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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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b. Declination der Pronomina.
Westgermanischen fehlenden Pluralcasus auf -is erst innerhalb des Ostgerma-
nischen und zwar ebenfalls durch Anlehnung an den Singular mis u. s. w. ent-
standen sind: die eine Gruppe hat die Analogie des Accusativs, die andere des
Dativs sing. vorherrschen lassen; im Gotischen haben wir noch Formen ohne -is
erhalten, im Nordischen nicht mehr. Hier tritt nun freilich die Frage heran: wie
kommt es, dass bei der Anlehnung an den dat. sing. die Formen auf -is in den
ostgermanischen Dialekten accusativische Bedeutung haben können? Diese Frage
trifft einen der auffallendsten Punkte in der Flexion dieser Pronomina: die An-
wendung derselben Form als dat. und acc. plur. Aber diese Schwierigkeit steht
auch jeder anderen Erklärung des pluralischen -is im Wege: gesetzt, es wäre
möglich, mis als gen. aufzufassen, der in die Function des Dativs eingerückt
wäre, wie kann man es verstehen, dass dieselbe Form unsis im Plural zugleich
accusativische Bedeutung hat. Den Sprechenden musste beständig der Unter-
schied von mis -- mik u. s. f. vorschweben, und der gleiche Unterschied zwischen
einem dat. unsis und einem acc. uns ist doch nicht weniger bezeichnend. Nimmt
man mit mir an, dass -ik des acc. plur. nur westgermanischer, -is nur ostgerma-
nischer Entstehung sei, also nach Abtrennung dieser Elemente gemeingerma-
nische Formen übrig bleiben, in denen Accusativ und Dativ zusammenfallen, in
der I. Pers. uns, so haben wir allerdings diese auffallende Erscheinung zu er-
klären, aber es wird bei dieser Voraussetzung begreiflich, warum unsis auch den
acc. bezeichnen konnte: diese Form ist aufzufassen als ein Versuch der Sprache,
im Anschluss an den Singular eine Dativform zu schaffen, ein Versuch, der des-
wegen nicht gelang, weil die daneben gebräuchlich bleibende Form uns zugleich
Accusativ war und die Sprechenden so zu sagen verführte, auch unsis u. s. w.
accusativisch zu gebrauchen. Wie nun aber Formen mit vollerem, stärkerem
Lautbestand leicht kürzere verdrängen, so ist schon im Gotischen in der II. Pers.
-is ganz durchgedrungen, im Nordischen überhaupt.

Versuchen wir mit der gegebenen Voraussetzung von den einzelnen Formen
zu erklären, was erklärbar scheint, ohne uns an die gewöhnlich aufgestellte
Casusfolge zu binden. Am einfachsten ergiebt sich nom. plur. I. got. veis als
* vijas für * va-j-as vom Stamm va- mit bekannter Pluralbildung, ebenso jus II.
als Plural eines Stammes ju-. Bei dem acc. plur. I. uns nöthigt uns kein Aus-
lautsgesetz, den Abfall eines Vocals anzunehmen, das -ns kann die ursprüngliche
Endung eines acc. plur. sein, und ich möchte die Hypothese aufstellen, dass die
Form weiter nichts sei, als der acc. plur. des von nom. plur. in die obliquen Casus
eingedrungenen Stammes va- (vgl. preuss. acc. mans neben nom. plur. mes,
während die andern Casus mit n anlauten). Die Verwandlung des a in u unter
Einwirkung des nachstehenden Nasals und des anlautenden v bedarf keiner
weiteren Begründung, wohl aber der Wegfall des v, oder will man die Sache
lieber so auffassen, das samprasarana von va in u. Diese weiss ich nicht durch
einen völlig gleichen Fall zu belegen, aber wenn man sich nicht sträubt got. iz-
oder, lassen wir die Trennung der Elemente zweifelhaft, i- aus ju- zu erklären,
also auf den Stamm des Nominativs zu beziehen (vgl. hd. ir neben dat. iu, gen.
iuuar), so wird auch hier das Zusammengehen eines va-, vu- in u annehmbar

b. Declination der Pronomina.
Westgermanischen fehlenden Pluralcasus auf -is erst innerhalb des Ostgerma-
nischen und zwar ebenfalls durch Anlehnung an den Singular mis u. s. w. ent-
standen sind: die eine Gruppe hat die Analogie des Accusativs, die andere des
Dativs sing. vorherrschen lassen; im Gotischen haben wir noch Formen ohne -is
erhalten, im Nordischen nicht mehr. Hier tritt nun freilich die Frage heran: wie
kommt es, dass bei der Anlehnung an den dat. sing. die Formen auf -is in den
ostgermanischen Dialekten accusativische Bedeutung haben können? Diese Frage
trifft einen der auffallendsten Punkte in der Flexion dieser Pronomina: die An-
wendung derselben Form als dat. und acc. plur. Aber diese Schwierigkeit steht
auch jeder anderen Erklärung des pluralischen -is im Wege: gesetzt, es wäre
möglich, mis als gen. aufzufassen, der in die Function des Dativs eingerückt
wäre, wie kann man es verstehen, dass dieselbe Form unsis im Plural zugleich
accusativische Bedeutung hat. Den Sprechenden musste beständig der Unter-
schied von mis — mik u. s. f. vorschweben, und der gleiche Unterschied zwischen
einem dat. unsis und einem acc. uns ist doch nicht weniger bezeichnend. Nimmt
man mit mir an, dass -ik des acc. plur. nur westgermanischer, -is nur ostgerma-
nischer Entstehung sei, also nach Abtrennung dieser Elemente gemeingerma-
nische Formen übrig bleiben, in denen Accusativ und Dativ zusammenfallen, in
der I. Pers. uns, so haben wir allerdings diese auffallende Erscheinung zu er-
klären, aber es wird bei dieser Voraussetzung begreiflich, warum unsis auch den
acc. bezeichnen konnte: diese Form ist aufzufassen als ein Versuch der Sprache,
im Anschluss an den Singular eine Dativform zu schaffen, ein Versuch, der des-
wegen nicht gelang, weil die daneben gebräuchlich bleibende Form uns zugleich
Accusativ war und die Sprechenden so zu sagen verführte, auch unsis u. s. w.
accusativisch zu gebrauchen. Wie nun aber Formen mit vollerem, stärkerem
Lautbestand leicht kürzere verdrängen, so ist schon im Gotischen in der II. Pers.
-is ganz durchgedrungen, im Nordischen überhaupt.

Versuchen wir mit der gegebenen Voraussetzung von den einzelnen Formen
zu erklären, was erklärbar scheint, ohne uns an die gewöhnlich aufgestellte
Casusfolge zu binden. Am einfachsten ergiebt sich nom. plur. I. got. veis als
* vijas für * va-j-as vom Stamm va- mit bekannter Pluralbildung, ebenso jus II.
als Plural eines Stammes ju-. Bei dem acc. plur. I. uns nöthigt uns kein Aus-
lautsgesetz, den Abfall eines Vocals anzunehmen, das -ns kann die ursprüngliche
Endung eines acc. plur. sein, und ich möchte die Hypothese aufstellen, dass die
Form weiter nichts sei, als der acc. plur. des von nom. plur. in die obliquen Casus
eingedrungenen Stammes va- (vgl. preuss. acc. mans neben nom. plur. mes,
während die andern Casus mit n anlauten). Die Verwandlung des a in u unter
Einwirkung des nachstehenden Nasals und des anlautenden v bedarf keiner
weiteren Begründung, wohl aber der Wegfall des v, oder will man die Sache
lieber so auffassen, das samprasaraṇa von va in u. Diese weiss ich nicht durch
einen völlig gleichen Fall zu belegen, aber wenn man sich nicht sträubt got. iz-
oder, lassen wir die Trennung der Elemente zweifelhaft, i- aus ju- zu erklären,
also auf den Stamm des Nominativs zu beziehen (vgl. hd. ir neben dat. iu, gen.
iuuar), so wird auch hier das Zusammengehen eines va-, vu- in u annehmbar

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[154/0190] b. Declination der Pronomina. Westgermanischen fehlenden Pluralcasus auf -is erst innerhalb des Ostgerma- nischen und zwar ebenfalls durch Anlehnung an den Singular mis u. s. w. ent- standen sind: die eine Gruppe hat die Analogie des Accusativs, die andere des Dativs sing. vorherrschen lassen; im Gotischen haben wir noch Formen ohne -is erhalten, im Nordischen nicht mehr. Hier tritt nun freilich die Frage heran: wie kommt es, dass bei der Anlehnung an den dat. sing. die Formen auf -is in den ostgermanischen Dialekten accusativische Bedeutung haben können? Diese Frage trifft einen der auffallendsten Punkte in der Flexion dieser Pronomina: die An- wendung derselben Form als dat. und acc. plur. Aber diese Schwierigkeit steht auch jeder anderen Erklärung des pluralischen -is im Wege: gesetzt, es wäre möglich, mis als gen. aufzufassen, der in die Function des Dativs eingerückt wäre, wie kann man es verstehen, dass dieselbe Form unsis im Plural zugleich accusativische Bedeutung hat. Den Sprechenden musste beständig der Unter- schied von mis — mik u. s. f. vorschweben, und der gleiche Unterschied zwischen einem dat. unsis und einem acc. uns ist doch nicht weniger bezeichnend. Nimmt man mit mir an, dass -ik des acc. plur. nur westgermanischer, -is nur ostgerma- nischer Entstehung sei, also nach Abtrennung dieser Elemente gemeingerma- nische Formen übrig bleiben, in denen Accusativ und Dativ zusammenfallen, in der I. Pers. uns, so haben wir allerdings diese auffallende Erscheinung zu er- klären, aber es wird bei dieser Voraussetzung begreiflich, warum unsis auch den acc. bezeichnen konnte: diese Form ist aufzufassen als ein Versuch der Sprache, im Anschluss an den Singular eine Dativform zu schaffen, ein Versuch, der des- wegen nicht gelang, weil die daneben gebräuchlich bleibende Form uns zugleich Accusativ war und die Sprechenden so zu sagen verführte, auch unsis u. s. w. accusativisch zu gebrauchen. Wie nun aber Formen mit vollerem, stärkerem Lautbestand leicht kürzere verdrängen, so ist schon im Gotischen in der II. Pers. -is ganz durchgedrungen, im Nordischen überhaupt. Versuchen wir mit der gegebenen Voraussetzung von den einzelnen Formen zu erklären, was erklärbar scheint, ohne uns an die gewöhnlich aufgestellte Casusfolge zu binden. Am einfachsten ergiebt sich nom. plur. I. got. veis als * vijas für * va-j-as vom Stamm va- mit bekannter Pluralbildung, ebenso jus II. als Plural eines Stammes ju-. Bei dem acc. plur. I. uns nöthigt uns kein Aus- lautsgesetz, den Abfall eines Vocals anzunehmen, das -ns kann die ursprüngliche Endung eines acc. plur. sein, und ich möchte die Hypothese aufstellen, dass die Form weiter nichts sei, als der acc. plur. des von nom. plur. in die obliquen Casus eingedrungenen Stammes va- (vgl. preuss. acc. mans neben nom. plur. mes, während die andern Casus mit n anlauten). Die Verwandlung des a in u unter Einwirkung des nachstehenden Nasals und des anlautenden v bedarf keiner weiteren Begründung, wohl aber der Wegfall des v, oder will man die Sache lieber so auffassen, das samprasaraṇa von va in u. Diese weiss ich nicht durch einen völlig gleichen Fall zu belegen, aber wenn man sich nicht sträubt got. iz- oder, lassen wir die Trennung der Elemente zweifelhaft, i- aus ju- zu erklären, also auf den Stamm des Nominativs zu beziehen (vgl. hd. ir neben dat. iu, gen. iuuar), so wird auch hier das Zusammengehen eines va-, vu- in u annehmbar

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/190>, abgerufen am 24.11.2024.