Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776. Julius. Jezt soll ich kaltes Blut haben -- Glauben Sie, daß ich ein Thor sey? -- Aber gut, der Staat giebt nur Schuz und fodert da- gegen Gehorsam gegen die Geseze. Jch habe die- sen Gehorsam geleistet, die Rechnung hebt sich. Aspermonte. Meine Behauptung wischt mehr Thränen ab, als die Deinige. Siehe Jüng- ling Dein Vernünfteln ist falsch. Julius. Jst denn Tarent der Erdkreis, und ausser ihm Unding? -- Die Welt ist mein Vater- land, und alle Menschen sind ein Volk. -- Durch eine algemeine Sprache vereint! -- Die alge- meine Sprache der Völker ist Thränen und Seuf- zer; -- ich verstehe auch den hülflosen Hottentotten und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub seyn! -- und musste denn das ganze menschliche Geschlecht, um glücklich zu seyn, durch- aus in Staaten eingesperrt werden, wo jeder ein Knecht des andern, und keiner frey ist -- jeder an das andere Ende der Kette angeschmiedet, woran er seinen Sklaven hält -- Narren können nur streiten, ob die Gesellschaft die Menschheit vergifte! -- Beide Theile geben es zu, der Staat tödtet die Freyheit -- Sehen Sie, der Streit ist ent- schieden! -- Der Staub hat Willen, das ist mein erhabenster Gedanke an den Schöpfer, und den allmächtigen Trieb zur Freyheit schäz' ich auch Julius. Jezt ſoll ich kaltes Blut haben — Glauben Sie, daß ich ein Thor ſey? — Aber gut, der Staat giebt nur Schuz und fodert da- gegen Gehorſam gegen die Geſeze. Jch habe die- ſen Gehorſam geleiſtet, die Rechnung hebt ſich. Aſpermonte. Meine Behauptung wiſcht mehr Thraͤnen ab, als die Deinige. Siehe Juͤng- ling Dein Vernuͤnfteln iſt falſch. Julius. Jſt denn Tarent der Erdkreis, und auſſer ihm Unding? — Die Welt iſt mein Vater- land, und alle Menſchen ſind ein Volk. — Durch eine algemeine Sprache vereint! — Die alge- meine Sprache der Voͤlker iſt Thraͤnen und Seuf- zer; — ich verſtehe auch den huͤlfloſen Hottentotten und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub ſeyn! — und muſſte denn das ganze menſchliche Geſchlecht, um gluͤcklich zu ſeyn, durch- aus in Staaten eingeſperrt werden, wo jeder ein Knecht des andern, und keiner frey iſt — jeder an das andere Ende der Kette angeſchmiedet, woran er ſeinen Sklaven haͤlt — Narren koͤnnen nur ſtreiten, ob die Geſellſchaft die Menſchheit vergifte! — Beide Theile geben es zu, der Staat toͤdtet die Freyheit — Sehen Sie, der Streit iſt ent- ſchieden! — Der Staub hat Willen, das iſt mein erhabenſter Gedanke an den Schoͤpfer, und den allmaͤchtigen Trieb zur Freyheit ſchaͤz’ ich auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0051" n="47"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <sp who="#JUL"> <speaker>Julius.</speaker> <p>Jezt ſoll ich kaltes Blut haben —<lb/> Glauben Sie, daß ich ein Thor ſey? — Aber<lb/> gut, der Staat giebt nur Schuz und fodert da-<lb/> gegen Gehorſam gegen die Geſeze. Jch habe die-<lb/> ſen Gehorſam geleiſtet, die Rechnung hebt ſich.</p> </sp><lb/> <sp who="#ASP"> <speaker>Aſpermonte.</speaker> <p>Meine Behauptung wiſcht<lb/> mehr Thraͤnen ab, als die Deinige. Siehe Juͤng-<lb/> ling Dein Vernuͤnfteln iſt falſch.</p> </sp><lb/> <sp who="#JUL"> <speaker>Julius.</speaker> <p>Jſt denn Tarent der Erdkreis, und<lb/> auſſer ihm Unding? — Die Welt iſt mein Vater-<lb/> land, und alle Menſchen ſind ein Volk. — Durch<lb/> eine algemeine Sprache vereint! — Die alge-<lb/> meine Sprache der Voͤlker iſt Thraͤnen und Seuf-<lb/> zer; — ich verſtehe auch den huͤlfloſen Hottentotten<lb/> und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin,<lb/> nicht taub ſeyn! — und muſſte denn das ganze<lb/> menſchliche Geſchlecht, um gluͤcklich zu ſeyn, durch-<lb/> aus in Staaten eingeſperrt werden, wo jeder ein<lb/> Knecht des andern, und keiner frey iſt — jeder<lb/> an das andere Ende der Kette angeſchmiedet, woran<lb/> er ſeinen Sklaven haͤlt — Narren koͤnnen nur<lb/> ſtreiten, ob die Geſellſchaft die Menſchheit vergifte!<lb/> — Beide Theile geben es zu, der Staat toͤdtet<lb/> die Freyheit — Sehen Sie, der Streit iſt ent-<lb/> ſchieden! — Der Staub hat Willen, das iſt<lb/> mein erhabenſter Gedanke an den Schoͤpfer, und<lb/> den allmaͤchtigen Trieb zur Freyheit ſchaͤz’ ich auch<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0051]
Julius. Jezt ſoll ich kaltes Blut haben —
Glauben Sie, daß ich ein Thor ſey? — Aber
gut, der Staat giebt nur Schuz und fodert da-
gegen Gehorſam gegen die Geſeze. Jch habe die-
ſen Gehorſam geleiſtet, die Rechnung hebt ſich.
Aſpermonte. Meine Behauptung wiſcht
mehr Thraͤnen ab, als die Deinige. Siehe Juͤng-
ling Dein Vernuͤnfteln iſt falſch.
Julius. Jſt denn Tarent der Erdkreis, und
auſſer ihm Unding? — Die Welt iſt mein Vater-
land, und alle Menſchen ſind ein Volk. — Durch
eine algemeine Sprache vereint! — Die alge-
meine Sprache der Voͤlker iſt Thraͤnen und Seuf-
zer; — ich verſtehe auch den huͤlfloſen Hottentotten
und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin,
nicht taub ſeyn! — und muſſte denn das ganze
menſchliche Geſchlecht, um gluͤcklich zu ſeyn, durch-
aus in Staaten eingeſperrt werden, wo jeder ein
Knecht des andern, und keiner frey iſt — jeder
an das andere Ende der Kette angeſchmiedet, woran
er ſeinen Sklaven haͤlt — Narren koͤnnen nur
ſtreiten, ob die Geſellſchaft die Menſchheit vergifte!
— Beide Theile geben es zu, der Staat toͤdtet
die Freyheit — Sehen Sie, der Streit iſt ent-
ſchieden! — Der Staub hat Willen, das iſt
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