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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Afrika.
anwesenden deutschen Kriegsschiffe "Bismarck" und "Olga" wurde jedoch der
Widerstand der Neger gebrochen und damit zugleich das Ansehen der neuen
Schutzmacht zur Geltung gebracht.

Die Kamerun-Colonie hat heute noch keinen grossen Central-
punkt. Die Factoreien bilden hier wie am Congo den Schwerpunkt
des ganzen geschäftlichen Lebens, und die Schiffe, welche mit der
Colonie verkehren, wählen ihren Ankerplatz so nahe an der be-
treffenden Factorei, als es die maritimen Verhältnisse gestatten. Die
grösseren Schiffe bleiben deshalb meist nahe an der Flussmündung.
Die Orte im Gebiete der Colonie sind durchwegs Negerdörfer, wenn
sie auch stattliche Namen führen, wie König Bells Stadt u. dgl.

Eine feste Organisation wurde der Colonie noch nicht gegeben.
Inwieweit Kamerun mehr werden kann und wird, als eine Handels-
etape, ob es sich in eine förmliche Colonie umwandeln lässt, ist
heute noch eine offene Frage, bei deren Beantwortung dieselben
Gesichtspunkte massgebend bleiben werden, deren wir zuvor in Bezug
auf den Congo Erwähnung gethan haben.

Heute handelt es sich in Kamerun in erster Linie darum, dem
deutschen Handel das Hinterland zu erschliessen und ihm den Weg
zum Tsadsee zu sichern.

Der Aufbau des Landes und die Gewohnheiten der Bevöl-
kerung sind dem Vordringen leider wenig günstig. Wenn wir von dem
vulcanischen Kamerungebirge absehen, wo der Gipfel des Götter-
berges in der Regenzeit (Mitte Juni bis Ende September) Schnee
trägt, so steigt das Land allenthalben in Terrassen zu dem unbe-
kannten Inneren auf, aus dem sich die Flüsse über Stromschnellen
den Weg zur Küste bahnen. Auch der Kamerun, dessen Mündung
nicht wie die der anderen Flüsse durch eine Barre gesperrt ist, kann
nur eine kurze Strecke aufwärts von Schiffen befahren werden. Der
Reisende muss bald ans Land steigen und die Dörfer der Kamerunneger
passiren, welche, wie alle Bantu-Neger, leidenschaftlich dem Handel er-
geben sind. Jeder Dorfhäuptling, den man hier "King" (König) nennt, und
den seine Unterthanen absetzen können, wenn sie mit ihm unzufrieden
sind, will in seinem eigenen Gebiete eine Factorei haben und hält
es für entehrend, in das Nachbargebiet zu gehen, um dort zu kaufen
oder zu verkaufen; auch muss ihm die Factorei gewisse Abgaben
(Kumi) in Waaren leisten.

Damit ihnen nun diese Einnahmsquelle nicht geschmälert werde,
gestatten die Küstenneger, die Duallas, nicht den freien Verkehr der
Europäer mit den Bewohnern des Innern und halten die Handelswege

Die atlantische Küste von Afrika.
anwesenden deutschen Kriegsschiffe „Bismarck“ und „Olga“ wurde jedoch der
Widerstand der Neger gebrochen und damit zugleich das Ansehen der neuen
Schutzmacht zur Geltung gebracht.

Die Kamerun-Colonie hat heute noch keinen grossen Central-
punkt. Die Factoreien bilden hier wie am Congo den Schwerpunkt
des ganzen geschäftlichen Lebens, und die Schiffe, welche mit der
Colonie verkehren, wählen ihren Ankerplatz so nahe an der be-
treffenden Factorei, als es die maritimen Verhältnisse gestatten. Die
grösseren Schiffe bleiben deshalb meist nahe an der Flussmündung.
Die Orte im Gebiete der Colonie sind durchwegs Negerdörfer, wenn
sie auch stattliche Namen führen, wie König Bells Stadt u. dgl.

Eine feste Organisation wurde der Colonie noch nicht gegeben.
Inwieweit Kamerun mehr werden kann und wird, als eine Handels-
etape, ob es sich in eine förmliche Colonie umwandeln lässt, ist
heute noch eine offene Frage, bei deren Beantwortung dieselben
Gesichtspunkte massgebend bleiben werden, deren wir zuvor in Bezug
auf den Congo Erwähnung gethan haben.

Heute handelt es sich in Kamerun in erster Linie darum, dem
deutschen Handel das Hinterland zu erschliessen und ihm den Weg
zum Tsadsee zu sichern.

Der Aufbau des Landes und die Gewohnheiten der Bevöl-
kerung sind dem Vordringen leider wenig günstig. Wenn wir von dem
vulcanischen Kamerungebirge absehen, wo der Gipfel des Götter-
berges in der Regenzeit (Mitte Juni bis Ende September) Schnee
trägt, so steigt das Land allenthalben in Terrassen zu dem unbe-
kannten Inneren auf, aus dem sich die Flüsse über Stromschnellen
den Weg zur Küste bahnen. Auch der Kamerun, dessen Mündung
nicht wie die der anderen Flüsse durch eine Barre gesperrt ist, kann
nur eine kurze Strecke aufwärts von Schiffen befahren werden. Der
Reisende muss bald ans Land steigen und die Dörfer der Kamerunneger
passiren, welche, wie alle Bantu-Neger, leidenschaftlich dem Handel er-
geben sind. Jeder Dorfhäuptling, den man hier „King“ (König) nennt, und
den seine Unterthanen absetzen können, wenn sie mit ihm unzufrieden
sind, will in seinem eigenen Gebiete eine Factorei haben und hält
es für entehrend, in das Nachbargebiet zu gehen, um dort zu kaufen
oder zu verkaufen; auch muss ihm die Factorei gewisse Abgaben
(Kumi) in Waaren leisten.

Damit ihnen nun diese Einnahmsquelle nicht geschmälert werde,
gestatten die Küstenneger, die Duallas, nicht den freien Verkehr der
Europäer mit den Bewohnern des Innern und halten die Handelswege

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[706/0722] Die atlantische Küste von Afrika. anwesenden deutschen Kriegsschiffe „Bismarck“ und „Olga“ wurde jedoch der Widerstand der Neger gebrochen und damit zugleich das Ansehen der neuen Schutzmacht zur Geltung gebracht. Die Kamerun-Colonie hat heute noch keinen grossen Central- punkt. Die Factoreien bilden hier wie am Congo den Schwerpunkt des ganzen geschäftlichen Lebens, und die Schiffe, welche mit der Colonie verkehren, wählen ihren Ankerplatz so nahe an der be- treffenden Factorei, als es die maritimen Verhältnisse gestatten. Die grösseren Schiffe bleiben deshalb meist nahe an der Flussmündung. Die Orte im Gebiete der Colonie sind durchwegs Negerdörfer, wenn sie auch stattliche Namen führen, wie König Bells Stadt u. dgl. Eine feste Organisation wurde der Colonie noch nicht gegeben. Inwieweit Kamerun mehr werden kann und wird, als eine Handels- etape, ob es sich in eine förmliche Colonie umwandeln lässt, ist heute noch eine offene Frage, bei deren Beantwortung dieselben Gesichtspunkte massgebend bleiben werden, deren wir zuvor in Bezug auf den Congo Erwähnung gethan haben. Heute handelt es sich in Kamerun in erster Linie darum, dem deutschen Handel das Hinterland zu erschliessen und ihm den Weg zum Tsadsee zu sichern. Der Aufbau des Landes und die Gewohnheiten der Bevöl- kerung sind dem Vordringen leider wenig günstig. Wenn wir von dem vulcanischen Kamerungebirge absehen, wo der Gipfel des Götter- berges in der Regenzeit (Mitte Juni bis Ende September) Schnee trägt, so steigt das Land allenthalben in Terrassen zu dem unbe- kannten Inneren auf, aus dem sich die Flüsse über Stromschnellen den Weg zur Küste bahnen. Auch der Kamerun, dessen Mündung nicht wie die der anderen Flüsse durch eine Barre gesperrt ist, kann nur eine kurze Strecke aufwärts von Schiffen befahren werden. Der Reisende muss bald ans Land steigen und die Dörfer der Kamerunneger passiren, welche, wie alle Bantu-Neger, leidenschaftlich dem Handel er- geben sind. Jeder Dorfhäuptling, den man hier „King“ (König) nennt, und den seine Unterthanen absetzen können, wenn sie mit ihm unzufrieden sind, will in seinem eigenen Gebiete eine Factorei haben und hält es für entehrend, in das Nachbargebiet zu gehen, um dort zu kaufen oder zu verkaufen; auch muss ihm die Factorei gewisse Abgaben (Kumi) in Waaren leisten. Damit ihnen nun diese Einnahmsquelle nicht geschmälert werde, gestatten die Küstenneger, die Duallas, nicht den freien Verkehr der Europäer mit den Bewohnern des Innern und halten die Handelswege

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/722>, abgerufen am 22.11.2024.