Element zwar vorherrscht, ohne dass es jedoch den kosmopolitischen Zug, der das Strassenleben der interessanten Stadt so reizvoll ge- staltet, zu verwischen im Stande wäre.
Corfu ist der Sitz eines griechischen und eines römisch-katholischen Erzbischofs und besitzt an Stelle der 1865 aufgelassenen Universität ein nächst der Spianata gelegenes Lyceum. An der vom Hafen zur Spianata führenden sehr belebten Nikephoros-Strasse ist die S. Spiridion-Kirche mit dem reichen Grabmal des Märtyrers gleichen Namens, eines cyrischen Bischofs, sehenswerth.
Die Corfioten sind ein ebenso origineller versprengter Volks- splitter wie die Malteser. Die ungeheuere Blutmischung, welche der Wechsel der Herrschaft mit sich brachte, erzeugte ein Völkchen, das griechisch spricht, aber das weit entfernt vom reinen Hellenenthum ist. Ihnen fehlt vor allem der kühne Unternehmungsgeist, welcher sonst den Griechen eigen ist. Sie sind nicht Seefahrer, wie die übrigen Bewohner Griechenlands, und lieben ihre Heimat dermassen, dass sie nicht in der Ferne ihr Glück versuchen, sondern es vorziehen, daheim ihr Dasein kärglich zu fristen. Auch von den geschäftlichen Unternehmungen, welche den Verkehr über die Insel hinaus zum Zwecke haben, ziehen sie sich immer mehr zurück; im günstigsten Falle verbinden sie sich mit Firmen aus Patras, dem Piräus und Syra.
Die Haupterzeugnisse der Insel sind Wein und Oel, welche in den letzten Jahren öfter schlechte Ernten lieferten und daher den Corfioten nur spärliche Einnahmen brachten. Von Wein wurden 1888 65.000 hl, 1887 46.000 hl ins Aus- land geführt, und zwar meist nach Frankreich und Triest, 1887 auch nach Dalmatien. Die Ausfuhr des Olivenöls erreichte 1888 7059, 1887 16.640 q. Corfu-Oel ist in Venedig als Speiseöl sehr beliebt, dorthin wendet sich der grösste Theil der Aus- fuhr; kleinere Mengen gehen nach Triest und Fiume. Unter den Ausfuhrartikeln ist noch das einzige Industrieproduct der Insel, Seife aus Olivenöl hergestellt, zu nennen. Der grösste Theil geht in die übrigen Gebiete Griechenlands, 5000 q ins Ausland, vorab in die Türkei; 1300 q übernimmt Montenegro. Die Ausfuhr von frühreifen Kartoffeln und Gemüsen hält sich noch in engen Grenzen.
Im Ganzen befindet sich Corfu in einem wirtschaftlichen Rückgange, und deshalb sinkt auch die Kaufkraft der Insel fortdauernd. Die in Corfu eingeführten Waaren haben einen Werth von 57 Millionen Drachmen. Die Hälfte entfällt auf Hartweizen und Mais, denn die Insel liefert nur in seltenen Fällen den vierten Theil des Bedarfes an Getreide. Die Ergänzung liefert Russland, welches daher im Einfuhrhandel die erste Rolle einnimmt. Mehl, aus russischem Weizen herge- stellt, schickt Patras. Ihm reihen sich zunächst an: England, dann mit den Erzeug- nissen der Textilindustrie Oesterreich-Ungarn, und endlich die Türkei. In Colonial- waaren ist Corfu vielfach von Triest abhängig. Die Bedeutung Corfus für den Handel der gegenüberliegenden Küste von Albanien geht zurück und damit auch der Entrepotverkehr, der im Eingange 5 Millionen Drachmen erreicht.
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Corfù.
Element zwar vorherrscht, ohne dass es jedoch den kosmopolitischen Zug, der das Strassenleben der interessanten Stadt so reizvoll ge- staltet, zu verwischen im Stande wäre.
Corfù ist der Sitz eines griechischen und eines römisch-katholischen Erzbischofs und besitzt an Stelle der 1865 aufgelassenen Universität ein nächst der Spianata gelegenes Lyceum. An der vom Hafen zur Spianata führenden sehr belebten Nikephoros-Strasse ist die S. Spiridion-Kirche mit dem reichen Grabmal des Märtyrers gleichen Namens, eines cyrischen Bischofs, sehenswerth.
Die Corfioten sind ein ebenso origineller versprengter Volks- splitter wie die Malteser. Die ungeheuere Blutmischung, welche der Wechsel der Herrschaft mit sich brachte, erzeugte ein Völkchen, das griechisch spricht, aber das weit entfernt vom reinen Hellenenthum ist. Ihnen fehlt vor allem der kühne Unternehmungsgeist, welcher sonst den Griechen eigen ist. Sie sind nicht Seefahrer, wie die übrigen Bewohner Griechenlands, und lieben ihre Heimat dermassen, dass sie nicht in der Ferne ihr Glück versuchen, sondern es vorziehen, daheim ihr Dasein kärglich zu fristen. Auch von den geschäftlichen Unternehmungen, welche den Verkehr über die Insel hinaus zum Zwecke haben, ziehen sie sich immer mehr zurück; im günstigsten Falle verbinden sie sich mit Firmen aus Patras, dem Piräus und Syra.
Die Haupterzeugnisse der Insel sind Wein und Oel, welche in den letzten Jahren öfter schlechte Ernten lieferten und daher den Corfioten nur spärliche Einnahmen brachten. Von Wein wurden 1888 65.000 hl, 1887 46.000 hl ins Aus- land geführt, und zwar meist nach Frankreich und Triest, 1887 auch nach Dalmatien. Die Ausfuhr des Olivenöls erreichte 1888 7059, 1887 16.640 q. Corfù-Oel ist in Venedig als Speiseöl sehr beliebt, dorthin wendet sich der grösste Theil der Aus- fuhr; kleinere Mengen gehen nach Triest und Fiume. Unter den Ausfuhrartikeln ist noch das einzige Industrieproduct der Insel, Seife aus Olivenöl hergestellt, zu nennen. Der grösste Theil geht in die übrigen Gebiete Griechenlands, 5000 q ins Ausland, vorab in die Türkei; 1300 q übernimmt Montenegro. Die Ausfuhr von frühreifen Kartoffeln und Gemüsen hält sich noch in engen Grenzen.
Im Ganzen befindet sich Corfù in einem wirtschaftlichen Rückgange, und deshalb sinkt auch die Kaufkraft der Insel fortdauernd. Die in Corfù eingeführten Waaren haben einen Werth von 57 Millionen Drachmen. Die Hälfte entfällt auf Hartweizen und Mais, denn die Insel liefert nur in seltenen Fällen den vierten Theil des Bedarfes an Getreide. Die Ergänzung liefert Russland, welches daher im Einfuhrhandel die erste Rolle einnimmt. Mehl, aus russischem Weizen herge- stellt, schickt Patras. Ihm reihen sich zunächst an: England, dann mit den Erzeug- nissen der Textilindustrie Oesterreich-Ungarn, und endlich die Türkei. In Colonial- waaren ist Corfù vielfach von Triest abhängig. Die Bedeutung Corfùs für den Handel der gegenüberliegenden Küste von Albanien geht zurück und damit auch der Entrepôtverkehr, der im Eingange 5 Millionen Drachmen erreicht.
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Corfù.
Element zwar vorherrscht, ohne dass es jedoch den kosmopolitischen
Zug, der das Strassenleben der interessanten Stadt so reizvoll ge-
staltet, zu verwischen im Stande wäre.
Corfù ist der Sitz eines griechischen und eines römisch-katholischen
Erzbischofs und besitzt an Stelle der 1865 aufgelassenen Universität
ein nächst der Spianata gelegenes Lyceum. An der vom Hafen
zur Spianata führenden sehr belebten Nikephoros-Strasse ist die
S. Spiridion-Kirche mit dem reichen Grabmal des Märtyrers gleichen
Namens, eines cyrischen Bischofs, sehenswerth.
Die Corfioten sind ein ebenso origineller versprengter Volks-
splitter wie die Malteser. Die ungeheuere Blutmischung, welche der
Wechsel der Herrschaft mit sich brachte, erzeugte ein Völkchen, das
griechisch spricht, aber das weit entfernt vom reinen Hellenenthum ist.
Ihnen fehlt vor allem der kühne Unternehmungsgeist, welcher sonst
den Griechen eigen ist. Sie sind nicht Seefahrer, wie die übrigen
Bewohner Griechenlands, und lieben ihre Heimat dermassen, dass
sie nicht in der Ferne ihr Glück versuchen, sondern es vorziehen,
daheim ihr Dasein kärglich zu fristen. Auch von den geschäftlichen
Unternehmungen, welche den Verkehr über die Insel hinaus zum
Zwecke haben, ziehen sie sich immer mehr zurück; im günstigsten Falle
verbinden sie sich mit Firmen aus Patras, dem Piräus und Syra.
Die Haupterzeugnisse der Insel sind Wein und Oel, welche in den letzten
Jahren öfter schlechte Ernten lieferten und daher den Corfioten nur spärliche
Einnahmen brachten. Von Wein wurden 1888 65.000 hl, 1887 46.000 hl ins Aus-
land geführt, und zwar meist nach Frankreich und Triest, 1887 auch nach Dalmatien.
Die Ausfuhr des Olivenöls erreichte 1888 7059, 1887 16.640 q. Corfù-Oel ist in
Venedig als Speiseöl sehr beliebt, dorthin wendet sich der grösste Theil der Aus-
fuhr; kleinere Mengen gehen nach Triest und Fiume. Unter den Ausfuhrartikeln
ist noch das einzige Industrieproduct der Insel, Seife aus Olivenöl hergestellt, zu
nennen. Der grösste Theil geht in die übrigen Gebiete Griechenlands, 5000 q ins
Ausland, vorab in die Türkei; 1300 q übernimmt Montenegro. Die Ausfuhr von
frühreifen Kartoffeln und Gemüsen hält sich noch in engen Grenzen.
Im Ganzen befindet sich Corfù in einem wirtschaftlichen Rückgange, und
deshalb sinkt auch die Kaufkraft der Insel fortdauernd. Die in Corfù eingeführten
Waaren haben einen Werth von 57 Millionen Drachmen. Die Hälfte entfällt auf
Hartweizen und Mais, denn die Insel liefert nur in seltenen Fällen den vierten
Theil des Bedarfes an Getreide. Die Ergänzung liefert Russland, welches daher
im Einfuhrhandel die erste Rolle einnimmt. Mehl, aus russischem Weizen herge-
stellt, schickt Patras. Ihm reihen sich zunächst an: England, dann mit den Erzeug-
nissen der Textilindustrie Oesterreich-Ungarn, und endlich die Türkei. In Colonial-
waaren ist Corfù vielfach von Triest abhängig. Die Bedeutung Corfùs für den
Handel der gegenüberliegenden Küste von Albanien geht zurück und damit auch
der Entrepôtverkehr, der im Eingange 5 Millionen Drachmen erreicht.
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/87>, abgerufen am 16.02.2025.
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