civilisirte Welt geboten
und den Barbaren das Joch der eigenen Cultur auferlegten, da wurde
die Idee der Mittelmeer-Monarchie erst Wirklichkeit und Wahrheit.
Die Römer, die Italiker und in der Kaiserzeit wohl noch andere An-
wohner des Mittelmeeres haben die Hinterländer im weitesten Sinne
des Wortes nicht bloss mit dem Schwerte unterworfen, sondern auch
ausgekauft und ausgewuchert, um Eigenthum, Freiheit und Fortexistenz
gebracht.

Der Vorhang fällt über die Ruinenstätte der wirthschaftlich zu-
grunde gerichteten Mittelmeerwelt, und die Culturarbeit einer neuen
Zeit fängt auf materiellem, wie auf ideellem Gebiete, wenn auch nicht
von vorne, so doch von neuem an. Lange, öde Zeiträume gehen dahin,
bis wir an den Küsten des Mittelmeeres zwei feindlichen Religions- und
Völkersystemen begegnen, durch deren Kämpfe sich die Idee der
Herrschaft über das Mittelmeer und dadurch über den Welthandel
hindurchzieht.

Zur Zeit der Kreuzzüge vollzieht sich eine Art von Ausgleich
der ringenden Kräfte, von denen aber die eine der anderen nicht Herr
zu werden vermag. Noch ist der Mittelmeerhandel, den man jetzt
nach seinem wichtigsten Emporium Levantehandel nennen kann, das

Das Mittelmeerbecken.
durch continentale Einwanderung besetzt. Es fängt mit dem Auftreten
der Phönikier eine neue Aera der Besiedlung und Völkerberührung an.
Individuen eines Culturvolkes, das sich zum Colporteur der Erzeugnisse
aller schon bestehenden, meist an wasserreichen Strömen entstandenen
Culturländer emporgeschwungen hat, dringen in die homogenen, un-
entwickelten Massen begabter Naturvölker ein, und beschleunigen
deren Entwicklung. Es gibt eine Epoche, in der die Phönikier
die ausschliesslichen Herren des Mittelmeeres und damit des Welt-
handels sind, in welcher Epoche alle Länder bis nach Centralasien
und Indien, bis zur Nord- und Ostsee (Bernstein!) zu den Hinter-
ländern des Mittelmeeres gehören. Was sich an selbständigen Kräften
am indischen Oceane regen mag, wird durch die Verbindungen mit
dem persischen Golfe, mit Arabien und dem rothen Meere zu einer
Dépendance der jeweiligen Oberherren des Mittelmeerhandels. Ja, als
auf einem unermesslich weiten Umwege die Seide Chinas und das
Gold in den Welthandel gelangen, so wird auch der äusserste Osten
Asiens in den Anziehungskreis dieser commerciellen Centralstellen der
alten Welt hineingezogen.

Den Phönikiern folgen die Hellenen, diesen die Römer, ohne
dass sich dieses Ur- und Grundverhältniss anders gestalten würde.
Gerade zur Römerzeit, als die Cäsaren über die civilisirte Welt geboten
und den Barbaren das Joch der eigenen Cultur auferlegten, da wurde
die Idee der Mittelmeer-Monarchie erst Wirklichkeit und Wahrheit.
Die Römer, die Italiker und in der Kaiserzeit wohl noch andere An-
wohner des Mittelmeeres haben die Hinterländer im weitesten Sinne
des Wortes nicht bloss mit dem Schwerte unterworfen, sondern auch
ausgekauft und ausgewuchert, um Eigenthum, Freiheit und Fortexistenz
gebracht.

Der Vorhang fällt über die Ruinenstätte der wirthschaftlich zu-
grunde gerichteten Mittelmeerwelt, und die Culturarbeit einer neuen
Zeit fängt auf materiellem, wie auf ideellem Gebiete, wenn auch nicht
von vorne, so doch von neuem an. Lange, öde Zeiträume gehen dahin,
bis wir an den Küsten des Mittelmeeres zwei feindlichen Religions- und
Völkersystemen begegnen, durch deren Kämpfe sich die Idee der
Herrschaft über das Mittelmeer und dadurch über den Welthandel
hindurchzieht.

Zur Zeit der Kreuzzüge vollzieht sich eine Art von Ausgleich
der ringenden Kräfte, von denen aber die eine der anderen nicht Herr
zu werden vermag. Noch ist der Mittelmeerhandel, den man jetzt
nach seinem wichtigsten Emporium Levantehandel nennen kann, das

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[2/0022] Das Mittelmeerbecken. durch continentale Einwanderung besetzt. Es fängt mit dem Auftreten der Phönikier eine neue Aera der Besiedlung und Völkerberührung an. Individuen eines Culturvolkes, das sich zum Colporteur der Erzeugnisse aller schon bestehenden, meist an wasserreichen Strömen entstandenen Culturländer emporgeschwungen hat, dringen in die homogenen, un- entwickelten Massen begabter Naturvölker ein, und beschleunigen deren Entwicklung. Es gibt eine Epoche, in der die Phönikier die ausschliesslichen Herren des Mittelmeeres und damit des Welt- handels sind, in welcher Epoche alle Länder bis nach Centralasien und Indien, bis zur Nord- und Ostsee (Bernstein!) zu den Hinter- ländern des Mittelmeeres gehören. Was sich an selbständigen Kräften am indischen Oceane regen mag, wird durch die Verbindungen mit dem persischen Golfe, mit Arabien und dem rothen Meere zu einer Dépendance der jeweiligen Oberherren des Mittelmeerhandels. Ja, als auf einem unermesslich weiten Umwege die Seide Chinas und das Gold in den Welthandel gelangen, so wird auch der äusserste Osten Asiens in den Anziehungskreis dieser commerciellen Centralstellen der alten Welt hineingezogen. Den Phönikiern folgen die Hellenen, diesen die Römer, ohne dass sich dieses Ur- und Grundverhältniss anders gestalten würde. Gerade zur Römerzeit, als die Cäsaren über die civilisirte Welt geboten und den Barbaren das Joch der eigenen Cultur auferlegten, da wurde die Idee der Mittelmeer-Monarchie erst Wirklichkeit und Wahrheit. Die Römer, die Italiker und in der Kaiserzeit wohl noch andere An- wohner des Mittelmeeres haben die Hinterländer im weitesten Sinne des Wortes nicht bloss mit dem Schwerte unterworfen, sondern auch ausgekauft und ausgewuchert, um Eigenthum, Freiheit und Fortexistenz gebracht. Der Vorhang fällt über die Ruinenstätte der wirthschaftlich zu- grunde gerichteten Mittelmeerwelt, und die Culturarbeit einer neuen Zeit fängt auf materiellem, wie auf ideellem Gebiete, wenn auch nicht von vorne, so doch von neuem an. Lange, öde Zeiträume gehen dahin, bis wir an den Küsten des Mittelmeeres zwei feindlichen Religions- und Völkersystemen begegnen, durch deren Kämpfe sich die Idee der Herrschaft über das Mittelmeer und dadurch über den Welthandel hindurchzieht. Zur Zeit der Kreuzzüge vollzieht sich eine Art von Ausgleich der ringenden Kräfte, von denen aber die eine der anderen nicht Herr zu werden vermag. Noch ist der Mittelmeerhandel, den man jetzt nach seinem wichtigsten Emporium Levantehandel nennen kann, das

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/22>, abgerufen am 21.11.2024.