Hauptstück des Welthandels. Die wiederbelebten oder neu entstandenen Handelsmetropolen liegen noch immer am Mittelmeere, allen voran sind Venedig und Genua, deren Macht und Einfluss von Indien bis zur Nordsee reicht.
Jedoch gegen das Ende des historischen Mittelalters mehrten sich die Anzeichen, dass die commercielle Alleinherrschaft des Mittel- meeres zur Neige gehe. Im XIII. und XIV. Jahrhundert hatte sich an den Küsten des baltischen und des deutschen Meeres die Hansa ge- bildet, die über ein primäres, unabhängiges, selbstgenügendes Handels- gebiet die Herrschaft führte.
Was an ähnlichen Vorgängen in den Gewässern des indischen Oceans stattgefunden haben mag, entzieht sich nach wie vor unseren Blicken. Kurz, die Welt gewöhnte sich an die Emancipation von den mediterranen Handelsplätzen und machte sich an die Depossedirung des Mittelmeeres. Da traten die grossen Ereignisse des Entdeckungs- zeitalters ein: Der Seeweg nach Ostindien ward gefunden, und eine neue Welt hob sich aus den Fluten des Westmeeres. In gleicher Zeit wurden durch das Umsichgreifen der Türken die christlichen Abend- länder aus den Häfen der Levante hinausmanöverirt und ihrer tausend- jährigen Verbindungen mit den ältesten Culturländern der Erde beraubt.
Diese Thatsachen zusammengenommen bilden die Peripetie in der Geschichte des Mittelmeeres. Der Welthandel bewegt sich in neuen Bahnen und concentrirt sich in Handelsplätzen, welche nicht in Winkeln eines winkeligen Binnenmeeres gelegen sind, sondern durch ihre Lage am Weltmeere dem Seefahrer und dem Kaufmanne günstigere Chancen darbieten. Doch folgte den Zeiten des Verfalls bald eine Periode von hoffnungs- und erfolgreichen Versuchen, der veränderten Sachlage die möglichst günstige Seite abzugewinnen und in den Weltverkehr ohne jede Herrschaftsprätention als dienendes Glied einzutreten. Schon im XVIII. Jahrhundert nach den Siegen Oesterreichs über die Pforte begann der Orienthandel in mässigen Dimensionen die Mittelmeerge- genden zu beleben; auch das Vordringen Russlands an das Schwarze Meer blieb nicht ohne Folgen, ebenso die Zersetzung des türkischen Staatengefüges.
Mühselig und nicht gerade übermässig lohnend waren nament- lich anfangs diese Versuche, sich über die Ungunst der Verhältnisse durch eigene Anstrengung hinweg zu helfen. Indessen nahte die Epoche einer wenigstens theilweisen Rehabilitirung, einer commerciellen Restau- ration des Mittelmeeres heran. Schon die Verbindung der Mittelmeer- häfen mit den Hinterländern durch die neuen Verkehrsmittel des
1*
Das Mittelmeerbecken.
Hauptstück des Welthandels. Die wiederbelebten oder neu entstandenen Handelsmetropolen liegen noch immer am Mittelmeere, allen voran sind Venedig und Genua, deren Macht und Einfluss von Indien bis zur Nordsee reicht.
Jedoch gegen das Ende des historischen Mittelalters mehrten sich die Anzeichen, dass die commercielle Alleinherrschaft des Mittel- meeres zur Neige gehe. Im XIII. und XIV. Jahrhundert hatte sich an den Küsten des baltischen und des deutschen Meeres die Hansa ge- bildet, die über ein primäres, unabhängiges, selbstgenügendes Handels- gebiet die Herrschaft führte.
Was an ähnlichen Vorgängen in den Gewässern des indischen Oceans stattgefunden haben mag, entzieht sich nach wie vor unseren Blicken. Kurz, die Welt gewöhnte sich an die Emancipation von den mediterranen Handelsplätzen und machte sich an die Depossedirung des Mittelmeeres. Da traten die grossen Ereignisse des Entdeckungs- zeitalters ein: Der Seeweg nach Ostindien ward gefunden, und eine neue Welt hob sich aus den Fluten des Westmeeres. In gleicher Zeit wurden durch das Umsichgreifen der Türken die christlichen Abend- länder aus den Häfen der Levante hinausmanöverirt und ihrer tausend- jährigen Verbindungen mit den ältesten Culturländern der Erde beraubt.
Diese Thatsachen zusammengenommen bilden die Peripetie in der Geschichte des Mittelmeeres. Der Welthandel bewegt sich in neuen Bahnen und concentrirt sich in Handelsplätzen, welche nicht in Winkeln eines winkeligen Binnenmeeres gelegen sind, sondern durch ihre Lage am Weltmeere dem Seefahrer und dem Kaufmanne günstigere Chancen darbieten. Doch folgte den Zeiten des Verfalls bald eine Periode von hoffnungs- und erfolgreichen Versuchen, der veränderten Sachlage die möglichst günstige Seite abzugewinnen und in den Weltverkehr ohne jede Herrschaftsprätention als dienendes Glied einzutreten. Schon im XVIII. Jahrhundert nach den Siegen Oesterreichs über die Pforte begann der Orienthandel in mässigen Dimensionen die Mittelmeerge- genden zu beleben; auch das Vordringen Russlands an das Schwarze Meer blieb nicht ohne Folgen, ebenso die Zersetzung des türkischen Staatengefüges.
Mühselig und nicht gerade übermässig lohnend waren nament- lich anfangs diese Versuche, sich über die Ungunst der Verhältnisse durch eigene Anstrengung hinweg zu helfen. Indessen nahte die Epoche einer wenigstens theilweisen Rehabilitirung, einer commerciellen Restau- ration des Mittelmeeres heran. Schon die Verbindung der Mittelmeer- häfen mit den Hinterländern durch die neuen Verkehrsmittel des
1*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="3"/><fwplace="top"type="header">Das Mittelmeerbecken.</fw><lb/>
Hauptstück des Welthandels. Die wiederbelebten oder neu entstandenen<lb/>
Handelsmetropolen liegen noch immer am Mittelmeere, allen voran<lb/>
sind <hirendition="#g">Venedig</hi> und <hirendition="#g">Genua</hi>, deren Macht und Einfluss von Indien<lb/>
bis zur Nordsee reicht.</p><lb/><p>Jedoch gegen das Ende des historischen Mittelalters mehrten<lb/>
sich die Anzeichen, dass die commercielle Alleinherrschaft des Mittel-<lb/>
meeres zur Neige gehe. Im XIII. und XIV. Jahrhundert hatte sich an<lb/>
den Küsten des baltischen und des deutschen Meeres die <hirendition="#g">Hansa</hi> ge-<lb/>
bildet, die über ein primäres, unabhängiges, selbstgenügendes Handels-<lb/>
gebiet die Herrschaft führte.</p><lb/><p>Was an ähnlichen Vorgängen in den Gewässern des indischen<lb/>
Oceans stattgefunden haben mag, entzieht sich nach wie vor unseren<lb/>
Blicken. Kurz, die Welt gewöhnte sich an die Emancipation von den<lb/>
mediterranen Handelsplätzen und machte sich an die Depossedirung<lb/>
des Mittelmeeres. Da traten die grossen Ereignisse des Entdeckungs-<lb/>
zeitalters ein: Der Seeweg nach Ostindien ward gefunden, und eine<lb/>
neue Welt hob sich aus den Fluten des Westmeeres. In gleicher Zeit<lb/>
wurden durch das Umsichgreifen der Türken die christlichen Abend-<lb/>
länder aus den Häfen der Levante hinausmanöverirt und ihrer tausend-<lb/>
jährigen Verbindungen mit den ältesten Culturländern der Erde beraubt.</p><lb/><p>Diese Thatsachen zusammengenommen bilden die Peripetie in der<lb/>
Geschichte des Mittelmeeres. Der Welthandel bewegt sich in neuen<lb/>
Bahnen und concentrirt sich in Handelsplätzen, welche nicht in Winkeln<lb/>
eines winkeligen Binnenmeeres gelegen sind, sondern durch ihre Lage<lb/>
am Weltmeere dem Seefahrer und dem Kaufmanne günstigere Chancen<lb/>
darbieten. Doch folgte den Zeiten des Verfalls bald eine Periode von<lb/>
hoffnungs- und erfolgreichen Versuchen, der veränderten Sachlage<lb/>
die möglichst günstige Seite abzugewinnen und in den Weltverkehr<lb/>
ohne jede Herrschaftsprätention als dienendes Glied einzutreten. Schon<lb/>
im XVIII. Jahrhundert nach den Siegen Oesterreichs über die Pforte<lb/>
begann der Orienthandel in mässigen Dimensionen die Mittelmeerge-<lb/>
genden zu beleben; auch das Vordringen Russlands an das Schwarze<lb/>
Meer blieb nicht ohne Folgen, ebenso die Zersetzung des türkischen<lb/>
Staatengefüges.</p><lb/><p>Mühselig und nicht gerade übermässig lohnend waren nament-<lb/>
lich anfangs diese Versuche, sich über die Ungunst der Verhältnisse<lb/>
durch eigene Anstrengung hinweg zu helfen. Indessen nahte die Epoche<lb/>
einer wenigstens theilweisen Rehabilitirung, einer commerciellen Restau-<lb/>
ration des Mittelmeeres heran. Schon die Verbindung der Mittelmeer-<lb/>
häfen mit den Hinterländern durch die neuen Verkehrsmittel des<lb/><fwplace="bottom"type="sig">1*</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[3/0023]
Das Mittelmeerbecken.
Hauptstück des Welthandels. Die wiederbelebten oder neu entstandenen
Handelsmetropolen liegen noch immer am Mittelmeere, allen voran
sind Venedig und Genua, deren Macht und Einfluss von Indien
bis zur Nordsee reicht.
Jedoch gegen das Ende des historischen Mittelalters mehrten
sich die Anzeichen, dass die commercielle Alleinherrschaft des Mittel-
meeres zur Neige gehe. Im XIII. und XIV. Jahrhundert hatte sich an
den Küsten des baltischen und des deutschen Meeres die Hansa ge-
bildet, die über ein primäres, unabhängiges, selbstgenügendes Handels-
gebiet die Herrschaft führte.
Was an ähnlichen Vorgängen in den Gewässern des indischen
Oceans stattgefunden haben mag, entzieht sich nach wie vor unseren
Blicken. Kurz, die Welt gewöhnte sich an die Emancipation von den
mediterranen Handelsplätzen und machte sich an die Depossedirung
des Mittelmeeres. Da traten die grossen Ereignisse des Entdeckungs-
zeitalters ein: Der Seeweg nach Ostindien ward gefunden, und eine
neue Welt hob sich aus den Fluten des Westmeeres. In gleicher Zeit
wurden durch das Umsichgreifen der Türken die christlichen Abend-
länder aus den Häfen der Levante hinausmanöverirt und ihrer tausend-
jährigen Verbindungen mit den ältesten Culturländern der Erde beraubt.
Diese Thatsachen zusammengenommen bilden die Peripetie in der
Geschichte des Mittelmeeres. Der Welthandel bewegt sich in neuen
Bahnen und concentrirt sich in Handelsplätzen, welche nicht in Winkeln
eines winkeligen Binnenmeeres gelegen sind, sondern durch ihre Lage
am Weltmeere dem Seefahrer und dem Kaufmanne günstigere Chancen
darbieten. Doch folgte den Zeiten des Verfalls bald eine Periode von
hoffnungs- und erfolgreichen Versuchen, der veränderten Sachlage
die möglichst günstige Seite abzugewinnen und in den Weltverkehr
ohne jede Herrschaftsprätention als dienendes Glied einzutreten. Schon
im XVIII. Jahrhundert nach den Siegen Oesterreichs über die Pforte
begann der Orienthandel in mässigen Dimensionen die Mittelmeerge-
genden zu beleben; auch das Vordringen Russlands an das Schwarze
Meer blieb nicht ohne Folgen, ebenso die Zersetzung des türkischen
Staatengefüges.
Mühselig und nicht gerade übermässig lohnend waren nament-
lich anfangs diese Versuche, sich über die Ungunst der Verhältnisse
durch eigene Anstrengung hinweg zu helfen. Indessen nahte die Epoche
einer wenigstens theilweisen Rehabilitirung, einer commerciellen Restau-
ration des Mittelmeeres heran. Schon die Verbindung der Mittelmeer-
häfen mit den Hinterländern durch die neuen Verkehrsmittel des
1*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/23>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.