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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Afrika.

Man ist über der Freude des neuen Besitzes nicht mehr blind in Be-
zug auf den wahren Werth desselben. Es ist den massgebenden Kreisen
klar geworden, dass nur durch eine lange, andauernde, viele Kosten
und Opfer fordernde Culturarbeit Afrika zu dem gemacht werden
könne, was man in der Zeit des Colonialfiebers vor wenigen Jahren
noch -- sowohl in Paris wie in Brüssel und Berlin -- schon in der
allernächsten Zukunft besitzen zu können wähnte.

Afrika ist kein Indien, weil die Neger keine Hindus, sondern
vollkommen bedürfnisslose, arbeitsscheue Völkerstämme sind. Die
Neger an Bedürfnisse zu gewöhnen, bis zu einem gewissen Grade zu
erziehen, ist die Grundbedingung für alle colonialen Pläne in Afrika.
Millionen culturell zu heben ist aber keine Aufgabe, welche in wenigen
Jahrzehnten gelöst werden kann.

Auch die Stimmen Jener, welche den amerikanischen Aus-
wandererstrom nach Afrika, etwa in ein Neu-Deutschland ablenken
wollten, verstummen immer mehr und mehr. Man muss sich eben
dem "Veto", welches das centralafrikanische Klima derartigen Plänen
unerbittlich entgegenstellt, fügen.

Central-Afrika ist nur der Boden für Plantagencolonien, in denen
der Schwarze arbeiten, der Weisse die geistige Initiative führen
kann. Aber selbst diese Ausnützung Afrikas ist wieder beschränkt
durch das eiserne Gesetz der Volkswirtschaft: von der Nachfrage
und dem Angebote. Wäre es möglich, den geeigneten Boden Central-
Afrikas rasch in Plantagenland zu verwandeln, so ergäben diese
Plantagen eine derartige Ueberschwemmung der Märkte mit Colonial-
waaren, dass die derzeit bestehenden Colonien durch den Preissturz
ruinirt wären.

So verwandeln sich die Träume sowie die ehrlichen Bestrebungen
in Central-Afrika immer mehr in Zukunftbilder. Aber diese Zukunft-
bilder haben einen reellen Hintergrund. Es herrscht ein Gesetz in der
ganzen Culturgeschichte der Menschheit, dass jede Entdeckung nur
dann von wirklichem Werthe ist, wenn sie zur richtigen Zeit gemacht
wird, d. h. wenn sie in ihre Zeit passt; zu früh gemacht, bleibt sie
werthlos und geht verloren.

In den Aufbau der europäischen Gesellschaft, wie ihn uns die
früheren Jahrhunderte zeigen, passte einfach die Idee, ganz Afrika
cultiviren und exploitiren zu wollen, gar nicht hinein.

Es macht heute fast einen lächerlichen Eindruck, wenn vor vier-
hundert Jahren die portugiesischen Seefahrer an der West- und Ostküste
Afrikas ihre Wappenpfeiler aufstellten und hiedurch den ganzen Erd-

Die atlantische Küste von Afrika.

Man ist über der Freude des neuen Besitzes nicht mehr blind in Be-
zug auf den wahren Werth desselben. Es ist den massgebenden Kreisen
klar geworden, dass nur durch eine lange, andauernde, viele Kosten
und Opfer fordernde Culturarbeit Afrika zu dem gemacht werden
könne, was man in der Zeit des Colonialfiebers vor wenigen Jahren
noch — sowohl in Paris wie in Brüssel und Berlin — schon in der
allernächsten Zukunft besitzen zu können wähnte.

Afrika ist kein Indien, weil die Neger keine Hindus, sondern
vollkommen bedürfnisslose, arbeitsscheue Völkerstämme sind. Die
Neger an Bedürfnisse zu gewöhnen, bis zu einem gewissen Grade zu
erziehen, ist die Grundbedingung für alle colonialen Pläne in Afrika.
Millionen culturell zu heben ist aber keine Aufgabe, welche in wenigen
Jahrzehnten gelöst werden kann.

Auch die Stimmen Jener, welche den amerikanischen Aus-
wandererstrom nach Afrika, etwa in ein Neu-Deutschland ablenken
wollten, verstummen immer mehr und mehr. Man muss sich eben
dem „Veto“, welches das centralafrikanische Klima derartigen Plänen
unerbittlich entgegenstellt, fügen.

Central-Afrika ist nur der Boden für Plantagencolonien, in denen
der Schwarze arbeiten, der Weisse die geistige Initiative führen
kann. Aber selbst diese Ausnützung Afrikas ist wieder beschränkt
durch das eiserne Gesetz der Volkswirtschaft: von der Nachfrage
und dem Angebote. Wäre es möglich, den geeigneten Boden Central-
Afrikas rasch in Plantagenland zu verwandeln, so ergäben diese
Plantagen eine derartige Ueberschwemmung der Märkte mit Colonial-
waaren, dass die derzeit bestehenden Colonien durch den Preissturz
ruinirt wären.

So verwandeln sich die Träume sowie die ehrlichen Bestrebungen
in Central-Afrika immer mehr in Zukunftbilder. Aber diese Zukunft-
bilder haben einen reellen Hintergrund. Es herrscht ein Gesetz in der
ganzen Culturgeschichte der Menschheit, dass jede Entdeckung nur
dann von wirklichem Werthe ist, wenn sie zur richtigen Zeit gemacht
wird, d. h. wenn sie in ihre Zeit passt; zu früh gemacht, bleibt sie
werthlos und geht verloren.

In den Aufbau der europäischen Gesellschaft, wie ihn uns die
früheren Jahrhunderte zeigen, passte einfach die Idee, ganz Afrika
cultiviren und exploitiren zu wollen, gar nicht hinein.

Es macht heute fast einen lächerlichen Eindruck, wenn vor vier-
hundert Jahren die portugiesischen Seefahrer an der West- und Ostküste
Afrikas ihre Wappenpfeiler aufstellten und hiedurch den ganzen Erd-

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[688/0704] Die atlantische Küste von Afrika. Man ist über der Freude des neuen Besitzes nicht mehr blind in Be- zug auf den wahren Werth desselben. Es ist den massgebenden Kreisen klar geworden, dass nur durch eine lange, andauernde, viele Kosten und Opfer fordernde Culturarbeit Afrika zu dem gemacht werden könne, was man in der Zeit des Colonialfiebers vor wenigen Jahren noch — sowohl in Paris wie in Brüssel und Berlin — schon in der allernächsten Zukunft besitzen zu können wähnte. Afrika ist kein Indien, weil die Neger keine Hindus, sondern vollkommen bedürfnisslose, arbeitsscheue Völkerstämme sind. Die Neger an Bedürfnisse zu gewöhnen, bis zu einem gewissen Grade zu erziehen, ist die Grundbedingung für alle colonialen Pläne in Afrika. Millionen culturell zu heben ist aber keine Aufgabe, welche in wenigen Jahrzehnten gelöst werden kann. Auch die Stimmen Jener, welche den amerikanischen Aus- wandererstrom nach Afrika, etwa in ein Neu-Deutschland ablenken wollten, verstummen immer mehr und mehr. Man muss sich eben dem „Veto“, welches das centralafrikanische Klima derartigen Plänen unerbittlich entgegenstellt, fügen. Central-Afrika ist nur der Boden für Plantagencolonien, in denen der Schwarze arbeiten, der Weisse die geistige Initiative führen kann. Aber selbst diese Ausnützung Afrikas ist wieder beschränkt durch das eiserne Gesetz der Volkswirtschaft: von der Nachfrage und dem Angebote. Wäre es möglich, den geeigneten Boden Central- Afrikas rasch in Plantagenland zu verwandeln, so ergäben diese Plantagen eine derartige Ueberschwemmung der Märkte mit Colonial- waaren, dass die derzeit bestehenden Colonien durch den Preissturz ruinirt wären. So verwandeln sich die Träume sowie die ehrlichen Bestrebungen in Central-Afrika immer mehr in Zukunftbilder. Aber diese Zukunft- bilder haben einen reellen Hintergrund. Es herrscht ein Gesetz in der ganzen Culturgeschichte der Menschheit, dass jede Entdeckung nur dann von wirklichem Werthe ist, wenn sie zur richtigen Zeit gemacht wird, d. h. wenn sie in ihre Zeit passt; zu früh gemacht, bleibt sie werthlos und geht verloren. In den Aufbau der europäischen Gesellschaft, wie ihn uns die früheren Jahrhunderte zeigen, passte einfach die Idee, ganz Afrika cultiviren und exploitiren zu wollen, gar nicht hinein. Es macht heute fast einen lächerlichen Eindruck, wenn vor vier- hundert Jahren die portugiesischen Seefahrer an der West- und Ostküste Afrikas ihre Wappenpfeiler aufstellten und hiedurch den ganzen Erd-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/704>, abgerufen am 22.11.2024.