wären ungenügend, die reichen Schätze des Handels zu bergen, wenn es nicht gelingen würde, die Schnelligkeit des Umsatzes auf jenen Höhepunkt zu bringen, der hier grösstentheils noch immer durch primitive Mittel erreicht worden ist.
An der Südseite rückt in das Bild der Stadt die malerische Höhe der Notre-Dame de la Garde, von deren 116 m hohen Spitze der ehrwürdige Bau der berühmten Kirche gleichen Namens herab- sieht. Dort ist auch eine Signalstation im Betriebe. Die schluchten- reichen Abhänge dieses isolirten Berges senken sich in reichen Formen und mit Ansiedlungen bedeckt zur Küste herab und bilden eine höchst wirksame Staffage des Panoramas der Stadt.
Die ungefähr 100 m breite Einfahrt in den Vieux Port ist kaum wahrnehmbar. Das Bassin desselben erweitert sich innerhalb bis auf 350 m Breite bei einer Längserstreckung von 930 m. Es ist ein herr- liches Hafenbecken, das mehreren hundert Schiffen Raum und Schutz gewährt. Dort herrscht denn auch im innigsten Contacte mit der Stadt ein äusserst lebhaftes Treiben, wie es kaum bewegter gedacht werden kann. Das Innere der ganz modern aussehenden Stadt, beson- ders die wunderbare Rue Cannebiere, um welche selbst Paris Mar- seille beneidet, verräth zunächst den Reichthum der Bewohner, aber zeigt uns dafür nicht ein Stück, das den Ruhm vergangener Jahr- hunderte verkörperte. Nichts verräth die Geschlechter, die hier im Laufe von 2500 Jahren Herren des Bodens waren.
Die Umgebung von Marseille ist ein von Bewässerungsleitungen durchzogener fruchtbarer Thalgrund, mit zahlreichen Ortschaften und Gehöften bedeckt und von Hügelreihen und ansehnlichen Bergen ein- gefasst, an deren Abhängen unzählige der hier Bastides genannten Landhäuser in bescheidenen Einfriedungen lagern. Fast jeder Bürger von Marseille besitzt seine Scholle Erde im Freien, und der Werk- mann, dessen Mittel es nicht gestatten, ein gemauertes Landhaus mit solidem Ziegeldach zu erbauen und durch einige Fichten oder Pinien zu zieren, der stellt wenigstens eine Hütte sich her. Da nun die Be- wohner von Marseille ebenso passionirte Fischer, wie Nimrod er- gebene Jäger sind, so findet man fast bei allen grösseren Bastiden auch Jagdstände (postes), das sind mit Schiessscharten ausgestattete Laubhütten, in welchen der Jäger das Wild erwartet.
Leider gestatten die zahllosen Einfriedungsmauern keinen Aus- blick über das Terrain.
Ueber dem Thale ruht der Segen einer prächtigen und üppigen Vege- tation, die selbst den Fels mit einer Decke duftender Kräuter überzieht.
Marseille.
wären ungenügend, die reichen Schätze des Handels zu bergen, wenn es nicht gelingen würde, die Schnelligkeit des Umsatzes auf jenen Höhepunkt zu bringen, der hier grösstentheils noch immer durch primitive Mittel erreicht worden ist.
An der Südseite rückt in das Bild der Stadt die malerische Höhe der Nôtre-Dame de la Garde, von deren 116 m hohen Spitze der ehrwürdige Bau der berühmten Kirche gleichen Namens herab- sieht. Dort ist auch eine Signalstation im Betriebe. Die schluchten- reichen Abhänge dieses isolirten Berges senken sich in reichen Formen und mit Ansiedlungen bedeckt zur Küste herab und bilden eine höchst wirksame Staffage des Panoramas der Stadt.
Die ungefähr 100 m breite Einfahrt in den Vieux Port ist kaum wahrnehmbar. Das Bassin desselben erweitert sich innerhalb bis auf 350 m Breite bei einer Längserstreckung von 930 m. Es ist ein herr- liches Hafenbecken, das mehreren hundert Schiffen Raum und Schutz gewährt. Dort herrscht denn auch im innigsten Contacte mit der Stadt ein äusserst lebhaftes Treiben, wie es kaum bewegter gedacht werden kann. Das Innere der ganz modern aussehenden Stadt, beson- ders die wunderbare Rue Cannebière, um welche selbst Paris Mar- seille beneidet, verräth zunächst den Reichthum der Bewohner, aber zeigt uns dafür nicht ein Stück, das den Ruhm vergangener Jahr- hunderte verkörperte. Nichts verräth die Geschlechter, die hier im Laufe von 2500 Jahren Herren des Bodens waren.
Die Umgebung von Marseille ist ein von Bewässerungsleitungen durchzogener fruchtbarer Thalgrund, mit zahlreichen Ortschaften und Gehöften bedeckt und von Hügelreihen und ansehnlichen Bergen ein- gefasst, an deren Abhängen unzählige der hier Bastides genannten Landhäuser in bescheidenen Einfriedungen lagern. Fast jeder Bürger von Marseille besitzt seine Scholle Erde im Freien, und der Werk- mann, dessen Mittel es nicht gestatten, ein gemauertes Landhaus mit solidem Ziegeldach zu erbauen und durch einige Fichten oder Pinien zu zieren, der stellt wenigstens eine Hütte sich her. Da nun die Be- wohner von Marseille ebenso passionirte Fischer, wie Nimrod er- gebene Jäger sind, so findet man fast bei allen grösseren Bastiden auch Jagdstände (postes), das sind mit Schiessscharten ausgestattete Laubhütten, in welchen der Jäger das Wild erwartet.
Leider gestatten die zahllosen Einfriedungsmauern keinen Aus- blick über das Terrain.
Ueber dem Thale ruht der Segen einer prächtigen und üppigen Vege- tation, die selbst den Fels mit einer Decke duftender Kräuter überzieht.
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Marseille.
wären ungenügend, die reichen Schätze des Handels zu bergen, wenn
es nicht gelingen würde, die Schnelligkeit des Umsatzes auf jenen
Höhepunkt zu bringen, der hier grösstentheils noch immer durch
primitive Mittel erreicht worden ist.
An der Südseite rückt in das Bild der Stadt die malerische
Höhe der Nôtre-Dame de la Garde, von deren 116 m hohen Spitze
der ehrwürdige Bau der berühmten Kirche gleichen Namens herab-
sieht. Dort ist auch eine Signalstation im Betriebe. Die schluchten-
reichen Abhänge dieses isolirten Berges senken sich in reichen Formen
und mit Ansiedlungen bedeckt zur Küste herab und bilden eine höchst
wirksame Staffage des Panoramas der Stadt.
Die ungefähr 100 m breite Einfahrt in den Vieux Port ist kaum
wahrnehmbar. Das Bassin desselben erweitert sich innerhalb bis auf
350 m Breite bei einer Längserstreckung von 930 m. Es ist ein herr-
liches Hafenbecken, das mehreren hundert Schiffen Raum und Schutz
gewährt. Dort herrscht denn auch im innigsten Contacte mit der Stadt
ein äusserst lebhaftes Treiben, wie es kaum bewegter gedacht
werden kann. Das Innere der ganz modern aussehenden Stadt, beson-
ders die wunderbare Rue Cannebière, um welche selbst Paris Mar-
seille beneidet, verräth zunächst den Reichthum der Bewohner, aber
zeigt uns dafür nicht ein Stück, das den Ruhm vergangener Jahr-
hunderte verkörperte. Nichts verräth die Geschlechter, die hier im
Laufe von 2500 Jahren Herren des Bodens waren.
Die Umgebung von Marseille ist ein von Bewässerungsleitungen
durchzogener fruchtbarer Thalgrund, mit zahlreichen Ortschaften und
Gehöften bedeckt und von Hügelreihen und ansehnlichen Bergen ein-
gefasst, an deren Abhängen unzählige der hier Bastides genannten
Landhäuser in bescheidenen Einfriedungen lagern. Fast jeder Bürger
von Marseille besitzt seine Scholle Erde im Freien, und der Werk-
mann, dessen Mittel es nicht gestatten, ein gemauertes Landhaus mit
solidem Ziegeldach zu erbauen und durch einige Fichten oder Pinien
zu zieren, der stellt wenigstens eine Hütte sich her. Da nun die Be-
wohner von Marseille ebenso passionirte Fischer, wie Nimrod er-
gebene Jäger sind, so findet man fast bei allen grösseren Bastiden
auch Jagdstände (postes), das sind mit Schiessscharten ausgestattete
Laubhütten, in welchen der Jäger das Wild erwartet.
Leider gestatten die zahllosen Einfriedungsmauern keinen Aus-
blick über das Terrain.
Ueber dem Thale ruht der Segen einer prächtigen und üppigen Vege-
tation, die selbst den Fels mit einer Decke duftender Kräuter überzieht.
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/409>, abgerufen am 22.11.2024.
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