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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der grosse Ocean.
gegen das Behringsmeer fliesst, hierauf aber durch die Drehung der
Erde gegen Amerika abgelenkt wird und in mächtigem Bogen
an der amerikanischen Küste wieder umbiegt, um südlich vom Wende-
kreis des Krebses in die Aequatorialströmung einzumünden, welche
an die asiatische Ostküste zurückführt.

Zwischen den Wendekreisen liegt die ungeheure Inselflur Poly-
nesiens mit ihren hohen (vulkanischen) und niedrigen Eilanden, welch
letztere der Bauthätigkeit eines winzigen Seethieres, der Koralle, ihre
Existenz verdanken. Nach Süden hin wird das stille Meer wieder
einsam, bis schwärmende Eismassen an die Nähe der antarctischen
Zone gemahnen.

Das südliche Eismeer entsendet an die Westseite Südamerikas
einen Strom kalten Wassers, die Peruanische oder Humboldtströmung,
welche die Temperatur jener Regionen erniedrigt und von der Schiff-
fahrt ernstlich berücksichtigt werden muss.

Ein anderer Zweig der antarctischen Trift ergiesst sich um die
Südspitze Amerikas, das Cap Horn, herum in den atlantischen Ocean.

Vergleichen wir nun die pacifischen Küsten der beiden Fest-
landsmassen, so tritt uns die sozusagen überschwengliche Bevor-
zugung der alten vor der neuen Welt auf den ersten Blick entgegen.
In der neuen Welt buchten- und inselarme, dürftig gegliederte Meeres-
ufer, in der alten dagegen Binnenmeere, Golfe, Häfen, Inselgruppen
in Hülle und Fülle. Während sich in der alten Welt herrliche
Fruchtebenen und Stromthäler bis an das Gestade des Meeres hin-
ziehen, steigt an dem Westrande Amerikas fast unvermittelt aus dem
Meere das mächtigste Kettengebirge der Erde, die Cordilleren, empor.

Südamerika hat keinen einzigen nennenswerthen Fluss, der sich
ins pacifische Meer ergiesst, Nordamerika besitzt zwar solche Wasser-
läufe, was bedeuten aber diese unwirthlichen, ihrer Katarakte wegen
weltberühmten, aber sonst geringfügigen Stromgebiete im Vergleich
mit dem Amur, Hoang-ho, Yang-tse-kiang, Si-kiang?

Ein wichtiger Vorzug der asiatischen Küste vor der amerika-
nischen besteht auch darin, dass der ersteren die australische Insel-
welt sich unmittelbar anschliesst, wogegen die letztere durch breite,
öde Meeresstrecken von ihr getrennt ist.

So ist denn auch die von der Natur bevorzugte Ostküste Asiens
der amerikanischen Westküste in culturgeschichtlicher Beziehung um
Jahrtausende vorangeeilt.

Die alte, rothhäutige Bevölkerung Amerikas war nicht im Stande,
die Ungunst der Naturbedingungen zu überwinden; erst den weissen

Der grosse Ocean.
gegen das Behringsmeer fliesst, hierauf aber durch die Drehung der
Erde gegen Amerika abgelenkt wird und in mächtigem Bogen
an der amerikanischen Küste wieder umbiegt, um südlich vom Wende-
kreis des Krebses in die Aequatorialströmung einzumünden, welche
an die asiatische Ostküste zurückführt.

Zwischen den Wendekreisen liegt die ungeheure Inselflur Poly-
nesiens mit ihren hohen (vulkanischen) und niedrigen Eilanden, welch
letztere der Bauthätigkeit eines winzigen Seethieres, der Koralle, ihre
Existenz verdanken. Nach Süden hin wird das stille Meer wieder
einsam, bis schwärmende Eismassen an die Nähe der antarctischen
Zone gemahnen.

Das südliche Eismeer entsendet an die Westseite Südamerikas
einen Strom kalten Wassers, die Peruanische oder Humboldtströmung,
welche die Temperatur jener Regionen erniedrigt und von der Schiff-
fahrt ernstlich berücksichtigt werden muss.

Ein anderer Zweig der antarctischen Trift ergiesst sich um die
Südspitze Amerikas, das Cap Horn, herum in den atlantischen Ocean.

Vergleichen wir nun die pacifischen Küsten der beiden Fest-
landsmassen, so tritt uns die sozusagen überschwengliche Bevor-
zugung der alten vor der neuen Welt auf den ersten Blick entgegen.
In der neuen Welt buchten- und inselarme, dürftig gegliederte Meeres-
ufer, in der alten dagegen Binnenmeere, Golfe, Häfen, Inselgruppen
in Hülle und Fülle. Während sich in der alten Welt herrliche
Fruchtebenen und Stromthäler bis an das Gestade des Meeres hin-
ziehen, steigt an dem Westrande Amerikas fast unvermittelt aus dem
Meere das mächtigste Kettengebirge der Erde, die Cordilleren, empor.

Südamerika hat keinen einzigen nennenswerthen Fluss, der sich
ins pacifische Meer ergiesst, Nordamerika besitzt zwar solche Wasser-
läufe, was bedeuten aber diese unwirthlichen, ihrer Katarakte wegen
weltberühmten, aber sonst geringfügigen Stromgebiete im Vergleich
mit dem Amur, Hoang-ho, Yang-tse-kiang, Si-kiang?

Ein wichtiger Vorzug der asiatischen Küste vor der amerika-
nischen besteht auch darin, dass der ersteren die australische Insel-
welt sich unmittelbar anschliesst, wogegen die letztere durch breite,
öde Meeresstrecken von ihr getrennt ist.

So ist denn auch die von der Natur bevorzugte Ostküste Asiens
der amerikanischen Westküste in culturgeschichtlicher Beziehung um
Jahrtausende vorangeeilt.

Die alte, rothhäutige Bevölkerung Amerikas war nicht im Stande,
die Ungunst der Naturbedingungen zu überwinden; erst den weissen

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[302/0318] Der grosse Ocean. gegen das Behringsmeer fliesst, hierauf aber durch die Drehung der Erde gegen Amerika abgelenkt wird und in mächtigem Bogen an der amerikanischen Küste wieder umbiegt, um südlich vom Wende- kreis des Krebses in die Aequatorialströmung einzumünden, welche an die asiatische Ostküste zurückführt. Zwischen den Wendekreisen liegt die ungeheure Inselflur Poly- nesiens mit ihren hohen (vulkanischen) und niedrigen Eilanden, welch letztere der Bauthätigkeit eines winzigen Seethieres, der Koralle, ihre Existenz verdanken. Nach Süden hin wird das stille Meer wieder einsam, bis schwärmende Eismassen an die Nähe der antarctischen Zone gemahnen. Das südliche Eismeer entsendet an die Westseite Südamerikas einen Strom kalten Wassers, die Peruanische oder Humboldtströmung, welche die Temperatur jener Regionen erniedrigt und von der Schiff- fahrt ernstlich berücksichtigt werden muss. Ein anderer Zweig der antarctischen Trift ergiesst sich um die Südspitze Amerikas, das Cap Horn, herum in den atlantischen Ocean. Vergleichen wir nun die pacifischen Küsten der beiden Fest- landsmassen, so tritt uns die sozusagen überschwengliche Bevor- zugung der alten vor der neuen Welt auf den ersten Blick entgegen. In der neuen Welt buchten- und inselarme, dürftig gegliederte Meeres- ufer, in der alten dagegen Binnenmeere, Golfe, Häfen, Inselgruppen in Hülle und Fülle. Während sich in der alten Welt herrliche Fruchtebenen und Stromthäler bis an das Gestade des Meeres hin- ziehen, steigt an dem Westrande Amerikas fast unvermittelt aus dem Meere das mächtigste Kettengebirge der Erde, die Cordilleren, empor. Südamerika hat keinen einzigen nennenswerthen Fluss, der sich ins pacifische Meer ergiesst, Nordamerika besitzt zwar solche Wasser- läufe, was bedeuten aber diese unwirthlichen, ihrer Katarakte wegen weltberühmten, aber sonst geringfügigen Stromgebiete im Vergleich mit dem Amur, Hoang-ho, Yang-tse-kiang, Si-kiang? Ein wichtiger Vorzug der asiatischen Küste vor der amerika- nischen besteht auch darin, dass der ersteren die australische Insel- welt sich unmittelbar anschliesst, wogegen die letztere durch breite, öde Meeresstrecken von ihr getrennt ist. So ist denn auch die von der Natur bevorzugte Ostküste Asiens der amerikanischen Westküste in culturgeschichtlicher Beziehung um Jahrtausende vorangeeilt. Die alte, rothhäutige Bevölkerung Amerikas war nicht im Stande, die Ungunst der Naturbedingungen zu überwinden; erst den weissen

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/318>, abgerufen am 24.11.2024.