haft betheiligt, doch verliert die Stadt bald ihre alte Unabhängigkeit. Während der Fronde erstürmt Ludwig XIV. am 2. März 1660 die Stadt und vereinigt deren Gebiet mit Frankreich.
Aber inmitten der Segnungen eines langen Friedens trat im Mai 1720 die Pest als furchtbare Geissel auf und wüthete ein volles Jahr hindurch.
Neben Beweisen von Hingebung für das allgemeine Wohl und von Herois- mus seitens vieler Bürger erwarb der opferfreudige Muth und die Seelengrösse des Bischofs Belsunce, welcher der Kranken und Sterbenden mit liebevoller Sorg- falt sich annahm, die gebührende Bewunderung und Dankbarkeit.
Die grosse Revolution von 1789 und die lange Reihe von Kriegen gegen England schlugen dem Wohlstande von Marseille tiefe Wunden. Dadurch stieg der Hass gegen Napoleon I., den Zerstörer aller Hoffnungen, so hoch, dass, als 1814 der Kaiser aus der Gefangenschaft auf Elba entfloh und in Cannes landete, Mar- seille eine Zahl von Freicorps organisirte, um den Corsen zu vertreiben. Napoleon war jedoch unterdessen nordwärts seinem Schicksale entgegengeeilt, das den Gi- ganten bald genug bei Waterloo für immer niederwarf.
Marseille erklärte sich nun offen für die weisse Fahne der Royalisten (Juni 1815), das Volk vertrieb die Besatzung, und sich dann allen Excessen hingebend, wüthete es mit Mord und Plünderung selbst gegen die Bürger der eigenen Stadt, die schliesslich zu den Waffen griffen und Ruhe herstellten.
Seitdem erfreut sich Marseille der Segungen einer steten Entwicklung, die nur vorübergehend durch anarchische Unruhen 1870 und 1871 unterbrochen wurde.
Wenn man von der Altstadt, die nördlich des Vieux Port liegt, absieht, ist Marseille im Allgemeinen regelmässig angelegt, wenngleich die Stadt auch nicht jene geometrische Symmetrie besitzt, die vielen amerikanischen Städten eigen ist. Aber Marseille besitzt dessen- ungeachtet einige Strassenzüge von ungewöhnlicher Länge. Zwei der- selben beanspruchen als wichtige Verkehrswege und Orientirungs- achsen der Stadt genannt zu werden. Die eine durchschneidet vom neuen Hafen aus in gerader Richtung nach Südsüdosten die ganze Stadt in einer Länge von mehr als 5 km und führt in ihrem Laufe mehrere Namen, wie: Boulevard de Paris, Rue d'Aix, Cours Belzunce, Cours St. Louis, Rue de Rome und Le Prado. Sie durchschneidet mehrere Plätze, und zwar: Place Pentagone, Place d'Aix mit hübschen Triumph- bögen, Place de Rome und Place Castellane, von welch letzterer an die breite, mit schönen Baumalleen geschmückte Promenade Le Prado hinaus ins Freie führt, um beim Rond-Point westwärts gegen die Küste zu den prächtig gelegenen Bains du Prado, stets in gleicher Breite, abzubiegen.
Die Mitte der Place Castellane schmückt ein Wasserbassin, aus dem ein hoher Obelisk sich erhebt.
Die zweite Orientirungsachse der Stadt durchschneidet die eben- gedachte am Cours St. Louis unterm rechten Winkel. Sie beginnt als
Das Mittelmeerbecken.
haft betheiligt, doch verliert die Stadt bald ihre alte Unabhängigkeit. Während der Fronde erstürmt Ludwig XIV. am 2. März 1660 die Stadt und vereinigt deren Gebiet mit Frankreich.
Aber inmitten der Segnungen eines langen Friedens trat im Mai 1720 die Pest als furchtbare Geissel auf und wüthete ein volles Jahr hindurch.
Neben Beweisen von Hingebung für das allgemeine Wohl und von Herois- mus seitens vieler Bürger erwarb der opferfreudige Muth und die Seelengrösse des Bischofs Belsunce, welcher der Kranken und Sterbenden mit liebevoller Sorg- falt sich annahm, die gebührende Bewunderung und Dankbarkeit.
Die grosse Revolution von 1789 und die lange Reihe von Kriegen gegen England schlugen dem Wohlstande von Marseille tiefe Wunden. Dadurch stieg der Hass gegen Napoleon I., den Zerstörer aller Hoffnungen, so hoch, dass, als 1814 der Kaiser aus der Gefangenschaft auf Elba entfloh und in Cannes landete, Mar- seille eine Zahl von Freicorps organisirte, um den Corsen zu vertreiben. Napoleon war jedoch unterdessen nordwärts seinem Schicksale entgegengeeilt, das den Gi- ganten bald genug bei Waterloo für immer niederwarf.
Marseille erklärte sich nun offen für die weisse Fahne der Royalisten (Juni 1815), das Volk vertrieb die Besatzung, und sich dann allen Excessen hingebend, wüthete es mit Mord und Plünderung selbst gegen die Bürger der eigenen Stadt, die schliesslich zu den Waffen griffen und Ruhe herstellten.
Seitdem erfreut sich Marseille der Segungen einer steten Entwicklung, die nur vorübergehend durch anarchische Unruhen 1870 und 1871 unterbrochen wurde.
Wenn man von der Altstadt, die nördlich des Vieux Port liegt, absieht, ist Marseille im Allgemeinen regelmässig angelegt, wenngleich die Stadt auch nicht jene geometrische Symmetrie besitzt, die vielen amerikanischen Städten eigen ist. Aber Marseille besitzt dessen- ungeachtet einige Strassenzüge von ungewöhnlicher Länge. Zwei der- selben beanspruchen als wichtige Verkehrswege und Orientirungs- achsen der Stadt genannt zu werden. Die eine durchschneidet vom neuen Hafen aus in gerader Richtung nach Südsüdosten die ganze Stadt in einer Länge von mehr als 5 km und führt in ihrem Laufe mehrere Namen, wie: Boulevard de Paris, Rue d’Aix, Cours Belzunce, Cours St. Louis, Rue de Rome und Le Prado. Sie durchschneidet mehrere Plätze, und zwar: Place Pentagone, Place d’Aix mit hübschen Triumph- bögen, Place de Rome und Place Castellane, von welch letzterer an die breite, mit schönen Baumalleen geschmückte Promenade Le Prado hinaus ins Freie führt, um beim Rond-Point westwärts gegen die Küste zu den prächtig gelegenen Bains du Prado, stets in gleicher Breite, abzubiegen.
Die Mitte der Place Castellane schmückt ein Wasserbassin, aus dem ein hoher Obelisk sich erhebt.
Die zweite Orientirungsachse der Stadt durchschneidet die eben- gedachte am Cours St. Louis unterm rechten Winkel. Sie beginnt als
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Das Mittelmeerbecken.
haft betheiligt, doch verliert die Stadt bald ihre alte Unabhängigkeit. Während
der Fronde erstürmt Ludwig XIV. am 2. März 1660 die Stadt und vereinigt
deren Gebiet mit Frankreich.
Aber inmitten der Segnungen eines langen Friedens trat im Mai 1720 die
Pest als furchtbare Geissel auf und wüthete ein volles Jahr hindurch.
Neben Beweisen von Hingebung für das allgemeine Wohl und von Herois-
mus seitens vieler Bürger erwarb der opferfreudige Muth und die Seelengrösse
des Bischofs Belsunce, welcher der Kranken und Sterbenden mit liebevoller Sorg-
falt sich annahm, die gebührende Bewunderung und Dankbarkeit.
Die grosse Revolution von 1789 und die lange Reihe von Kriegen gegen
England schlugen dem Wohlstande von Marseille tiefe Wunden. Dadurch stieg der
Hass gegen Napoleon I., den Zerstörer aller Hoffnungen, so hoch, dass, als 1814
der Kaiser aus der Gefangenschaft auf Elba entfloh und in Cannes landete, Mar-
seille eine Zahl von Freicorps organisirte, um den Corsen zu vertreiben. Napoleon
war jedoch unterdessen nordwärts seinem Schicksale entgegengeeilt, das den Gi-
ganten bald genug bei Waterloo für immer niederwarf.
Marseille erklärte sich nun offen für die weisse Fahne der Royalisten (Juni
1815), das Volk vertrieb die Besatzung, und sich dann allen Excessen hingebend,
wüthete es mit Mord und Plünderung selbst gegen die Bürger der eigenen Stadt,
die schliesslich zu den Waffen griffen und Ruhe herstellten.
Seitdem erfreut sich Marseille der Segungen einer steten Entwicklung, die
nur vorübergehend durch anarchische Unruhen 1870 und 1871 unterbrochen wurde.
Wenn man von der Altstadt, die nördlich des Vieux Port liegt,
absieht, ist Marseille im Allgemeinen regelmässig angelegt, wenngleich
die Stadt auch nicht jene geometrische Symmetrie besitzt, die vielen
amerikanischen Städten eigen ist. Aber Marseille besitzt dessen-
ungeachtet einige Strassenzüge von ungewöhnlicher Länge. Zwei der-
selben beanspruchen als wichtige Verkehrswege und Orientirungs-
achsen der Stadt genannt zu werden. Die eine durchschneidet vom
neuen Hafen aus in gerader Richtung nach Südsüdosten die ganze
Stadt in einer Länge von mehr als 5 km und führt in ihrem Laufe mehrere
Namen, wie: Boulevard de Paris, Rue d’Aix, Cours Belzunce, Cours
St. Louis, Rue de Rome und Le Prado. Sie durchschneidet mehrere
Plätze, und zwar: Place Pentagone, Place d’Aix mit hübschen Triumph-
bögen, Place de Rome und Place Castellane, von welch letzterer an
die breite, mit schönen Baumalleen geschmückte Promenade Le Prado
hinaus ins Freie führt, um beim Rond-Point westwärts gegen die
Küste zu den prächtig gelegenen Bains du Prado, stets in gleicher
Breite, abzubiegen.
Die Mitte der Place Castellane schmückt ein Wasserbassin, aus
dem ein hoher Obelisk sich erhebt.
Die zweite Orientirungsachse der Stadt durchschneidet die eben-
gedachte am Cours St. Louis unterm rechten Winkel. Sie beginnt als
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/412>, abgerufen am 22.11.2024.
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