nach Mekka antritt, der ist islamitischer Sinnesart voll, der ist über- haupt von einer eigenen exclusiven Rechtgläubigkeit, und er meint, dass ihm der harte Pilgerpfad den Weg nach Mohammeds Paradiese eröffne. Der letzte, elendeste Hadschi -- so nennt man die, welche die Wallfahrt nach Mekka unternommen haben, -- hält sich für tausendfach besser als irgend einen Ungläubigen; mit einer gewissen stolzen Verachtung blickt er auf solchen herab und ungern sieht er auf dem geheiligten Boden, den er mit ehrfurchtsvollen Gefühlen be- tritt, Ungläubige sich bewegen, denen der Prophet nichts gilt. Der Fanatismus der Pilger hat Dscheddah durchtränkt, und was der Fanatismus nicht allein bewirken konnte, das brachte dann das eigene pecuniäre Interesse hinzu. Denn ist auch der Araber in Dsched- dah ein braver Muselmann, sich voll bewusst seiner beglückenden Existenz am Eingange des heiligen Mekka, so weiss er doch auch den materiellen Segen zu schätzen, welchen der Pilgerzug mit sich bringt. Kaufmann war Mohammed gewesen und kaufmännischen Sinn haben die Araber sich bewahrt.
Je mehr aber fremder Einfluss in Dscheddah zur Geltung kom- men würde, desto mehr könnte vielleicht der Pilgerzug allgemach Störungen oder doch lästige Verringerung erleiden.
Aus allen Theilen der muselmännischen Welt kommen Pilger, und wer über die ethnographische Verbreitung dieser Religion Studien machen wollte, der thäte wohl am besten, er ginge nach Dscheddah; denn hier steht ihm eine vollständige Musterkarte zur Verfügung, und er sieht neben dem echten Türken den Araber aus Sansibar, neben dem Bosniaken aus Sarajevo den Sickh von den Ufern des Indus, neben einem Oesbegen aus Bochara einen Marokkaner vom atlantischen Gestade. Reiche und Arme, Alte und Junge kommen gezogen, und so mancher ist darunter, welcher Tag um Tag sich seinen Unterhalt erbetteln muss. Aber Gott ist gross und barmherzig, und wenn er wollte, dass der arme Mann sich gegen Mekka auf- mache, so wird er auch für ihn sorgen. Der Muselmann vertraut dem Schicksal mit stoischer Ruhe und sorgt wenig um den kommenden Tag, denn seiner Ansicht nach nützt diese Sorge doch nichts, wenn es einmal im Buche des Schicksals anders bestimmt sein sollte.
An eigentlichen Sehenswürdigkeiten weist Dscheddah nicht viel auf. Ausser dem grossen und immer gut versorgten Bazar ist auch ein altes, aber schon ziemlich verfallenes Castell und das Palais des türkischen Gouverneurs zu erwähnen. Dagegen bietet das ausserhalb der Stadt gelegene "Grab der Eva" deswegen Interesse, weil dieser
Der indische Ocean.
nach Mekka antritt, der ist islamitischer Sinnesart voll, der ist über- haupt von einer eigenen exclusiven Rechtgläubigkeit, und er meint, dass ihm der harte Pilgerpfad den Weg nach Mohammeds Paradiese eröffne. Der letzte, elendeste Hadschi — so nennt man die, welche die Wallfahrt nach Mekka unternommen haben, — hält sich für tausendfach besser als irgend einen Ungläubigen; mit einer gewissen stolzen Verachtung blickt er auf solchen herab und ungern sieht er auf dem geheiligten Boden, den er mit ehrfurchtsvollen Gefühlen be- tritt, Ungläubige sich bewegen, denen der Prophet nichts gilt. Der Fanatismus der Pilger hat Dscheddah durchtränkt, und was der Fanatismus nicht allein bewirken konnte, das brachte dann das eigene pecuniäre Interesse hinzu. Denn ist auch der Araber in Dsched- dah ein braver Muselmann, sich voll bewusst seiner beglückenden Existenz am Eingange des heiligen Mekka, so weiss er doch auch den materiellen Segen zu schätzen, welchen der Pilgerzug mit sich bringt. Kaufmann war Mohammed gewesen und kaufmännischen Sinn haben die Araber sich bewahrt.
Je mehr aber fremder Einfluss in Dscheddah zur Geltung kom- men würde, desto mehr könnte vielleicht der Pilgerzug allgemach Störungen oder doch lästige Verringerung erleiden.
Aus allen Theilen der muselmännischen Welt kommen Pilger, und wer über die ethnographische Verbreitung dieser Religion Studien machen wollte, der thäte wohl am besten, er ginge nach Dscheddah; denn hier steht ihm eine vollständige Musterkarte zur Verfügung, und er sieht neben dem echten Türken den Araber aus Sansibar, neben dem Bosniaken aus Sarajevo den Sickh von den Ufern des Indus, neben einem Oesbegen aus Bochara einen Marokkaner vom atlantischen Gestade. Reiche und Arme, Alte und Junge kommen gezogen, und so mancher ist darunter, welcher Tag um Tag sich seinen Unterhalt erbetteln muss. Aber Gott ist gross und barmherzig, und wenn er wollte, dass der arme Mann sich gegen Mekka auf- mache, so wird er auch für ihn sorgen. Der Muselmann vertraut dem Schicksal mit stoischer Ruhe und sorgt wenig um den kommenden Tag, denn seiner Ansicht nach nützt diese Sorge doch nichts, wenn es einmal im Buche des Schicksals anders bestimmt sein sollte.
An eigentlichen Sehenswürdigkeiten weist Dscheddah nicht viel auf. Ausser dem grossen und immer gut versorgten Bazar ist auch ein altes, aber schon ziemlich verfallenes Castell und das Palais des türkischen Gouverneurs zu erwähnen. Dagegen bietet das ausserhalb der Stadt gelegene „Grab der Eva“ deswegen Interesse, weil dieser
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[634/0650]
Der indische Ocean.
nach Mekka antritt, der ist islamitischer Sinnesart voll, der ist über-
haupt von einer eigenen exclusiven Rechtgläubigkeit, und er meint,
dass ihm der harte Pilgerpfad den Weg nach Mohammeds Paradiese
eröffne. Der letzte, elendeste Hadschi — so nennt man die, welche
die Wallfahrt nach Mekka unternommen haben, — hält sich für
tausendfach besser als irgend einen Ungläubigen; mit einer gewissen
stolzen Verachtung blickt er auf solchen herab und ungern sieht er
auf dem geheiligten Boden, den er mit ehrfurchtsvollen Gefühlen be-
tritt, Ungläubige sich bewegen, denen der Prophet nichts gilt. Der
Fanatismus der Pilger hat Dscheddah durchtränkt, und was der
Fanatismus nicht allein bewirken konnte, das brachte dann das
eigene pecuniäre Interesse hinzu. Denn ist auch der Araber in Dsched-
dah ein braver Muselmann, sich voll bewusst seiner beglückenden
Existenz am Eingange des heiligen Mekka, so weiss er doch auch den
materiellen Segen zu schätzen, welchen der Pilgerzug mit sich bringt.
Kaufmann war Mohammed gewesen und kaufmännischen Sinn haben
die Araber sich bewahrt.
Je mehr aber fremder Einfluss in Dscheddah zur Geltung kom-
men würde, desto mehr könnte vielleicht der Pilgerzug allgemach
Störungen oder doch lästige Verringerung erleiden.
Aus allen Theilen der muselmännischen Welt kommen Pilger,
und wer über die ethnographische Verbreitung dieser Religion Studien
machen wollte, der thäte wohl am besten, er ginge nach Dscheddah;
denn hier steht ihm eine vollständige Musterkarte zur Verfügung,
und er sieht neben dem echten Türken den Araber aus Sansibar,
neben dem Bosniaken aus Sarajevo den Sickh von den Ufern des
Indus, neben einem Oesbegen aus Bochara einen Marokkaner vom
atlantischen Gestade. Reiche und Arme, Alte und Junge kommen
gezogen, und so mancher ist darunter, welcher Tag um Tag sich
seinen Unterhalt erbetteln muss. Aber Gott ist gross und barmherzig,
und wenn er wollte, dass der arme Mann sich gegen Mekka auf-
mache, so wird er auch für ihn sorgen. Der Muselmann vertraut dem
Schicksal mit stoischer Ruhe und sorgt wenig um den kommenden
Tag, denn seiner Ansicht nach nützt diese Sorge doch nichts, wenn
es einmal im Buche des Schicksals anders bestimmt sein sollte.
An eigentlichen Sehenswürdigkeiten weist Dscheddah nicht viel
auf. Ausser dem grossen und immer gut versorgten Bazar ist auch
ein altes, aber schon ziemlich verfallenes Castell und das Palais des
türkischen Gouverneurs zu erwähnen. Dagegen bietet das ausserhalb
der Stadt gelegene „Grab der Eva“ deswegen Interesse, weil dieser
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/650>, abgerufen am 22.11.2024.
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