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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.
von Fall zu Fall eintretender Personen eigene, zumeist auf Actien
begründete Anstalten übernahmen, deren Zahl natürlich immer mehr
sich steigerte, und andererseits das sogenannte Lloyd-Register, in
dem alle Handelsschiffe auf Grund einer technischen Begutachtung
nach gewissen Grundsätzen classificirt werden, welche Classification
wieder als Grundlage für die Versicherung dient. In Verbindung mit
dem Register steht dann auch die Sammlung aller Nachrichten über
die Bewegungen und Schicksale der einzelnen Fahrzeuge. Die vom Lloyd
eingenommenen Räume in der Börse sind daher der Ort, wo die
maritimen Interessen Englands zum täglichen Ausdrucke gelangen.
Hieher lenkt der Kaufmann, welcher eine gute Schiffsgelegenheit
sucht, der Rheder, welcher Nachrichten holen will, der Capitän wie
der Versicherer seine Schritte, und hier wird lebhaft über die Schick-
sale eines Fahrzeuges verhandelt, welches auf fernem Ocean die
Wellen durchschneidet. In Lloyds Rooms gewinnt man einen lebhaften
Eindruck von dem engen Zusammenhange der einzelnen Theile des
Seeverkehres.

Wenden wir uns von der Börse wieder zur Themse, so erreichen
wir die Southwark-Bridge, die nächste nach Blackfriars, dann folgt
wieder eine Eisenbahnbrücke und hierauf eine der besuchtesten Brücken
der Stadt, die London-Bridge. Es ist dies die älteste Brücke über
den Fluss, bis vor hundert Jahren auch die einzige. Die Geschichte
dieser wiederholt umgebauten Brücke reicht bis in das XII. Jahrhun-
dert zurück. In alten Zeiten standen auf beiden Seiten der Brücke
Häuser, so dass dieselbe wie eine geschlossene Strasse erschien,
welche an beiden Enden mit Gittern abgesperrt werden konnte. Auf
den Stäben dieser Gitter pflegte man die Köpfe enthaupteter Hoch-
verräther aufzustecken. London-Bridge verbindet die City unmittelbar
mit dem am rechten Ufer gelegenen, sehr bevölkerten und industriellen
Stadttheil, dem sogenannten Borough, und man hat berechnet, dass
täglich über 100.000 Menschen und 15 000 Fuhrwerke die Themse
an dieser Stelle passiren. London-Bridge ist aber auch darum von
besonderer Wichtigkeit, weil unterhalb derselben der eigentliche Hafen
beginnt. Bis hinauf zur London-Bridge ist die Themse für die meisten
Seeschiffe zugänglich. Unterhalb der Brücke liegen an beiden Ufern
Schiff an Schiff, man überblickt einen wahren Wald von Masten und
Schloten. Zugleich geniesst man von der Brücke einen guten Ueber-
blick über einen Theil der Stadt auf- und abwärts und kann das
unendliche Treiben auf der Themse und über der Themse beobachten.
Hier steht man an der stärksten Pulsader des Verkehres und em-

Der atlantische Ocean.
von Fall zu Fall eintretender Personen eigene, zumeist auf Actien
begründete Anstalten übernahmen, deren Zahl natürlich immer mehr
sich steigerte, und andererseits das sogenannte Lloyd-Register, in
dem alle Handelsschiffe auf Grund einer technischen Begutachtung
nach gewissen Grundsätzen classificirt werden, welche Classification
wieder als Grundlage für die Versicherung dient. In Verbindung mit
dem Register steht dann auch die Sammlung aller Nachrichten über
die Bewegungen und Schicksale der einzelnen Fahrzeuge. Die vom Lloyd
eingenommenen Räume in der Börse sind daher der Ort, wo die
maritimen Interessen Englands zum täglichen Ausdrucke gelangen.
Hieher lenkt der Kaufmann, welcher eine gute Schiffsgelegenheit
sucht, der Rheder, welcher Nachrichten holen will, der Capitän wie
der Versicherer seine Schritte, und hier wird lebhaft über die Schick-
sale eines Fahrzeuges verhandelt, welches auf fernem Ocean die
Wellen durchschneidet. In Lloyds Rooms gewinnt man einen lebhaften
Eindruck von dem engen Zusammenhange der einzelnen Theile des
Seeverkehres.

Wenden wir uns von der Börse wieder zur Themse, so erreichen
wir die Southwark-Bridge, die nächste nach Blackfriars, dann folgt
wieder eine Eisenbahnbrücke und hierauf eine der besuchtesten Brücken
der Stadt, die London-Bridge. Es ist dies die älteste Brücke über
den Fluss, bis vor hundert Jahren auch die einzige. Die Geschichte
dieser wiederholt umgebauten Brücke reicht bis in das XII. Jahrhun-
dert zurück. In alten Zeiten standen auf beiden Seiten der Brücke
Häuser, so dass dieselbe wie eine geschlossene Strasse erschien,
welche an beiden Enden mit Gittern abgesperrt werden konnte. Auf
den Stäben dieser Gitter pflegte man die Köpfe enthaupteter Hoch-
verräther aufzustecken. London-Bridge verbindet die City unmittelbar
mit dem am rechten Ufer gelegenen, sehr bevölkerten und industriellen
Stadttheil, dem sogenannten Borough, und man hat berechnet, dass
täglich über 100.000 Menschen und 15 000 Fuhrwerke die Themse
an dieser Stelle passiren. London-Bridge ist aber auch darum von
besonderer Wichtigkeit, weil unterhalb derselben der eigentliche Hafen
beginnt. Bis hinauf zur London-Bridge ist die Themse für die meisten
Seeschiffe zugänglich. Unterhalb der Brücke liegen an beiden Ufern
Schiff an Schiff, man überblickt einen wahren Wald von Masten und
Schloten. Zugleich geniesst man von der Brücke einen guten Ueber-
blick über einen Theil der Stadt auf- und abwärts und kann das
unendliche Treiben auf der Themse und über der Themse beobachten.
Hier steht man an der stärksten Pulsader des Verkehres und em-

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[938/0958] Der atlantische Ocean. von Fall zu Fall eintretender Personen eigene, zumeist auf Actien begründete Anstalten übernahmen, deren Zahl natürlich immer mehr sich steigerte, und andererseits das sogenannte Lloyd-Register, in dem alle Handelsschiffe auf Grund einer technischen Begutachtung nach gewissen Grundsätzen classificirt werden, welche Classification wieder als Grundlage für die Versicherung dient. In Verbindung mit dem Register steht dann auch die Sammlung aller Nachrichten über die Bewegungen und Schicksale der einzelnen Fahrzeuge. Die vom Lloyd eingenommenen Räume in der Börse sind daher der Ort, wo die maritimen Interessen Englands zum täglichen Ausdrucke gelangen. Hieher lenkt der Kaufmann, welcher eine gute Schiffsgelegenheit sucht, der Rheder, welcher Nachrichten holen will, der Capitän wie der Versicherer seine Schritte, und hier wird lebhaft über die Schick- sale eines Fahrzeuges verhandelt, welches auf fernem Ocean die Wellen durchschneidet. In Lloyds Rooms gewinnt man einen lebhaften Eindruck von dem engen Zusammenhange der einzelnen Theile des Seeverkehres. Wenden wir uns von der Börse wieder zur Themse, so erreichen wir die Southwark-Bridge, die nächste nach Blackfriars, dann folgt wieder eine Eisenbahnbrücke und hierauf eine der besuchtesten Brücken der Stadt, die London-Bridge. Es ist dies die älteste Brücke über den Fluss, bis vor hundert Jahren auch die einzige. Die Geschichte dieser wiederholt umgebauten Brücke reicht bis in das XII. Jahrhun- dert zurück. In alten Zeiten standen auf beiden Seiten der Brücke Häuser, so dass dieselbe wie eine geschlossene Strasse erschien, welche an beiden Enden mit Gittern abgesperrt werden konnte. Auf den Stäben dieser Gitter pflegte man die Köpfe enthaupteter Hoch- verräther aufzustecken. London-Bridge verbindet die City unmittelbar mit dem am rechten Ufer gelegenen, sehr bevölkerten und industriellen Stadttheil, dem sogenannten Borough, und man hat berechnet, dass täglich über 100.000 Menschen und 15 000 Fuhrwerke die Themse an dieser Stelle passiren. London-Bridge ist aber auch darum von besonderer Wichtigkeit, weil unterhalb derselben der eigentliche Hafen beginnt. Bis hinauf zur London-Bridge ist die Themse für die meisten Seeschiffe zugänglich. Unterhalb der Brücke liegen an beiden Ufern Schiff an Schiff, man überblickt einen wahren Wald von Masten und Schloten. Zugleich geniesst man von der Brücke einen guten Ueber- blick über einen Theil der Stadt auf- und abwärts und kann das unendliche Treiben auf der Themse und über der Themse beobachten. Hier steht man an der stärksten Pulsader des Verkehres und em-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 938. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/958>, abgerufen am 23.11.2024.