Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.Tanger. heit anlockendes Bild zeigt sich auf dem grossen Marktplatze vonTanger, welcher ausserhalb der Stadtmauer liegt. Hier treibt sich allerlei Volk herum, welches namentlich in den Morgenstunden dem Kleinhandel nachgeht und dieses Geschäft mit dem möglichsten Aufwande von Lärm besorgt. Auf hoch beladenen Kameelen und kleinen Eseln langen früh am Morgen aus der ganzen Umgebung die verschiedenen Landeserzeugnisse: Früchte, Gemüse, Geflügel u. dgl. an, und immer entwickelt sich das Handeln und Feilschen unter Be- gleitung eines sinnberückenden Geschreis, zu dessen Erhöhung die schrillen Töne der Esel und das dumpfe, hässliche Grunzen der Kameele redlich das Ihrige beitragen. Dazu mangelt es auch nicht an Leuten, welche unter dem etwas übel angebrachten Titel von Musik noch für weiteren, unharmonischen Lärm Sorge tragen, der durch die weithin dröhnenden Schläge auf die besonders beliebten Pauken seinen Höhepunkt erreicht. Man empfindet dieses Uebermass fast wie Schmerz, aber trotzdem ist doch Leben vorhanden und findet das Auge ein mannigfaltiges und eigenthümliches Bild. Wenn aber tagsüber der geschäftliche Verkehr sein Recht behauptet, so tritt gegen Abend das Vergnügen in den Vordergrund und neben dem rastenden Kameeltreiber drängen sich Märchenerzähler und Taschen- spieler, Schlangenbändiger und sonstige freie Künstler heran, um das neugierige Volk Tangers zu unterhalten und sich selbst das sicher nicht leichte Brot zu verdienen. Der Maure horcht eben dem Märchen- erzähler und dessen hundertmal wiederholten Berichten hier am atlan- tischen Ocean mit demselben gespannten Eifer, wie sein Glaubens- genosse in dem fernsten Osten. Die Vorliebe für Märchen und ähnliche Erzählungen zieht sich wie ein rother Faden durch den ganzen Orient, und nicht minder finden die Künste des Gauklers immer wieder leb- haften Beifall, wenn er nur seine Zuseher geschickt zu täuschen ver- steht. So gehört der Abend den fahrenden Gesellen, wie der Tag den geschäftseifrigen kleinen Leuten, aber zur Ruhe gelangt man auf dem Marktplatze von Tanger niemals. Sowohl auf der Kasbah als auch weiter gegen die See stösst Die Bevölkerung der Stadt beläuft sich auf 20.000 Seelen. Sie Tanger. heit anlockendes Bild zeigt sich auf dem grossen Marktplatze vonTanger, welcher ausserhalb der Stadtmauer liegt. Hier treibt sich allerlei Volk herum, welches namentlich in den Morgenstunden dem Kleinhandel nachgeht und dieses Geschäft mit dem möglichsten Aufwande von Lärm besorgt. Auf hoch beladenen Kameelen und kleinen Eseln langen früh am Morgen aus der ganzen Umgebung die verschiedenen Landeserzeugnisse: Früchte, Gemüse, Geflügel u. dgl. an, und immer entwickelt sich das Handeln und Feilschen unter Be- gleitung eines sinnberückenden Geschreis, zu dessen Erhöhung die schrillen Töne der Esel und das dumpfe, hässliche Grunzen der Kameele redlich das Ihrige beitragen. Dazu mangelt es auch nicht an Leuten, welche unter dem etwas übel angebrachten Titel von Musik noch für weiteren, unharmonischen Lärm Sorge tragen, der durch die weithin dröhnenden Schläge auf die besonders beliebten Pauken seinen Höhepunkt erreicht. Man empfindet dieses Uebermass fast wie Schmerz, aber trotzdem ist doch Leben vorhanden und findet das Auge ein mannigfaltiges und eigenthümliches Bild. Wenn aber tagsüber der geschäftliche Verkehr sein Recht behauptet, so tritt gegen Abend das Vergnügen in den Vordergrund und neben dem rastenden Kameeltreiber drängen sich Märchenerzähler und Taschen- spieler, Schlangenbändiger und sonstige freie Künstler heran, um das neugierige Volk Tangers zu unterhalten und sich selbst das sicher nicht leichte Brot zu verdienen. Der Maure horcht eben dem Märchen- erzähler und dessen hundertmal wiederholten Berichten hier am atlan- tischen Ocean mit demselben gespannten Eifer, wie sein Glaubens- genosse in dem fernsten Osten. Die Vorliebe für Märchen und ähnliche Erzählungen zieht sich wie ein rother Faden durch den ganzen Orient, und nicht minder finden die Künste des Gauklers immer wieder leb- haften Beifall, wenn er nur seine Zuseher geschickt zu täuschen ver- steht. So gehört der Abend den fahrenden Gesellen, wie der Tag den geschäftseifrigen kleinen Leuten, aber zur Ruhe gelangt man auf dem Marktplatze von Tanger niemals. Sowohl auf der Kasbah als auch weiter gegen die See stösst Die Bevölkerung der Stadt beläuft sich auf 20.000 Seelen. Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0759" n="743"/><fw place="top" type="header">Tanger.</fw><lb/> heit anlockendes Bild zeigt sich auf dem grossen Marktplatze von<lb/> Tanger, welcher ausserhalb der Stadtmauer liegt. Hier treibt sich<lb/> allerlei Volk herum, welches namentlich in den Morgenstunden<lb/> dem Kleinhandel nachgeht und dieses Geschäft mit dem möglichsten<lb/> Aufwande von Lärm besorgt. Auf hoch beladenen Kameelen und<lb/> kleinen Eseln langen früh am Morgen aus der ganzen Umgebung<lb/> die verschiedenen Landeserzeugnisse: Früchte, Gemüse, Geflügel u. dgl.<lb/> an, und immer entwickelt sich das Handeln und Feilschen unter Be-<lb/> gleitung eines sinnberückenden Geschreis, zu dessen Erhöhung die<lb/> schrillen Töne der Esel und das dumpfe, hässliche Grunzen der<lb/> Kameele redlich das Ihrige beitragen. Dazu mangelt es auch nicht<lb/> an Leuten, welche unter dem etwas übel angebrachten Titel von<lb/> Musik noch für weiteren, unharmonischen Lärm Sorge tragen, der<lb/> durch die weithin dröhnenden Schläge auf die besonders beliebten<lb/> Pauken seinen Höhepunkt erreicht. Man empfindet dieses Uebermass<lb/> fast wie Schmerz, aber trotzdem ist doch Leben vorhanden und<lb/> findet das Auge ein mannigfaltiges und eigenthümliches Bild. Wenn<lb/> aber tagsüber der geschäftliche Verkehr sein Recht behauptet, so<lb/> tritt gegen Abend das Vergnügen in den Vordergrund und neben dem<lb/> rastenden Kameeltreiber drängen sich Märchenerzähler und Taschen-<lb/> spieler, Schlangenbändiger und sonstige freie Künstler heran, um das<lb/> neugierige Volk Tangers zu unterhalten und sich selbst das sicher<lb/> nicht leichte Brot zu verdienen. 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Tanger.
heit anlockendes Bild zeigt sich auf dem grossen Marktplatze von
Tanger, welcher ausserhalb der Stadtmauer liegt. Hier treibt sich
allerlei Volk herum, welches namentlich in den Morgenstunden
dem Kleinhandel nachgeht und dieses Geschäft mit dem möglichsten
Aufwande von Lärm besorgt. Auf hoch beladenen Kameelen und
kleinen Eseln langen früh am Morgen aus der ganzen Umgebung
die verschiedenen Landeserzeugnisse: Früchte, Gemüse, Geflügel u. dgl.
an, und immer entwickelt sich das Handeln und Feilschen unter Be-
gleitung eines sinnberückenden Geschreis, zu dessen Erhöhung die
schrillen Töne der Esel und das dumpfe, hässliche Grunzen der
Kameele redlich das Ihrige beitragen. Dazu mangelt es auch nicht
an Leuten, welche unter dem etwas übel angebrachten Titel von
Musik noch für weiteren, unharmonischen Lärm Sorge tragen, der
durch die weithin dröhnenden Schläge auf die besonders beliebten
Pauken seinen Höhepunkt erreicht. Man empfindet dieses Uebermass
fast wie Schmerz, aber trotzdem ist doch Leben vorhanden und
findet das Auge ein mannigfaltiges und eigenthümliches Bild. Wenn
aber tagsüber der geschäftliche Verkehr sein Recht behauptet, so
tritt gegen Abend das Vergnügen in den Vordergrund und neben dem
rastenden Kameeltreiber drängen sich Märchenerzähler und Taschen-
spieler, Schlangenbändiger und sonstige freie Künstler heran, um das
neugierige Volk Tangers zu unterhalten und sich selbst das sicher
nicht leichte Brot zu verdienen. Der Maure horcht eben dem Märchen-
erzähler und dessen hundertmal wiederholten Berichten hier am atlan-
tischen Ocean mit demselben gespannten Eifer, wie sein Glaubens-
genosse in dem fernsten Osten. Die Vorliebe für Märchen und ähnliche
Erzählungen zieht sich wie ein rother Faden durch den ganzen Orient,
und nicht minder finden die Künste des Gauklers immer wieder leb-
haften Beifall, wenn er nur seine Zuseher geschickt zu täuschen ver-
steht. So gehört der Abend den fahrenden Gesellen, wie der Tag den
geschäftseifrigen kleinen Leuten, aber zur Ruhe gelangt man auf dem
Marktplatze von Tanger niemals.
Sowohl auf der Kasbah als auch weiter gegen die See stösst
man auf zahlreiche Batterieen, zum Theile mit alten englischen Vor-
derladern auf morschen Holzlaffeten armirt. Drei neue Batterieen, mit
je zwei Vierzigtonnen-Geschützen bewaffnet, sind ein Geschenk Eng-
lands, das die Bedienungsmannschaften für diese Geschütze in Gib-
raltar ausbilden liess.
Die Bevölkerung der Stadt beläuft sich auf 20.000 Seelen. Sie
zeigt eine bunte Musterkarte. Mauren und Berber, Araber und
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