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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Rangoon.
um die Hüften und die Beine geschlungenes offenes Stück Zeug, und
eine weisse Jacke. Die Frauen sieht man häufig mit Blumen im
aufgekämmten Haare; die Chinesen erscheinen auch hier in ihren
traditionellen Blousen und kurzen weiten Beinkleidern, doch tragen sie
mit Vorliebe, trotz ihres Zopfes, graue europäische Filzhüte. Man
sieht auch viele Inder, meistens Tamulen aus Madras, mit den bunten
Trachten ihrer engeren Heimat und einige Araber; die Einheimischen
und die Matrosen der zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe aller
Flaggen zeigen eine grosse Mannigfaltigkeit an Costümen jeder Art.

Wie in allen anderen Städten gleichen oder ähnlichen Klimas
entwickelt sich auch in Rangoon des Abends ein besonders reges
Leben, da Jedermann bestrebt ist, zu dieser angenehmeren Tageszeit
seinen Vergnügungen nachzugehen. Die Engländer besitzen einen sehr
hübschen Club, die Deutschen ein nettes kleines Vereinshaus; der
tägliche Corso bei den Royal Lakes oder in Halpins Road wird meist
nur von Damen besucht. Die Kaufläden der Eingeborenen bleiben
bis spät in die Nacht offen, Pagoden, Tempel und Moscheen werden
von zahlreichen Gläubigen besucht, die daselbst ihr Abendgebet ver-
richten. In den Garküchen geht es lebhaft zu, indische Gaukler finden
ein dankbares Publicum. Zu den gesuchtesten Vergnügungsorten der
Birmanen gehört aber das Theater, in welches sich jeder Besucher
Esswaaren und eine Matte oder einen Teppich mitbringt; Frauen
nehmen überdies einen kleinen Polster mit. Die theatralischen Auf-
führungen stellen zumeist Scenen aus dem Leben Buddhas oder der
Könige dar, sie sind theils Marionetten-Darstellungen, theils solche
durch Schauspielertruppen. Im Gegensatze zu anderen indischen
Bühnen erscheinen hier auch Frauen unter den Darstellern.

Der Boden Birmas ist wunderbar ergiebig. Das ganze Land
wird von einer Unzahl von Bächen und Flüssen durchfurcht, welche
in regelmässigen Zeitabschnitten ihre Ufer überfluthen und Alles mit
fruchtbarem Schlamm bedecken. Das ist das richtige Land für die
Reiscultur, mit der sich ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung be-
schäftigen. Jedes Jahr gehen Millionen Metercentner ins Ausland
und in die anderen Provinzen des britisch-indischen Reiches. Dabei
sollen nicht mehr als 5 % des urbaren Landes bebaut sein und fast
die ganze männliche Bevölkerung birmanischen Stammes faullenzt.
In diesem Lande arbeitet nur die Frau. Sie geht hinter dem Pfluge
her, während ihr Mann unter dem Schatten eines Baumes den jüngsten
Sprössling wiegt. Mutter und Tochter besorgen den Kaufladen mit
Geschäftssinn und gewinnendem Anstand, und als Handelsagenten

Rangoon.
um die Hüften und die Beine geschlungenes offenes Stück Zeug, und
eine weisse Jacke. Die Frauen sieht man häufig mit Blumen im
aufgekämmten Haare; die Chinesen erscheinen auch hier in ihren
traditionellen Blousen und kurzen weiten Beinkleidern, doch tragen sie
mit Vorliebe, trotz ihres Zopfes, graue europäische Filzhüte. Man
sieht auch viele Inder, meistens Tamulen aus Madras, mit den bunten
Trachten ihrer engeren Heimat und einige Araber; die Einheimischen
und die Matrosen der zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe aller
Flaggen zeigen eine grosse Mannigfaltigkeit an Costümen jeder Art.

Wie in allen anderen Städten gleichen oder ähnlichen Klimas
entwickelt sich auch in Rangoon des Abends ein besonders reges
Leben, da Jedermann bestrebt ist, zu dieser angenehmeren Tageszeit
seinen Vergnügungen nachzugehen. Die Engländer besitzen einen sehr
hübschen Club, die Deutschen ein nettes kleines Vereinshaus; der
tägliche Corso bei den Royal Lakes oder in Halpins Road wird meist
nur von Damen besucht. Die Kaufläden der Eingeborenen bleiben
bis spät in die Nacht offen, Pagoden, Tempel und Moscheen werden
von zahlreichen Gläubigen besucht, die daselbst ihr Abendgebet ver-
richten. In den Garküchen geht es lebhaft zu, indische Gaukler finden
ein dankbares Publicum. Zu den gesuchtesten Vergnügungsorten der
Birmanen gehört aber das Theater, in welches sich jeder Besucher
Esswaaren und eine Matte oder einen Teppich mitbringt; Frauen
nehmen überdies einen kleinen Polster mit. Die theatralischen Auf-
führungen stellen zumeist Scenen aus dem Leben Buddhas oder der
Könige dar, sie sind theils Marionetten-Darstellungen, theils solche
durch Schauspielertruppen. Im Gegensatze zu anderen indischen
Bühnen erscheinen hier auch Frauen unter den Darstellern.

Der Boden Birmas ist wunderbar ergiebig. Das ganze Land
wird von einer Unzahl von Bächen und Flüssen durchfurcht, welche
in regelmässigen Zeitabschnitten ihre Ufer überfluthen und Alles mit
fruchtbarem Schlamm bedecken. Das ist das richtige Land für die
Reiscultur, mit der sich ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung be-
schäftigen. Jedes Jahr gehen Millionen Metercentner ins Ausland
und in die anderen Provinzen des britisch-indischen Reiches. Dabei
sollen nicht mehr als 5 % des urbaren Landes bebaut sein und fast
die ganze männliche Bevölkerung birmanischen Stammes faullenzt.
In diesem Lande arbeitet nur die Frau. Sie geht hinter dem Pfluge
her, während ihr Mann unter dem Schatten eines Baumes den jüngsten
Sprössling wiegt. Mutter und Tochter besorgen den Kaufladen mit
Geschäftssinn und gewinnendem Anstand, und als Handelsagenten

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[543/0559] Rangoon. um die Hüften und die Beine geschlungenes offenes Stück Zeug, und eine weisse Jacke. Die Frauen sieht man häufig mit Blumen im aufgekämmten Haare; die Chinesen erscheinen auch hier in ihren traditionellen Blousen und kurzen weiten Beinkleidern, doch tragen sie mit Vorliebe, trotz ihres Zopfes, graue europäische Filzhüte. Man sieht auch viele Inder, meistens Tamulen aus Madras, mit den bunten Trachten ihrer engeren Heimat und einige Araber; die Einheimischen und die Matrosen der zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe aller Flaggen zeigen eine grosse Mannigfaltigkeit an Costümen jeder Art. Wie in allen anderen Städten gleichen oder ähnlichen Klimas entwickelt sich auch in Rangoon des Abends ein besonders reges Leben, da Jedermann bestrebt ist, zu dieser angenehmeren Tageszeit seinen Vergnügungen nachzugehen. Die Engländer besitzen einen sehr hübschen Club, die Deutschen ein nettes kleines Vereinshaus; der tägliche Corso bei den Royal Lakes oder in Halpins Road wird meist nur von Damen besucht. Die Kaufläden der Eingeborenen bleiben bis spät in die Nacht offen, Pagoden, Tempel und Moscheen werden von zahlreichen Gläubigen besucht, die daselbst ihr Abendgebet ver- richten. In den Garküchen geht es lebhaft zu, indische Gaukler finden ein dankbares Publicum. Zu den gesuchtesten Vergnügungsorten der Birmanen gehört aber das Theater, in welches sich jeder Besucher Esswaaren und eine Matte oder einen Teppich mitbringt; Frauen nehmen überdies einen kleinen Polster mit. Die theatralischen Auf- führungen stellen zumeist Scenen aus dem Leben Buddhas oder der Könige dar, sie sind theils Marionetten-Darstellungen, theils solche durch Schauspielertruppen. Im Gegensatze zu anderen indischen Bühnen erscheinen hier auch Frauen unter den Darstellern. Der Boden Birmas ist wunderbar ergiebig. Das ganze Land wird von einer Unzahl von Bächen und Flüssen durchfurcht, welche in regelmässigen Zeitabschnitten ihre Ufer überfluthen und Alles mit fruchtbarem Schlamm bedecken. Das ist das richtige Land für die Reiscultur, mit der sich ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung be- schäftigen. Jedes Jahr gehen Millionen Metercentner ins Ausland und in die anderen Provinzen des britisch-indischen Reiches. Dabei sollen nicht mehr als 5 % des urbaren Landes bebaut sein und fast die ganze männliche Bevölkerung birmanischen Stammes faullenzt. In diesem Lande arbeitet nur die Frau. Sie geht hinter dem Pfluge her, während ihr Mann unter dem Schatten eines Baumes den jüngsten Sprössling wiegt. Mutter und Tochter besorgen den Kaufladen mit Geschäftssinn und gewinnendem Anstand, und als Handelsagenten

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/559>, abgerufen am 22.11.2024.