Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Brisbane.
Nationalität und Sprache nach Brite, fühlt doch ganz als Australier.
Er denkt nicht, wie in anderen Colonien es so häufig vorkommt, daran,
seinen Aufenthalt nur als vorübergehend zu betrachten und, sobald
die Umstände und der erzielte Erwerb es gestatten, nach Europa
heimzukehren. Seine Gegenwart wie seine ganze Zukunft gehört dem
Lande, in dem er lebt, und der Grundsatz, den er und alle seine
Genossen unentwegt hoch halten, spricht sich in den Worten aus:
"Australien den Australiern." Sie wollen keine Einmischung von
aussen, auch nicht von Seite der Macht, welcher die Oberhoheit über
die Colonien zusteht, ohne dass sie deswegen an irgend welche for-
melle Secession denken; sie wollen eben auf eigenen Füssen stehen
und sich nach ihrem Gutdünken und unter völliger Wahrung ihrer
eigenen Interessen verwalten.

Aber auch in Bezug auf die Bevölkerung bietet Australien ein
anderes Bild als die meisten übrigen Colonieen. Die allem Anscheine
nach übrigens nie zahlreich gewesenen Ureinwohner, die tiefst
stehenden Menschen des Erdballes, sind ganz in das Innere des
Landes zurückgedrängt und man kann bei dem fortwährenden Rück-
gange ihrer Zahl wohl mit Sicherheit annehmen, dass sie sich
gerade so auf dem Aussterbeetat befinden, wie die Maori auf
Neuseeland, die Hottentoten in Capland und ähnliche Aboriginer an-
derwärts. Sie haben in der Geschichte der Colonie nie eine Rolle
gespielt, es konnte nicht einmal der Versuch gemacht werden, sie in
eine engere Beziehung zu den neuen Ansiedlern zu bringen. Diejenige
Bevölkerung Australiens daher, welche das Land besiedelt, bebaut
und zu seiner heutigen Entwicklung gebracht hat, wurde durchwegs
durch Einwanderung und durch den Nachwuchs der Einwanderer
geschaffen.

Diese Einwanderung hatte fast immer eine unmittelbare euro-
päische Provenienz oder wenigstens europäischen Charakter und
stand europäischer Cultur nahe. Sie konnte sich daher vom ersten
Augenblicke an auf einer freien Bahn entfalten und hatte vom ersten
Augenblicke an die Tendenz, ihr Gemeinwesen auf ganz freiem Fusse
einzurichten. Dabei war es selbstverständlich, dass man stets und
sofort die neuesten Einrichtungen in Berücksichtigung ziehen konnte.

Deshalb haben die australischen Städte aber auch den Vor-
theil gehabt, dass sie nicht erst an Veraltetes und Bestehendes an-
knüpfen und dasselbe verbessern und umgestalten mussten, sondern
dass sie volle Freiheit besassen, zu schaffen, was ihnen das Beste
und Zweckmässigste dünkte.


Brisbane.
Nationalität und Sprache nach Brite, fühlt doch ganz als Australier.
Er denkt nicht, wie in anderen Colonien es so häufig vorkommt, daran,
seinen Aufenthalt nur als vorübergehend zu betrachten und, sobald
die Umstände und der erzielte Erwerb es gestatten, nach Europa
heimzukehren. Seine Gegenwart wie seine ganze Zukunft gehört dem
Lande, in dem er lebt, und der Grundsatz, den er und alle seine
Genossen unentwegt hoch halten, spricht sich in den Worten aus:
„Australien den Australiern.“ Sie wollen keine Einmischung von
aussen, auch nicht von Seite der Macht, welcher die Oberhoheit über
die Colonien zusteht, ohne dass sie deswegen an irgend welche for-
melle Secession denken; sie wollen eben auf eigenen Füssen stehen
und sich nach ihrem Gutdünken und unter völliger Wahrung ihrer
eigenen Interessen verwalten.

Aber auch in Bezug auf die Bevölkerung bietet Australien ein
anderes Bild als die meisten übrigen Colonieen. Die allem Anscheine
nach übrigens nie zahlreich gewesenen Ureinwohner, die tiefst
stehenden Menschen des Erdballes, sind ganz in das Innere des
Landes zurückgedrängt und man kann bei dem fortwährenden Rück-
gange ihrer Zahl wohl mit Sicherheit annehmen, dass sie sich
gerade so auf dem Aussterbeetat befinden, wie die Maori auf
Neuseeland, die Hottentoten in Capland und ähnliche Aboriginer an-
derwärts. Sie haben in der Geschichte der Colonie nie eine Rolle
gespielt, es konnte nicht einmal der Versuch gemacht werden, sie in
eine engere Beziehung zu den neuen Ansiedlern zu bringen. Diejenige
Bevölkerung Australiens daher, welche das Land besiedelt, bebaut
und zu seiner heutigen Entwicklung gebracht hat, wurde durchwegs
durch Einwanderung und durch den Nachwuchs der Einwanderer
geschaffen.

Diese Einwanderung hatte fast immer eine unmittelbare euro-
päische Provenienz oder wenigstens europäischen Charakter und
stand europäischer Cultur nahe. Sie konnte sich daher vom ersten
Augenblicke an auf einer freien Bahn entfalten und hatte vom ersten
Augenblicke an die Tendenz, ihr Gemeinwesen auf ganz freiem Fusse
einzurichten. Dabei war es selbstverständlich, dass man stets und
sofort die neuesten Einrichtungen in Berücksichtigung ziehen konnte.

Deshalb haben die australischen Städte aber auch den Vor-
theil gehabt, dass sie nicht erst an Veraltetes und Bestehendes an-
knüpfen und dasselbe verbessern und umgestalten mussten, sondern
dass sie volle Freiheit besassen, zu schaffen, was ihnen das Beste
und Zweckmässigste dünkte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0821" n="805"/><fw place="top" type="header">Brisbane.</fw><lb/>
Nationalität und Sprache nach Brite, fühlt doch ganz als <hi rendition="#g">Australier</hi>.<lb/>
Er denkt nicht, wie in anderen Colonien es so häufig vorkommt, daran,<lb/>
seinen Aufenthalt nur als vorübergehend zu betrachten und, sobald<lb/>
die Umstände und der erzielte Erwerb es gestatten, nach Europa<lb/>
heimzukehren. Seine Gegenwart wie seine ganze Zukunft gehört dem<lb/>
Lande, in dem er lebt, und der Grundsatz, den er und alle seine<lb/>
Genossen unentwegt hoch halten, spricht sich in den Worten aus:<lb/>
&#x201E;Australien den Australiern.&#x201C; Sie wollen keine Einmischung von<lb/>
aussen, auch nicht von Seite der Macht, welcher die Oberhoheit über<lb/>
die Colonien zusteht, ohne dass sie deswegen an irgend welche for-<lb/>
melle Secession denken; sie wollen eben auf eigenen Füssen stehen<lb/>
und sich nach ihrem Gutdünken und unter völliger Wahrung ihrer<lb/>
eigenen Interessen verwalten.</p><lb/>
          <p>Aber auch in Bezug auf die Bevölkerung bietet Australien ein<lb/>
anderes Bild als die meisten übrigen Colonieen. Die allem Anscheine<lb/>
nach übrigens nie zahlreich gewesenen Ureinwohner, die tiefst<lb/>
stehenden Menschen des Erdballes, sind ganz in das Innere des<lb/>
Landes zurückgedrängt und man kann bei dem fortwährenden Rück-<lb/>
gange ihrer Zahl wohl mit Sicherheit annehmen, dass sie sich<lb/>
gerade so auf dem Aussterbeetat befinden, wie die Maori auf<lb/>
Neuseeland, die Hottentoten in Capland und ähnliche Aboriginer an-<lb/>
derwärts. Sie haben in der Geschichte der Colonie nie eine Rolle<lb/>
gespielt, es konnte nicht einmal der Versuch gemacht werden, sie in<lb/>
eine engere Beziehung zu den neuen Ansiedlern zu bringen. Diejenige<lb/>
Bevölkerung Australiens daher, welche das Land besiedelt, bebaut<lb/>
und zu seiner heutigen Entwicklung gebracht hat, wurde durchwegs<lb/>
durch Einwanderung und durch den Nachwuchs der Einwanderer<lb/>
geschaffen.</p><lb/>
          <p>Diese Einwanderung hatte fast immer eine unmittelbare euro-<lb/>
päische Provenienz oder wenigstens europäischen Charakter und<lb/>
stand europäischer Cultur nahe. Sie konnte sich daher vom ersten<lb/>
Augenblicke an auf einer freien Bahn entfalten und hatte vom ersten<lb/>
Augenblicke an die Tendenz, ihr Gemeinwesen auf ganz freiem Fusse<lb/>
einzurichten. Dabei war es selbstverständlich, dass man stets und<lb/>
sofort die neuesten Einrichtungen in Berücksichtigung ziehen konnte.</p><lb/>
          <p>Deshalb haben die australischen Städte aber auch den Vor-<lb/>
theil gehabt, dass sie nicht erst an Veraltetes und Bestehendes an-<lb/>
knüpfen und dasselbe verbessern und umgestalten mussten, sondern<lb/>
dass sie volle Freiheit besassen, zu schaffen, was ihnen das Beste<lb/>
und Zweckmässigste dünkte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[805/0821] Brisbane. Nationalität und Sprache nach Brite, fühlt doch ganz als Australier. Er denkt nicht, wie in anderen Colonien es so häufig vorkommt, daran, seinen Aufenthalt nur als vorübergehend zu betrachten und, sobald die Umstände und der erzielte Erwerb es gestatten, nach Europa heimzukehren. Seine Gegenwart wie seine ganze Zukunft gehört dem Lande, in dem er lebt, und der Grundsatz, den er und alle seine Genossen unentwegt hoch halten, spricht sich in den Worten aus: „Australien den Australiern.“ Sie wollen keine Einmischung von aussen, auch nicht von Seite der Macht, welcher die Oberhoheit über die Colonien zusteht, ohne dass sie deswegen an irgend welche for- melle Secession denken; sie wollen eben auf eigenen Füssen stehen und sich nach ihrem Gutdünken und unter völliger Wahrung ihrer eigenen Interessen verwalten. Aber auch in Bezug auf die Bevölkerung bietet Australien ein anderes Bild als die meisten übrigen Colonieen. Die allem Anscheine nach übrigens nie zahlreich gewesenen Ureinwohner, die tiefst stehenden Menschen des Erdballes, sind ganz in das Innere des Landes zurückgedrängt und man kann bei dem fortwährenden Rück- gange ihrer Zahl wohl mit Sicherheit annehmen, dass sie sich gerade so auf dem Aussterbeetat befinden, wie die Maori auf Neuseeland, die Hottentoten in Capland und ähnliche Aboriginer an- derwärts. Sie haben in der Geschichte der Colonie nie eine Rolle gespielt, es konnte nicht einmal der Versuch gemacht werden, sie in eine engere Beziehung zu den neuen Ansiedlern zu bringen. Diejenige Bevölkerung Australiens daher, welche das Land besiedelt, bebaut und zu seiner heutigen Entwicklung gebracht hat, wurde durchwegs durch Einwanderung und durch den Nachwuchs der Einwanderer geschaffen. Diese Einwanderung hatte fast immer eine unmittelbare euro- päische Provenienz oder wenigstens europäischen Charakter und stand europäischer Cultur nahe. Sie konnte sich daher vom ersten Augenblicke an auf einer freien Bahn entfalten und hatte vom ersten Augenblicke an die Tendenz, ihr Gemeinwesen auf ganz freiem Fusse einzurichten. Dabei war es selbstverständlich, dass man stets und sofort die neuesten Einrichtungen in Berücksichtigung ziehen konnte. Deshalb haben die australischen Städte aber auch den Vor- theil gehabt, dass sie nicht erst an Veraltetes und Bestehendes an- knüpfen und dasselbe verbessern und umgestalten mussten, sondern dass sie volle Freiheit besassen, zu schaffen, was ihnen das Beste und Zweckmässigste dünkte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/821
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 805. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/821>, abgerufen am 24.11.2024.