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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Antwerpen.
Rubens. Das Haus ist heute noch in demselben Zustande, in welchem
es sich im XVI. Jahrhunderte befand, die berühmte Druckerei dieser
Zeit kann jeden Augenblick die Arbeit, der Laden den Verkauf be-
ginnen.

Nennen wir noch den Königspalast (ein im Rococostyl 1755
erbautes Patricierhaus), die prächtige neue Börse, welche an Stelle
des 1858 abgebrannten alten herrlichen Baues sich erhebt, die
Nationalbank, das neue Justizpalais, die französische Oper, das
niederländische Schauspielhaus, so haben wir die Aufzählung der
sehenswerthesten Gebäude noch nicht erschöpft.

Weisen die vorne genannten Kunstdenkmäler auf die grosse
Vergangenheit Antwerpens hin, so bekunden andere Werke der Neuzeit
das rege Interesse der Stadt für Kunst und Wissenschaft.

Reich ist denn auch die Zahl der Standbilder, welche hervor-
ragenden Söhnen Antwerpens und anderen um ihr Aufblühen verdienten
Persönlichkeiten von dem dankbaren Gemeinwesen errichtet wurden.
Von Interesse ist das Leopold I., dem ersten Könige von Belgien,
1868 gesetzte Reiterstandbild.

Mit seinen Parkanlagen, worunter der zoologische Garten, der
herrliche, an malerischen Partien reiche Park, endlich der Park des
Neijverheidspaleis hervorgehoben werden müssen, durch seine schönen
Avenuen und Strassen ist Antwerpen eine ebenso elegante und an-
genehme Stadt, wie es durch den seltenen Reichthum seiner Kunst-
schätze eine der interessantesten, als Rivalin von Liverpool und
Hamburg einer der wichtigsten Handelsplätze der Erde ist.

Die wunderbare Handelslage der Niederlande an der Stelle, wo die Rhein-
strasse, die nach England weist, gekreuzt wird von der Verbindung der Nordsee
mit dem Canal la Manche, wurde bald von den Flamändern benützt, und deren
Vorort Brügge wird schon 1042 "Famosissimum" genannt.

Im Hafen von Damme, eine Stunde nordöstlich von Brügge, sammelten sich
die Schiffe der nördlichen Staaten und die des Mittelmeeres. Aus dem grossen
Dammer Zolltarife von 1252 sowie aus einem ungefähr gleichzeitigen Waaren-
verzeichnisse erkennt man hier den Sitz eines wahren Welthandels, und Flandern
bleibt bis in das XV. Jahrhundert der Mittelpunkt alles Handels zwischen Gibraltar
und Finnland, Sitz der vlämischen Hansa und zahlreicher Factoreien aus siebzehn
Königreichen, der Kaufleute von 32 Städten.

Seine Kaufleute durften frei den Rhein hinauffahren, und seine Seefahrer
entdeckten die Azoren.

Früh schon sehen wir hier eine Waarenbörse und den Gebrauch von
Wechselbriefen. Reichthum und Luxus seiner Bürger waren so gross, dass Jo-
hanna von Navarra, die Gemahlin Philipp IV. von Frankreich, 1301 daselbst
klagte: "Ich glaubte allein Königin zu sein, hier aber sehe ich sechshunderte
wie mich."


Antwerpen.
Rubens. Das Haus ist heute noch in demselben Zustande, in welchem
es sich im XVI. Jahrhunderte befand, die berühmte Druckerei dieser
Zeit kann jeden Augenblick die Arbeit, der Laden den Verkauf be-
ginnen.

Nennen wir noch den Königspalast (ein im Rococostyl 1755
erbautes Patricierhaus), die prächtige neue Börse, welche an Stelle
des 1858 abgebrannten alten herrlichen Baues sich erhebt, die
Nationalbank, das neue Justizpalais, die französische Oper, das
niederländische Schauspielhaus, so haben wir die Aufzählung der
sehenswerthesten Gebäude noch nicht erschöpft.

Weisen die vorne genannten Kunstdenkmäler auf die grosse
Vergangenheit Antwerpens hin, so bekunden andere Werke der Neuzeit
das rege Interesse der Stadt für Kunst und Wissenschaft.

Reich ist denn auch die Zahl der Standbilder, welche hervor-
ragenden Söhnen Antwerpens und anderen um ihr Aufblühen verdienten
Persönlichkeiten von dem dankbaren Gemeinwesen errichtet wurden.
Von Interesse ist das Leopold I., dem ersten Könige von Belgien,
1868 gesetzte Reiterstandbild.

Mit seinen Parkanlagen, worunter der zoologische Garten, der
herrliche, an malerischen Partien reiche Park, endlich der Park des
Neijverheidspaleis hervorgehoben werden müssen, durch seine schönen
Avenuen und Strassen ist Antwerpen eine ebenso elegante und an-
genehme Stadt, wie es durch den seltenen Reichthum seiner Kunst-
schätze eine der interessantesten, als Rivalin von Liverpool und
Hamburg einer der wichtigsten Handelsplätze der Erde ist.

Die wunderbare Handelslage der Niederlande an der Stelle, wo die Rhein-
strasse, die nach England weist, gekreuzt wird von der Verbindung der Nordsee
mit dem Canal la Manche, wurde bald von den Flamändern benützt, und deren
Vorort Brügge wird schon 1042 „Famosissimum“ genannt.

Im Hafen von Damme, eine Stunde nordöstlich von Brügge, sammelten sich
die Schiffe der nördlichen Staaten und die des Mittelmeeres. Aus dem grossen
Dammer Zolltarife von 1252 sowie aus einem ungefähr gleichzeitigen Waaren-
verzeichnisse erkennt man hier den Sitz eines wahren Welthandels, und Flandern
bleibt bis in das XV. Jahrhundert der Mittelpunkt alles Handels zwischen Gibraltar
und Finnland, Sitz der vlämischen Hansa und zahlreicher Factoreien aus siebzehn
Königreichen, der Kaufleute von 32 Städten.

Seine Kaufleute durften frei den Rhein hinauffahren, und seine Seefahrer
entdeckten die Azoren.

Früh schon sehen wir hier eine Waarenbörse und den Gebrauch von
Wechselbriefen. Reichthum und Luxus seiner Bürger waren so gross, dass Jo-
hanna von Navarra, die Gemahlin Philipp IV. von Frankreich, 1301 daselbst
klagte: „Ich glaubte allein Königin zu sein, hier aber sehe ich sechshunderte
wie mich.“


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[655/0675] Antwerpen. Rubens. Das Haus ist heute noch in demselben Zustande, in welchem es sich im XVI. Jahrhunderte befand, die berühmte Druckerei dieser Zeit kann jeden Augenblick die Arbeit, der Laden den Verkauf be- ginnen. Nennen wir noch den Königspalast (ein im Rococostyl 1755 erbautes Patricierhaus), die prächtige neue Börse, welche an Stelle des 1858 abgebrannten alten herrlichen Baues sich erhebt, die Nationalbank, das neue Justizpalais, die französische Oper, das niederländische Schauspielhaus, so haben wir die Aufzählung der sehenswerthesten Gebäude noch nicht erschöpft. Weisen die vorne genannten Kunstdenkmäler auf die grosse Vergangenheit Antwerpens hin, so bekunden andere Werke der Neuzeit das rege Interesse der Stadt für Kunst und Wissenschaft. Reich ist denn auch die Zahl der Standbilder, welche hervor- ragenden Söhnen Antwerpens und anderen um ihr Aufblühen verdienten Persönlichkeiten von dem dankbaren Gemeinwesen errichtet wurden. Von Interesse ist das Leopold I., dem ersten Könige von Belgien, 1868 gesetzte Reiterstandbild. Mit seinen Parkanlagen, worunter der zoologische Garten, der herrliche, an malerischen Partien reiche Park, endlich der Park des Neijverheidspaleis hervorgehoben werden müssen, durch seine schönen Avenuen und Strassen ist Antwerpen eine ebenso elegante und an- genehme Stadt, wie es durch den seltenen Reichthum seiner Kunst- schätze eine der interessantesten, als Rivalin von Liverpool und Hamburg einer der wichtigsten Handelsplätze der Erde ist. Die wunderbare Handelslage der Niederlande an der Stelle, wo die Rhein- strasse, die nach England weist, gekreuzt wird von der Verbindung der Nordsee mit dem Canal la Manche, wurde bald von den Flamändern benützt, und deren Vorort Brügge wird schon 1042 „Famosissimum“ genannt. Im Hafen von Damme, eine Stunde nordöstlich von Brügge, sammelten sich die Schiffe der nördlichen Staaten und die des Mittelmeeres. Aus dem grossen Dammer Zolltarife von 1252 sowie aus einem ungefähr gleichzeitigen Waaren- verzeichnisse erkennt man hier den Sitz eines wahren Welthandels, und Flandern bleibt bis in das XV. Jahrhundert der Mittelpunkt alles Handels zwischen Gibraltar und Finnland, Sitz der vlämischen Hansa und zahlreicher Factoreien aus siebzehn Königreichen, der Kaufleute von 32 Städten. Seine Kaufleute durften frei den Rhein hinauffahren, und seine Seefahrer entdeckten die Azoren. Früh schon sehen wir hier eine Waarenbörse und den Gebrauch von Wechselbriefen. Reichthum und Luxus seiner Bürger waren so gross, dass Jo- hanna von Navarra, die Gemahlin Philipp IV. von Frankreich, 1301 daselbst klagte: „Ich glaubte allein Königin zu sein, hier aber sehe ich sechshunderte wie mich.“

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/675>, abgerufen am 22.11.2024.