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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.

Die höchste Blüthe in Handel und Industrie erreichten die Niederlande,
als sie 1384 unter das Haus Burgund kamen, weil eine kräftige landesfürstliche
Gewalt den Kriegen der Städte unter einander steuerte.

Als aber nach dem Tode Karl des Kühnen die jugendschwachen Hände der
schönen Maria von Burgund, der Braut Maximilian's, des letzten Ritters, das
Scepter führte, da brach der Uebermuth der Bürger, vorab jener von Brügge, rück-
sichtslos hervor.

Viele Kaufleute verliessen 1488 die wegen ihrer beständigen Bürgerkämpfe
ungastliche Stadt und zogen nach dem an der tiefen Schelde gelegenen Antwerpen.

Schon 1490 finden wir hier einen portugiesischen Handelsconsul, 1503 er-
scheinen an seinem Gestade portugiesische Schiffe mit indischen Specereien,
welche der Antwerpener Nicolau's Rechtergem der Erste nach Deutschland weiter
spedirte und die an den reichen Augsburger Häusern Fugger und Höchstetter,
welche Filialen in Antwerpen hatten, ihre Hauptabnehmer fanden. Den Portugiesen
folgten die Italiener und die Ostseekaufleute.

Unter Karl V., der sich bekanntlich als Niederländer fühlte, sehen wir
Antwerpens glänzendste Periode.

Damals nannte man die Stadt das "Tyrus des Nordens", die "Welt einen
Ring und Antwerpen den Edelstein darin".

Es lagen oft 2500 Schiffe in der Schelde, und fast alle Zweige des Gewerbe-
fleisses waren hier eingebürgert. Bei dem Florentiner Guicciardini erscheint Ant-
werpen 1566 nicht nur als die erste Handelsstadt der Niederlande, sondern
Europas, charakterisirt durch die Theuerung der Wohnungen, die unvergleichliche
Freiheit, deren die Fremden genossen, die fast beliebige Zinshöhe und den Ruhm,
keine Aufstände und Plünderungen erlebt zu haben.

Doch bald hörte dies Alles auf. Unter Philipp II., dem sein Vater Karl V.
erst in der letzten Stunde vor seiner Abreise die Niederlande übergeben hatte, be-
gannen die Kriege zwischen den Spaniern und den Protestanten des Landes,
zwischen dem Könige, der nach absoluter Gewalt strebte, und dem selbstbewussten
Bürgerthume, das nichts mehr hasste als Auflagen auf Handel und Verkehr, wie
Philipp II. sie einführte, wohl in der Absicht, dadurch die Niederländer zahm
zu machen.

Schon damals verliessen viele Kaufleute die Stadt, welche 1576 von den
Spaniern erobert und durch drei Tage geplündert wurde, wobei 7000 Menschen
das Leben einbüssten. Und im August 1585 fiel nach einer 14 Monate währenden
ruhmwürdigen Vertheidigung und Belagerung, welche als die hohe Schule für die
Militärs aller Völker betrachtet wurde, die Stadt durch Capitulation in die Hände
des Alexander Farnese (Herzog von Parma). Damit war entschieden, dass Ant-
werpen unter den Spaniern verbleibe.

Alexander Farnese zeigte sich wohl mild und grossmüthig gegen die Unter-
worfenen, aber die katholische Religion wurde zur ausschliesslichen in Antwerpen
erklärt und allen Ketzern eine gewisse Frist gesetzt, bis zu welcher sie die Stadt
verlassen haben müssten. Diese Bestimmung war nach Dr. Martin Philippson
(Westeuropa im Zeitalter Philipp II.), dem wir hier folgen, das Todesurtheil für
die reichste und lebhafteste Stadt Europas. Die thätigsten und begütertsten
Handelsherren und mit ihnen 19.000 Andere wanderten nach Amsterdam und den
übrigen Handelsstädten des protestantischen Holland aus, andere Flüchtlinge
gingen nach England.


Der atlantische Ocean.

Die höchste Blüthe in Handel und Industrie erreichten die Niederlande,
als sie 1384 unter das Haus Burgund kamen, weil eine kräftige landesfürstliche
Gewalt den Kriegen der Städte unter einander steuerte.

Als aber nach dem Tode Karl des Kühnen die jugendschwachen Hände der
schönen Maria von Burgund, der Braut Maximilian’s, des letzten Ritters, das
Scepter führte, da brach der Uebermuth der Bürger, vorab jener von Brügge, rück-
sichtslos hervor.

Viele Kaufleute verliessen 1488 die wegen ihrer beständigen Bürgerkämpfe
ungastliche Stadt und zogen nach dem an der tiefen Schelde gelegenen Antwerpen.

Schon 1490 finden wir hier einen portugiesischen Handelsconsul, 1503 er-
scheinen an seinem Gestade portugiesische Schiffe mit indischen Specereien,
welche der Antwerpener Nicolau’s Rechtergem der Erste nach Deutschland weiter
spedirte und die an den reichen Augsburger Häusern Fugger und Höchstetter,
welche Filialen in Antwerpen hatten, ihre Hauptabnehmer fanden. Den Portugiesen
folgten die Italiener und die Ostseekaufleute.

Unter Karl V., der sich bekanntlich als Niederländer fühlte, sehen wir
Antwerpens glänzendste Periode.

Damals nannte man die Stadt das „Tyrus des Nordens“, die „Welt einen
Ring und Antwerpen den Edelstein darin“.

Es lagen oft 2500 Schiffe in der Schelde, und fast alle Zweige des Gewerbe-
fleisses waren hier eingebürgert. Bei dem Florentiner Guicciardini erscheint Ant-
werpen 1566 nicht nur als die erste Handelsstadt der Niederlande, sondern
Europas, charakterisirt durch die Theuerung der Wohnungen, die unvergleichliche
Freiheit, deren die Fremden genossen, die fast beliebige Zinshöhe und den Ruhm,
keine Aufstände und Plünderungen erlebt zu haben.

Doch bald hörte dies Alles auf. Unter Philipp II., dem sein Vater Karl V.
erst in der letzten Stunde vor seiner Abreise die Niederlande übergeben hatte, be-
gannen die Kriege zwischen den Spaniern und den Protestanten des Landes,
zwischen dem Könige, der nach absoluter Gewalt strebte, und dem selbstbewussten
Bürgerthume, das nichts mehr hasste als Auflagen auf Handel und Verkehr, wie
Philipp II. sie einführte, wohl in der Absicht, dadurch die Niederländer zahm
zu machen.

Schon damals verliessen viele Kaufleute die Stadt, welche 1576 von den
Spaniern erobert und durch drei Tage geplündert wurde, wobei 7000 Menschen
das Leben einbüssten. Und im August 1585 fiel nach einer 14 Monate währenden
ruhmwürdigen Vertheidigung und Belagerung, welche als die hohe Schule für die
Militärs aller Völker betrachtet wurde, die Stadt durch Capitulation in die Hände
des Alexander Farnese (Herzog von Parma). Damit war entschieden, dass Ant-
werpen unter den Spaniern verbleibe.

Alexander Farnese zeigte sich wohl mild und grossmüthig gegen die Unter-
worfenen, aber die katholische Religion wurde zur ausschliesslichen in Antwerpen
erklärt und allen Ketzern eine gewisse Frist gesetzt, bis zu welcher sie die Stadt
verlassen haben müssten. Diese Bestimmung war nach Dr. Martin Philippson
(Westeuropa im Zeitalter Philipp II.), dem wir hier folgen, das Todesurtheil für
die reichste und lebhafteste Stadt Europas. Die thätigsten und begütertsten
Handelsherren und mit ihnen 19.000 Andere wanderten nach Amsterdam und den
übrigen Handelsstädten des protestantischen Holland aus, andere Flüchtlinge
gingen nach England.


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[656/0676] Der atlantische Ocean. Die höchste Blüthe in Handel und Industrie erreichten die Niederlande, als sie 1384 unter das Haus Burgund kamen, weil eine kräftige landesfürstliche Gewalt den Kriegen der Städte unter einander steuerte. Als aber nach dem Tode Karl des Kühnen die jugendschwachen Hände der schönen Maria von Burgund, der Braut Maximilian’s, des letzten Ritters, das Scepter führte, da brach der Uebermuth der Bürger, vorab jener von Brügge, rück- sichtslos hervor. Viele Kaufleute verliessen 1488 die wegen ihrer beständigen Bürgerkämpfe ungastliche Stadt und zogen nach dem an der tiefen Schelde gelegenen Antwerpen. Schon 1490 finden wir hier einen portugiesischen Handelsconsul, 1503 er- scheinen an seinem Gestade portugiesische Schiffe mit indischen Specereien, welche der Antwerpener Nicolau’s Rechtergem der Erste nach Deutschland weiter spedirte und die an den reichen Augsburger Häusern Fugger und Höchstetter, welche Filialen in Antwerpen hatten, ihre Hauptabnehmer fanden. Den Portugiesen folgten die Italiener und die Ostseekaufleute. Unter Karl V., der sich bekanntlich als Niederländer fühlte, sehen wir Antwerpens glänzendste Periode. Damals nannte man die Stadt das „Tyrus des Nordens“, die „Welt einen Ring und Antwerpen den Edelstein darin“. Es lagen oft 2500 Schiffe in der Schelde, und fast alle Zweige des Gewerbe- fleisses waren hier eingebürgert. Bei dem Florentiner Guicciardini erscheint Ant- werpen 1566 nicht nur als die erste Handelsstadt der Niederlande, sondern Europas, charakterisirt durch die Theuerung der Wohnungen, die unvergleichliche Freiheit, deren die Fremden genossen, die fast beliebige Zinshöhe und den Ruhm, keine Aufstände und Plünderungen erlebt zu haben. Doch bald hörte dies Alles auf. Unter Philipp II., dem sein Vater Karl V. erst in der letzten Stunde vor seiner Abreise die Niederlande übergeben hatte, be- gannen die Kriege zwischen den Spaniern und den Protestanten des Landes, zwischen dem Könige, der nach absoluter Gewalt strebte, und dem selbstbewussten Bürgerthume, das nichts mehr hasste als Auflagen auf Handel und Verkehr, wie Philipp II. sie einführte, wohl in der Absicht, dadurch die Niederländer zahm zu machen. Schon damals verliessen viele Kaufleute die Stadt, welche 1576 von den Spaniern erobert und durch drei Tage geplündert wurde, wobei 7000 Menschen das Leben einbüssten. Und im August 1585 fiel nach einer 14 Monate währenden ruhmwürdigen Vertheidigung und Belagerung, welche als die hohe Schule für die Militärs aller Völker betrachtet wurde, die Stadt durch Capitulation in die Hände des Alexander Farnese (Herzog von Parma). Damit war entschieden, dass Ant- werpen unter den Spaniern verbleibe. Alexander Farnese zeigte sich wohl mild und grossmüthig gegen die Unter- worfenen, aber die katholische Religion wurde zur ausschliesslichen in Antwerpen erklärt und allen Ketzern eine gewisse Frist gesetzt, bis zu welcher sie die Stadt verlassen haben müssten. Diese Bestimmung war nach Dr. Martin Philippson (Westeuropa im Zeitalter Philipp II.), dem wir hier folgen, das Todesurtheil für die reichste und lebhafteste Stadt Europas. Die thätigsten und begütertsten Handelsherren und mit ihnen 19.000 Andere wanderten nach Amsterdam und den übrigen Handelsstädten des protestantischen Holland aus, andere Flüchtlinge gingen nach England.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/676>, abgerufen am 22.11.2024.