willig. Sie verdienten nach ihren Begriffen in wenigen Jahren "Vermögen" und bald stiegen die Fluthen der Einwanderer aus dem Reiche der Mitte auf viele Tausende, welche immer weiter gegen Osten vordrangen, aber streng an ihren Sitten festhielten. -- Die nach Californien kommenden Chinesen, fast ausschliess- lich Männer, lassen sich noch vor der Abreise aus ihrer Heimat als Mitglieder einer der sechs grossen Gesellschaften aufnehmen, die sich in San Francisco unter der Leitung höherer einflussreicher Chinesen befinden. Jede dieser Gesellschaften besitzt ihr eigenes grosses Ge- bäude; ihr Einfluss auf die Landsleute ist ein überaus grosser, er er- streckt sich auf dieselben sogar nach dem Tode -- die Gesellschaften befördern nämlich die Leichen verstorbener Chinesen nach China zurück, weil jeder Chinese in der heimatlichen Erde ruhen will. Sie vermitteln auch die Einfuhr der vaterländischen Erzeugnisse, die sich in den zahlreichen Läden der China Town ebenso mannigfaltig vor- finden, wie in den grösseren Städten ihrer Heimat.
In San Francisco kann man keinen Schritt machen, ohne auf bezopfte Söhne des himmlischen Reiches zu stossen. Ihre heimatliche Gewohnheit, die Lasten an einer langen, über die Schulter gelegten Bambusstange zu tragen, verursachte in den belebten Strassen oftmals grosse Verkehrsstörungen, weshalb der Stadtrath die Anwendung dieser Tragstangen abschaffte. (Der Wortlaut dieser Verordnung war ge- eignet, die allgemeine Heiterkeit zu erregen: "It shall be unlawful for anybody to carry baskets upon sidewalks suspended on poles", wört- lich: "Es ist verboten für Jedermann, Körbe zu tragen auf Trottoirs, die auf Stangen gehängt sind.")
Im Chinesenviertel befinden sich zwei buddhistische Tempel. Der ältere ist dem "Josh" (Dschosch) geweiht, im jüngeren, der 1871 erbaut wurde, wird der Gott des östlichen Gipfels, Pak Tie, verehrt. Die China Town hat auch ein eigenes ständiges Theater, in welchem von Morgens 10 Uhr an bis spät in die Nacht ohne Unterbrechung gespielt wird, doch wird ein Stück im Laufe des Tages nur selten zu Ende gebracht.
Die chinesische Einwanderung der Jahre 1853 bis 1874 über- stieg 150.000 Köpfe, wodurch der in Californien seit jeher bestandene Antagonismus gegen die Chinesen sich mit der Zeit zu einer lebhaften Anti-Chinesen-Agitation verschärfte. Der Chinese lebt mit geringen Mitteln in kaum menschenwürdiger Weise, er verdrängt den weissen Arbeiter durch geringere Ansprüche, verhindert durch seine billige Arbeit die europäische Einwanderung und nimmt bei der Rückkehr
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 42
San Francisco.
willig. Sie verdienten nach ihren Begriffen in wenigen Jahren „Vermögen“ und bald stiegen die Fluthen der Einwanderer aus dem Reiche der Mitte auf viele Tausende, welche immer weiter gegen Osten vordrangen, aber streng an ihren Sitten festhielten. — Die nach Californien kommenden Chinesen, fast ausschliess- lich Männer, lassen sich noch vor der Abreise aus ihrer Heimat als Mitglieder einer der sechs grossen Gesellschaften aufnehmen, die sich in San Francisco unter der Leitung höherer einflussreicher Chinesen befinden. Jede dieser Gesellschaften besitzt ihr eigenes grosses Ge- bäude; ihr Einfluss auf die Landsleute ist ein überaus grosser, er er- streckt sich auf dieselben sogar nach dem Tode — die Gesellschaften befördern nämlich die Leichen verstorbener Chinesen nach China zurück, weil jeder Chinese in der heimatlichen Erde ruhen will. Sie vermitteln auch die Einfuhr der vaterländischen Erzeugnisse, die sich in den zahlreichen Läden der China Town ebenso mannigfaltig vor- finden, wie in den grösseren Städten ihrer Heimat.
In San Francisco kann man keinen Schritt machen, ohne auf bezopfte Söhne des himmlischen Reiches zu stossen. Ihre heimatliche Gewohnheit, die Lasten an einer langen, über die Schulter gelegten Bambusstange zu tragen, verursachte in den belebten Strassen oftmals grosse Verkehrsstörungen, weshalb der Stadtrath die Anwendung dieser Tragstangen abschaffte. (Der Wortlaut dieser Verordnung war ge- eignet, die allgemeine Heiterkeit zu erregen: „It shall be unlawful for anybody to carry baskets upon sidewalks suspended on poles“, wört- lich: „Es ist verboten für Jedermann, Körbe zu tragen auf Trottoirs, die auf Stangen gehängt sind.“)
Im Chinesenviertel befinden sich zwei buddhistische Tempel. Der ältere ist dem „Josh“ (Dschosch) geweiht, im jüngeren, der 1871 erbaut wurde, wird der Gott des östlichen Gipfels, Pak Tie, verehrt. Die China Town hat auch ein eigenes ständiges Theater, in welchem von Morgens 10 Uhr an bis spät in die Nacht ohne Unterbrechung gespielt wird, doch wird ein Stück im Laufe des Tages nur selten zu Ende gebracht.
Die chinesische Einwanderung der Jahre 1853 bis 1874 über- stieg 150.000 Köpfe, wodurch der in Californien seit jeher bestandene Antagonismus gegen die Chinesen sich mit der Zeit zu einer lebhaften Anti-Chinesen-Agitation verschärfte. Der Chinese lebt mit geringen Mitteln in kaum menschenwürdiger Weise, er verdrängt den weissen Arbeiter durch geringere Ansprüche, verhindert durch seine billige Arbeit die europäische Einwanderung und nimmt bei der Rückkehr
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 42
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San Francisco.
willig. Sie verdienten nach ihren Begriffen in wenigen Jahren
„Vermögen“ und bald stiegen die Fluthen der Einwanderer aus
dem Reiche der Mitte auf viele Tausende, welche immer weiter
gegen Osten vordrangen, aber streng an ihren Sitten festhielten.
— Die nach Californien kommenden Chinesen, fast ausschliess-
lich Männer, lassen sich noch vor der Abreise aus ihrer Heimat als
Mitglieder einer der sechs grossen Gesellschaften aufnehmen, die sich
in San Francisco unter der Leitung höherer einflussreicher Chinesen
befinden. Jede dieser Gesellschaften besitzt ihr eigenes grosses Ge-
bäude; ihr Einfluss auf die Landsleute ist ein überaus grosser, er er-
streckt sich auf dieselben sogar nach dem Tode — die Gesellschaften
befördern nämlich die Leichen verstorbener Chinesen nach China
zurück, weil jeder Chinese in der heimatlichen Erde ruhen will. Sie
vermitteln auch die Einfuhr der vaterländischen Erzeugnisse, die sich
in den zahlreichen Läden der China Town ebenso mannigfaltig vor-
finden, wie in den grösseren Städten ihrer Heimat.
In San Francisco kann man keinen Schritt machen, ohne auf
bezopfte Söhne des himmlischen Reiches zu stossen. Ihre heimatliche
Gewohnheit, die Lasten an einer langen, über die Schulter gelegten
Bambusstange zu tragen, verursachte in den belebten Strassen oftmals
grosse Verkehrsstörungen, weshalb der Stadtrath die Anwendung dieser
Tragstangen abschaffte. (Der Wortlaut dieser Verordnung war ge-
eignet, die allgemeine Heiterkeit zu erregen: „It shall be unlawful for
anybody to carry baskets upon sidewalks suspended on poles“, wört-
lich: „Es ist verboten für Jedermann, Körbe zu tragen auf Trottoirs,
die auf Stangen gehängt sind.“)
Im Chinesenviertel befinden sich zwei buddhistische Tempel.
Der ältere ist dem „Josh“ (Dschosch) geweiht, im jüngeren, der 1871
erbaut wurde, wird der Gott des östlichen Gipfels, Pak Tie, verehrt.
Die China Town hat auch ein eigenes ständiges Theater, in welchem
von Morgens 10 Uhr an bis spät in die Nacht ohne Unterbrechung
gespielt wird, doch wird ein Stück im Laufe des Tages nur selten
zu Ende gebracht.
Die chinesische Einwanderung der Jahre 1853 bis 1874 über-
stieg 150.000 Köpfe, wodurch der in Californien seit jeher bestandene
Antagonismus gegen die Chinesen sich mit der Zeit zu einer lebhaften
Anti-Chinesen-Agitation verschärfte. Der Chinese lebt mit geringen
Mitteln in kaum menschenwürdiger Weise, er verdrängt den weissen
Arbeiter durch geringere Ansprüche, verhindert durch seine billige
Arbeit die europäische Einwanderung und nimmt bei der Rückkehr
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 42
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/345>, abgerufen am 23.11.2024.
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