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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Marseille.
Grund und Boden entstandenen Colonie mit Neid und Hass verfolgten. Unter
Catumandes erschienen die Ligurier vor der Stadt, aber Minerva bewahrte letztere
vor dem Untergange, und als Carthago geendet hatte, sah Massalia sich auf
dem Höhepunkte der Macht. Aber nun zeigte sich gar bald der uralte Kreislauf,
in dem Macht und Verfall getrieben werden. Massalia, die Helferin Roms im
Kampfe gegen Carthago und Ligurien, fiel nun selbst unter die Gewalt der
grossen Weltbeherrscherin.

Nach ruhmvoller Vertheidigung zog Cäsar in Massalia ein und schonte die
berühmte Stadt, doch liess er sich den Schatz, die Waffen und alle Schiffe aus-
folgen. Auch verlor die Stadt alle Colonien mit Ausnahme von Nizza, dafür wurde
sie ein Sitz der Kunst und Wissenschaft, und für den jungen Adel Galliens, selbst
für viele Römer blieb Massalia noch in der Kaiserzeit ein beliebter Aufenthalt.
Griechische Sprache wurde hier noch im III. Jahrhundert n. Chr. gepflegt, Ab-
schriften griechischer Werke sind hier noch im frühen Mittelalter gemacht worden.

Die Zeit der Völkerwanderung brachte schwere Drangsale über die Stadt;
Westgothen, Saracenen und Piraten überfielen und entvölkerten sie, aber konnten
sie nicht vernichten. Erst gegen Mitte des X. Jahrhunderts erhebt sich Marseille
unter der Herrschaft der Vicomtes aus dem Abgrunde des Verfalls, um sich 1112
als Republik zu constituiren.

Schon zur Zeit der Römer bestand Marseille aus zwei durch eine Mauer
von einander gesonderten Theilen, und zwar war die obere Stadt römisch, die
untere aber griechisch. Letztere hatte ihre alten freiheitlichen Institutionen be-
wahrt. Diese eigenthümliche Sonderung hatte sich Jahrhunderte lang erhalten und
im Mittelalter finden wir Marseille sogar in drei Städte geschieden, deren jede
eine Regierung, ein eigenes Gebiet und einen abgesonderten Hafen besass. Zur
unteren Stadt gehörte der antike Hafen (Vieux port), die obere bischöfliche Stadt
(ville episcopale) besass die Bucht von Joliette (damals Port gaulois, Porto Gallo
gen.), und zur Abtei St. Victor endlich gehörte der Hafen St. Lambert (Bucht
Catalans).

Während der grossen, durch die Kreuzzüge hervorgerufenen Bewegung,
blühte die Stadt lebhaft auf, indes zwang der ehrgeizige Karl v. Anjou die Republik
Marseille 1253 zur Unterwerfung, und als selbe sich mit Alphons X. verband, um
die Freiheit wieder zu gewinnen, bezwang Karl die Stadt nach langer Belagerung
durch Hunger (1256) und besetzte die Citadelle.

Im XV. Jahrhunderte bemächtigte sich Alphons von Aragon der benach-
barten Stadt Ciotat, die er plündern liess, als aber die tapferen Marseiller zur
Hilfe herbeigeeilt waren und die Feinde vertrieben hatten, griff Alphons, darüber
erbittert, nun Marseille zu Land und See an. Die Stadt verfiel der Plünderung
und den Flammen (1423).

Kaum war wieder Wohlstand und Behagen zurückgekehrt, als der Conne-
table von Bourbon (1524) die Stadt durch ein Heer von 40.000 Mann belagern
liess. Diese Belagerung bildet durch die Todesverachtung und Ausdauer der Ver-
theidiger, noch mehr aber durch den Heldenmuth der Frauen von Marseille,
welchem die Rettung zu verdanken war, eine der denkwürdigsten Episoden in der
Geschichte der Stadt. An dieses Ereigniss erinnert der Name des Boulevard des
Dames, einer schönen Strasse, die vom Quai de la Joliette zur Place d'Aix ge-
führt ist.

An den Religionskriegen des XVI. Jahrhundertes finden wir Marseille leb-

Marseille.
Grund und Boden entstandenen Colonie mit Neid und Hass verfolgten. Unter
Catumandes erschienen die Ligurier vor der Stadt, aber Minerva bewahrte letztere
vor dem Untergange, und als Carthago geendet hatte, sah Massalia sich auf
dem Höhepunkte der Macht. Aber nun zeigte sich gar bald der uralte Kreislauf,
in dem Macht und Verfall getrieben werden. Massalia, die Helferin Roms im
Kampfe gegen Carthago und Ligurien, fiel nun selbst unter die Gewalt der
grossen Weltbeherrscherin.

Nach ruhmvoller Vertheidigung zog Cäsar in Massalia ein und schonte die
berühmte Stadt, doch liess er sich den Schatz, die Waffen und alle Schiffe aus-
folgen. Auch verlor die Stadt alle Colonien mit Ausnahme von Nizza, dafür wurde
sie ein Sitz der Kunst und Wissenschaft, und für den jungen Adel Galliens, selbst
für viele Römer blieb Massalia noch in der Kaiserzeit ein beliebter Aufenthalt.
Griechische Sprache wurde hier noch im III. Jahrhundert n. Chr. gepflegt, Ab-
schriften griechischer Werke sind hier noch im frühen Mittelalter gemacht worden.

Die Zeit der Völkerwanderung brachte schwere Drangsale über die Stadt;
Westgothen, Saracenen und Piraten überfielen und entvölkerten sie, aber konnten
sie nicht vernichten. Erst gegen Mitte des X. Jahrhunderts erhebt sich Marseille
unter der Herrschaft der Vicomtes aus dem Abgrunde des Verfalls, um sich 1112
als Republik zu constituiren.

Schon zur Zeit der Römer bestand Marseille aus zwei durch eine Mauer
von einander gesonderten Theilen, und zwar war die obere Stadt römisch, die
untere aber griechisch. Letztere hatte ihre alten freiheitlichen Institutionen be-
wahrt. Diese eigenthümliche Sonderung hatte sich Jahrhunderte lang erhalten und
im Mittelalter finden wir Marseille sogar in drei Städte geschieden, deren jede
eine Regierung, ein eigenes Gebiet und einen abgesonderten Hafen besass. Zur
unteren Stadt gehörte der antike Hafen (Vieux port), die obere bischöfliche Stadt
(ville épiscopale) besass die Bucht von Joliette (damals Port gaulois, Porto Gallo
gen.), und zur Abtei St. Victor endlich gehörte der Hafen St. Lambert (Bucht
Catalans).

Während der grossen, durch die Kreuzzüge hervorgerufenen Bewegung,
blühte die Stadt lebhaft auf, indes zwang der ehrgeizige Karl v. Anjou die Republik
Marseille 1253 zur Unterwerfung, und als selbe sich mit Alphons X. verband, um
die Freiheit wieder zu gewinnen, bezwang Karl die Stadt nach langer Belagerung
durch Hunger (1256) und besetzte die Citadelle.

Im XV. Jahrhunderte bemächtigte sich Alphons von Aragon der benach-
barten Stadt Ciotat, die er plündern liess, als aber die tapferen Marseiller zur
Hilfe herbeigeeilt waren und die Feinde vertrieben hatten, griff Alphons, darüber
erbittert, nun Marseille zu Land und See an. Die Stadt verfiel der Plünderung
und den Flammen (1423).

Kaum war wieder Wohlstand und Behagen zurückgekehrt, als der Conné-
table von Bourbon (1524) die Stadt durch ein Heer von 40.000 Mann belagern
liess. Diese Belagerung bildet durch die Todesverachtung und Ausdauer der Ver-
theidiger, noch mehr aber durch den Heldenmuth der Frauen von Marseille,
welchem die Rettung zu verdanken war, eine der denkwürdigsten Episoden in der
Geschichte der Stadt. An dieses Ereigniss erinnert der Name des Boulevard des
Dames, einer schönen Strasse, die vom Quai de la Joliette zur Place d’Aix ge-
führt ist.

An den Religionskriegen des XVI. Jahrhundertes finden wir Marseille leb-

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[391/0411] Marseille. Grund und Boden entstandenen Colonie mit Neid und Hass verfolgten. Unter Catumandes erschienen die Ligurier vor der Stadt, aber Minerva bewahrte letztere vor dem Untergange, und als Carthago geendet hatte, sah Massalia sich auf dem Höhepunkte der Macht. Aber nun zeigte sich gar bald der uralte Kreislauf, in dem Macht und Verfall getrieben werden. Massalia, die Helferin Roms im Kampfe gegen Carthago und Ligurien, fiel nun selbst unter die Gewalt der grossen Weltbeherrscherin. Nach ruhmvoller Vertheidigung zog Cäsar in Massalia ein und schonte die berühmte Stadt, doch liess er sich den Schatz, die Waffen und alle Schiffe aus- folgen. Auch verlor die Stadt alle Colonien mit Ausnahme von Nizza, dafür wurde sie ein Sitz der Kunst und Wissenschaft, und für den jungen Adel Galliens, selbst für viele Römer blieb Massalia noch in der Kaiserzeit ein beliebter Aufenthalt. Griechische Sprache wurde hier noch im III. Jahrhundert n. Chr. gepflegt, Ab- schriften griechischer Werke sind hier noch im frühen Mittelalter gemacht worden. Die Zeit der Völkerwanderung brachte schwere Drangsale über die Stadt; Westgothen, Saracenen und Piraten überfielen und entvölkerten sie, aber konnten sie nicht vernichten. Erst gegen Mitte des X. Jahrhunderts erhebt sich Marseille unter der Herrschaft der Vicomtes aus dem Abgrunde des Verfalls, um sich 1112 als Republik zu constituiren. Schon zur Zeit der Römer bestand Marseille aus zwei durch eine Mauer von einander gesonderten Theilen, und zwar war die obere Stadt römisch, die untere aber griechisch. Letztere hatte ihre alten freiheitlichen Institutionen be- wahrt. Diese eigenthümliche Sonderung hatte sich Jahrhunderte lang erhalten und im Mittelalter finden wir Marseille sogar in drei Städte geschieden, deren jede eine Regierung, ein eigenes Gebiet und einen abgesonderten Hafen besass. Zur unteren Stadt gehörte der antike Hafen (Vieux port), die obere bischöfliche Stadt (ville épiscopale) besass die Bucht von Joliette (damals Port gaulois, Porto Gallo gen.), und zur Abtei St. Victor endlich gehörte der Hafen St. Lambert (Bucht Catalans). Während der grossen, durch die Kreuzzüge hervorgerufenen Bewegung, blühte die Stadt lebhaft auf, indes zwang der ehrgeizige Karl v. Anjou die Republik Marseille 1253 zur Unterwerfung, und als selbe sich mit Alphons X. verband, um die Freiheit wieder zu gewinnen, bezwang Karl die Stadt nach langer Belagerung durch Hunger (1256) und besetzte die Citadelle. Im XV. Jahrhunderte bemächtigte sich Alphons von Aragon der benach- barten Stadt Ciotat, die er plündern liess, als aber die tapferen Marseiller zur Hilfe herbeigeeilt waren und die Feinde vertrieben hatten, griff Alphons, darüber erbittert, nun Marseille zu Land und See an. Die Stadt verfiel der Plünderung und den Flammen (1423). Kaum war wieder Wohlstand und Behagen zurückgekehrt, als der Conné- table von Bourbon (1524) die Stadt durch ein Heer von 40.000 Mann belagern liess. Diese Belagerung bildet durch die Todesverachtung und Ausdauer der Ver- theidiger, noch mehr aber durch den Heldenmuth der Frauen von Marseille, welchem die Rettung zu verdanken war, eine der denkwürdigsten Episoden in der Geschichte der Stadt. An dieses Ereigniss erinnert der Name des Boulevard des Dames, einer schönen Strasse, die vom Quai de la Joliette zur Place d’Aix ge- führt ist. An den Religionskriegen des XVI. Jahrhundertes finden wir Marseille leb-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/411>, abgerufen am 22.11.2024.