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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.
Bäche, Flüsse und Ströme die idealste natürliche Zuchtstätte für die
Auster.

Tausende von Menschen finden Beschäftigung bei der Austern-
cultur und ganze Flotten von Fahrzeugen, welche ausschliesslich der
Austernfischerei dienen, beleben die Bai den grössten Theil des
Jahres hindurch.

So friedlich und idyllisch das erwähnte Gewerbe dem ersten
Anscheine nach sich auch darstellen mag, so erfordert es namentlich
in stürmischer Winterszeit manchmal gar harte Kämpfe mit dem Ele-
mente. Auch verleitet die Freiheit zur See den Austernpiraten oft, auf
unerlaubtem Gebiete nach Beute auszugehen, und trotz Seepolizei,
welche die Rechte der Fischer in ihre Grenzen zu weisen bemüht ist,
liefern sich die Flotten der letzteren nicht selten förmliche See-
schlachten.

Die jährliche Ausbeute an Austern in der Bai ist eine enorm
reiche. Von 11 Millionen Bushels, jedes nach der Marktusance zu
300 Stück, also gegen 3 1/3 Milliarden Austern, gelangen 71/2 Millionen
Bushels nach Baltimore, jenem Weltmarkte, in dessen Handel sie einen
der grössten Werthe repräsentiren.

Baltimore ist der grosse Magnet, der, durch seine Lage be-
günstigt, nicht nur die Naturproducte der Bai und der umliegenden
Seegebiete, sondern auch den grossen überseeischen Verkehr, ja selbst
die Küstenschiffahrt fast ausschliesslich an sich gezogen hat, so zwar,
dass der transoceanische Verkehr die anderen in der Chesapeake-Bai
liegenden schönen Städte, wie Annapolis, die politische Hauptstadt
Marylands, nur nebensächlich berührt.

140 Seemeilen von der Pforte des Oceans entfernt, durch einen
prächtigen, Schiffen jeder Grösse zugänglichen Hafen und durch seine
für den Ueberlandsverkehr nach allen Staaten der Union äusserst
glückliche centrale Lage, vereinigt Baltimore alle jene Vorzüge, welche
diesen Platz gegenwärtig zu einer vorzüglichen strategischen Basis
im Kampfe nach Gewinn stempeln. Man könnte sagen, der hohe Rang
Baltimores als eines der Brennpunkte des Welthandels lag schon in
seiner Wiege.

Die 10 Seemeilen lange, oft kaum 100 m breite Zufahrt nach
dem Hafen ist nur ein tiefes Rinnsal in jenem 3 bis 5 Meilen breiten
Aste der Chesapeake-Bai, in welchem ihre Vereinigung mit dem Pa-
tapsko-River sich vollzieht.

Das tiefe Fahrwasser ist durch Betonnungen markirt und erst
unweit der Stadt erweitert es sich zu einem grossen Becken, welches

Die atlantische Küste von Amerika.
Bäche, Flüsse und Ströme die idealste natürliche Zuchtstätte für die
Auster.

Tausende von Menschen finden Beschäftigung bei der Austern-
cultur und ganze Flotten von Fahrzeugen, welche ausschliesslich der
Austernfischerei dienen, beleben die Bai den grössten Theil des
Jahres hindurch.

So friedlich und idyllisch das erwähnte Gewerbe dem ersten
Anscheine nach sich auch darstellen mag, so erfordert es namentlich
in stürmischer Winterszeit manchmal gar harte Kämpfe mit dem Ele-
mente. Auch verleitet die Freiheit zur See den Austernpiraten oft, auf
unerlaubtem Gebiete nach Beute auszugehen, und trotz Seepolizei,
welche die Rechte der Fischer in ihre Grenzen zu weisen bemüht ist,
liefern sich die Flotten der letzteren nicht selten förmliche See-
schlachten.

Die jährliche Ausbeute an Austern in der Bai ist eine enorm
reiche. Von 11 Millionen Bushels, jedes nach der Marktusance zu
300 Stück, also gegen 3⅓ Milliarden Austern, gelangen 7½ Millionen
Bushels nach Baltimore, jenem Weltmarkte, in dessen Handel sie einen
der grössten Werthe repräsentiren.

Baltimore ist der grosse Magnet, der, durch seine Lage be-
günstigt, nicht nur die Naturproducte der Bai und der umliegenden
Seegebiete, sondern auch den grossen überseeischen Verkehr, ja selbst
die Küstenschiffahrt fast ausschliesslich an sich gezogen hat, so zwar,
dass der transoceanische Verkehr die anderen in der Chesapeake-Bai
liegenden schönen Städte, wie Annapolis, die politische Hauptstadt
Marylands, nur nebensächlich berührt.

140 Seemeilen von der Pforte des Oceans entfernt, durch einen
prächtigen, Schiffen jeder Grösse zugänglichen Hafen und durch seine
für den Ueberlandsverkehr nach allen Staaten der Union äusserst
glückliche centrale Lage, vereinigt Baltimore alle jene Vorzüge, welche
diesen Platz gegenwärtig zu einer vorzüglichen strategischen Basis
im Kampfe nach Gewinn stempeln. Man könnte sagen, der hohe Rang
Baltimores als eines der Brennpunkte des Welthandels lag schon in
seiner Wiege.

Die 10 Seemeilen lange, oft kaum 100 m breite Zufahrt nach
dem Hafen ist nur ein tiefes Rinnsal in jenem 3 bis 5 Meilen breiten
Aste der Chesapeake-Bai, in welchem ihre Vereinigung mit dem Pa-
tapsko-River sich vollzieht.

Das tiefe Fahrwasser ist durch Betonnungen markirt und erst
unweit der Stadt erweitert es sich zu einem grossen Becken, welches

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[108/0124] Die atlantische Küste von Amerika. Bäche, Flüsse und Ströme die idealste natürliche Zuchtstätte für die Auster. Tausende von Menschen finden Beschäftigung bei der Austern- cultur und ganze Flotten von Fahrzeugen, welche ausschliesslich der Austernfischerei dienen, beleben die Bai den grössten Theil des Jahres hindurch. So friedlich und idyllisch das erwähnte Gewerbe dem ersten Anscheine nach sich auch darstellen mag, so erfordert es namentlich in stürmischer Winterszeit manchmal gar harte Kämpfe mit dem Ele- mente. Auch verleitet die Freiheit zur See den Austernpiraten oft, auf unerlaubtem Gebiete nach Beute auszugehen, und trotz Seepolizei, welche die Rechte der Fischer in ihre Grenzen zu weisen bemüht ist, liefern sich die Flotten der letzteren nicht selten förmliche See- schlachten. Die jährliche Ausbeute an Austern in der Bai ist eine enorm reiche. Von 11 Millionen Bushels, jedes nach der Marktusance zu 300 Stück, also gegen 3⅓ Milliarden Austern, gelangen 7½ Millionen Bushels nach Baltimore, jenem Weltmarkte, in dessen Handel sie einen der grössten Werthe repräsentiren. Baltimore ist der grosse Magnet, der, durch seine Lage be- günstigt, nicht nur die Naturproducte der Bai und der umliegenden Seegebiete, sondern auch den grossen überseeischen Verkehr, ja selbst die Küstenschiffahrt fast ausschliesslich an sich gezogen hat, so zwar, dass der transoceanische Verkehr die anderen in der Chesapeake-Bai liegenden schönen Städte, wie Annapolis, die politische Hauptstadt Marylands, nur nebensächlich berührt. 140 Seemeilen von der Pforte des Oceans entfernt, durch einen prächtigen, Schiffen jeder Grösse zugänglichen Hafen und durch seine für den Ueberlandsverkehr nach allen Staaten der Union äusserst glückliche centrale Lage, vereinigt Baltimore alle jene Vorzüge, welche diesen Platz gegenwärtig zu einer vorzüglichen strategischen Basis im Kampfe nach Gewinn stempeln. Man könnte sagen, der hohe Rang Baltimores als eines der Brennpunkte des Welthandels lag schon in seiner Wiege. Die 10 Seemeilen lange, oft kaum 100 m breite Zufahrt nach dem Hafen ist nur ein tiefes Rinnsal in jenem 3 bis 5 Meilen breiten Aste der Chesapeake-Bai, in welchem ihre Vereinigung mit dem Pa- tapsko-River sich vollzieht. Das tiefe Fahrwasser ist durch Betonnungen markirt und erst unweit der Stadt erweitert es sich zu einem grossen Becken, welches

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/124>, abgerufen am 21.11.2024.