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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Dünkirchen.
welcher Umstand den Verkehr grösserer Oceandampfer nur auf die
Zeit des Hochwassers beschränkt, das hier bei Springflut 5 m über
den Ebbestand ansteigt. Doch sind Baggerungen und der Bau einer
neuen Schleusse für tiefgehende Schiffe im Zuge.

Auch die äussere Zufahrt zum Hafen ist durch die der Flach-
küste vorgelagerten, weit ausgedehnten Sandbänke sehr umständlich
und namentlich bei bedecktem und stürmischem Wetter mit Gefahr
verbunden, obgleich alle Hilfsmittel angewendet wurden, um den
Seefahrern das Erkennen und Anlaufen des Hafens zu erleichtern.
20 km nordwestlich liegt das auf hoher See verankerte Leuchtschiff
Ruytingen; dieses und zwei andere Leuchtschiffe: Snow und Dyck,
beleuchten die von Westen zur Hafeneinfahrt führende Wasserstrasse;
sie trotzen allen Stürmen, widerstehen dem furchtbaren Andrang der
wild bewegten See.

Welche Erlebnisse vor der Seele der Feuerwächter, deren Leben
an einer Ankerkette hängt, während eines Jahres vorüberziehen und
wie überhaupt die Welt dieser wetterharten Menschen mit den ehernen
Zügen aussieht, mag sich die Phantasie leicht ausmalen.

Der Hafen selbst ist durch vier Leuchtfeuer, wovon jenes nächst
dem Bassin Freycinet auf einem 59 m hohen Thurme gezeigte, ein
elektrisches ist, beleuchtet. Ausserdem bestehen Nebelglocken, Nebel-
hörner zur Warnung und Leitung der Schiffe bei trübem Wetter.

Die flache Dünenküste, die ost- und westwärts der Stadt in
grandioser Trostlosigkeit sich dehnt, haben die Sturmfluten ange-
schwemmt, und die heulende Windsbraut bedeckte sie mit regellosen
Sandhügeln; eine tiefe Melancholie lagert über der Gegend. Man ge-
wahrt an diesem öden Strande nur die Häuschen der Küstenwache,
hie und da die geometrische Figur irgend einer Marke für Küsten-
fahrzeuge, die gespensterhafte Silhouette einer Windmühle oder die
Spitze eines weit im Binnenlande stehenden Kirchthurmes. Wenn
neue Stürme losbrechen, geräth der Sandboden in Bewegung, ein un-
heimliches Treiben beginnt, die furchtbaren Roller der Brandung
mengen den Gischt mit den emporgerissenen Sandmassen, neue Hügel
entstehen, um beim nächsten Anprall des Sturmes wieder entführt zu
werden.

Wehe dem Schiffe, das hier bei Sturm auf Grund geräth; es
ist verloren. Die längs der Küste eingerichteten Rettungsbootstationen
haben indes die Aufgabe, die Gestrandeten dem Tode zu entreissen.
Mit antiker Seelenstärke folgen beherzte Männer diesem edlen Berufe,
das eigene Leben für fremdes gefährdend.


Dünkirchen.
welcher Umstand den Verkehr grösserer Oceandampfer nur auf die
Zeit des Hochwassers beschränkt, das hier bei Springflut 5 m über
den Ebbestand ansteigt. Doch sind Baggerungen und der Bau einer
neuen Schleusse für tiefgehende Schiffe im Zuge.

Auch die äussere Zufahrt zum Hafen ist durch die der Flach-
küste vorgelagerten, weit ausgedehnten Sandbänke sehr umständlich
und namentlich bei bedecktem und stürmischem Wetter mit Gefahr
verbunden, obgleich alle Hilfsmittel angewendet wurden, um den
Seefahrern das Erkennen und Anlaufen des Hafens zu erleichtern.
20 km nordwestlich liegt das auf hoher See verankerte Leuchtschiff
Ruytingen; dieses und zwei andere Leuchtschiffe: Snow und Dyck,
beleuchten die von Westen zur Hafeneinfahrt führende Wasserstrasse;
sie trotzen allen Stürmen, widerstehen dem furchtbaren Andrang der
wild bewegten See.

Welche Erlebnisse vor der Seele der Feuerwächter, deren Leben
an einer Ankerkette hängt, während eines Jahres vorüberziehen und
wie überhaupt die Welt dieser wetterharten Menschen mit den ehernen
Zügen aussieht, mag sich die Phantasie leicht ausmalen.

Der Hafen selbst ist durch vier Leuchtfeuer, wovon jenes nächst
dem Bassin Freycinet auf einem 59 m hohen Thurme gezeigte, ein
elektrisches ist, beleuchtet. Ausserdem bestehen Nebelglocken, Nebel-
hörner zur Warnung und Leitung der Schiffe bei trübem Wetter.

Die flache Dünenküste, die ost- und westwärts der Stadt in
grandioser Trostlosigkeit sich dehnt, haben die Sturmfluten ange-
schwemmt, und die heulende Windsbraut bedeckte sie mit regellosen
Sandhügeln; eine tiefe Melancholie lagert über der Gegend. Man ge-
wahrt an diesem öden Strande nur die Häuschen der Küstenwache,
hie und da die geometrische Figur irgend einer Marke für Küsten-
fahrzeuge, die gespensterhafte Silhouette einer Windmühle oder die
Spitze eines weit im Binnenlande stehenden Kirchthurmes. Wenn
neue Stürme losbrechen, geräth der Sandboden in Bewegung, ein un-
heimliches Treiben beginnt, die furchtbaren Roller der Brandung
mengen den Gischt mit den emporgerissenen Sandmassen, neue Hügel
entstehen, um beim nächsten Anprall des Sturmes wieder entführt zu
werden.

Wehe dem Schiffe, das hier bei Sturm auf Grund geräth; es
ist verloren. Die längs der Küste eingerichteten Rettungsbootstationen
haben indes die Aufgabe, die Gestrandeten dem Tode zu entreissen.
Mit antiker Seelenstärke folgen beherzte Männer diesem edlen Berufe,
das eigene Leben für fremdes gefährdend.


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[639/0659] Dünkirchen. welcher Umstand den Verkehr grösserer Oceandampfer nur auf die Zeit des Hochwassers beschränkt, das hier bei Springflut 5 m über den Ebbestand ansteigt. Doch sind Baggerungen und der Bau einer neuen Schleusse für tiefgehende Schiffe im Zuge. Auch die äussere Zufahrt zum Hafen ist durch die der Flach- küste vorgelagerten, weit ausgedehnten Sandbänke sehr umständlich und namentlich bei bedecktem und stürmischem Wetter mit Gefahr verbunden, obgleich alle Hilfsmittel angewendet wurden, um den Seefahrern das Erkennen und Anlaufen des Hafens zu erleichtern. 20 km nordwestlich liegt das auf hoher See verankerte Leuchtschiff Ruytingen; dieses und zwei andere Leuchtschiffe: Snow und Dyck, beleuchten die von Westen zur Hafeneinfahrt führende Wasserstrasse; sie trotzen allen Stürmen, widerstehen dem furchtbaren Andrang der wild bewegten See. Welche Erlebnisse vor der Seele der Feuerwächter, deren Leben an einer Ankerkette hängt, während eines Jahres vorüberziehen und wie überhaupt die Welt dieser wetterharten Menschen mit den ehernen Zügen aussieht, mag sich die Phantasie leicht ausmalen. Der Hafen selbst ist durch vier Leuchtfeuer, wovon jenes nächst dem Bassin Freycinet auf einem 59 m hohen Thurme gezeigte, ein elektrisches ist, beleuchtet. Ausserdem bestehen Nebelglocken, Nebel- hörner zur Warnung und Leitung der Schiffe bei trübem Wetter. Die flache Dünenküste, die ost- und westwärts der Stadt in grandioser Trostlosigkeit sich dehnt, haben die Sturmfluten ange- schwemmt, und die heulende Windsbraut bedeckte sie mit regellosen Sandhügeln; eine tiefe Melancholie lagert über der Gegend. Man ge- wahrt an diesem öden Strande nur die Häuschen der Küstenwache, hie und da die geometrische Figur irgend einer Marke für Küsten- fahrzeuge, die gespensterhafte Silhouette einer Windmühle oder die Spitze eines weit im Binnenlande stehenden Kirchthurmes. Wenn neue Stürme losbrechen, geräth der Sandboden in Bewegung, ein un- heimliches Treiben beginnt, die furchtbaren Roller der Brandung mengen den Gischt mit den emporgerissenen Sandmassen, neue Hügel entstehen, um beim nächsten Anprall des Sturmes wieder entführt zu werden. Wehe dem Schiffe, das hier bei Sturm auf Grund geräth; es ist verloren. Die längs der Küste eingerichteten Rettungsbootstationen haben indes die Aufgabe, die Gestrandeten dem Tode zu entreissen. Mit antiker Seelenstärke folgen beherzte Männer diesem edlen Berufe, das eigene Leben für fremdes gefährdend.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/659>, abgerufen am 22.11.2024.