Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.Einleitung. Endlich S. 201: "vergleichen wir diese für die vorhistorische Zeit nothwendig an-zunehmenden Siedelungsverhältnisse der Slaven mit den historischen, so stellt sich heraus, dass, obwohl die Ausdehnung des von Slaven besetzten Gebietes in historischer Zeit sehr starke Veränderungen erlitten hat, die Siedelungsverhält- nisse der einzelnen Stämme zu einander -- von dem zwischen sie gedrungenen Keile der Deutschen, Magyaren und Rumenen abgesehen -- heute noch dieselben sind, wie wir sie für die Urzeit annehmen müssen". Ich knüpfe zunächst an die letztcitirte Stelle an: es könnte demjenigen, der Einleitung. Endlich S. 201: «vergleichen wir diese für die vorhistorische Zeit nothwendig an-zunehmenden Siedelungsverhältnisse der Slaven mit den historischen, so stellt sich heraus, dass, obwohl die Ausdehnung des von Slaven besetzten Gebietes in historischer Zeit sehr starke Veränderungen erlitten hat, die Siedelungsverhält- nisse der einzelnen Stämme zu einander — von dem zwischen sie gedrungenen Keile der Deutschen, Magyaren und Rumenen abgesehen — heute noch dieselben sind, wie wir sie für die Urzeit annehmen müssen». Ich knüpfe zunächst an die letztcitirte Stelle an: es könnte demjenigen, der <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="XIV"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Einleitung</hi>.</fw><lb/> Endlich S. 201: «vergleichen wir diese für die vorhistorische Zeit nothwendig an-<lb/> zunehmenden Siedelungsverhältnisse der Slaven mit den historischen, so stellt<lb/> sich heraus, dass, obwohl die Ausdehnung des von Slaven besetzten Gebietes in<lb/> historischer Zeit sehr starke Veränderungen erlitten hat, die Siedelungsverhält-<lb/> nisse der einzelnen Stämme zu einander — von dem zwischen sie gedrungenen<lb/> Keile der Deutschen, Magyaren und Rumenen abgesehen — heute noch dieselben<lb/> sind, wie wir sie für die Urzeit annehmen müssen».</p><lb/> <p>Ich knüpfe zunächst an die letztcitirte Stelle an: es könnte demjenigen, der<lb/> nicht näher auf die historischen Verhältnisse eingeht, nach Schmidts Worten<lb/> leicht scheinen, als bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Siede-<lb/> lungsverhältnissen in der Urheimat und den späteren, oder als seien diese die<lb/> unmittelbare Fortsetzung jener. Das ist nun entschieden nicht der Fall, wenn<lb/> unsere historische Ueberlieferung etwas werth ist. Nehmen wir z. B. die erste<lb/> Hälfte des 9. Jahrhunderts, wo Rumunen vielleicht nördlich der Donau noch gar<lb/> nicht vorhanden waren oder ein sehr kleines, nicht mehr bestimmbares Gebiet<lb/> einnahmen, die Magyaren noch nicht eingedrungen waren und die Deutschen die<lb/> westslavischen Stämme noch nicht überwältigt und auseinandergedrängt hatten,<lb/> eine Zeit, wo das Slaventhum seine grösste Ausdehnung nach Süden und Westen<lb/> hatte. Dass damals zwischen Russen und Bulgaren oder zwischen Serben und<lb/> Russen eine unmittelbare geographische Berührung nicht stattfand, steht fest.<lb/> Die Slovenen waren Grenznachbarn der Serbo-chorvaten, diese der Bulgaren;<lb/> im Norden standen Čechen, Sorben, Polen, Polaben in geographischem Zusam-<lb/> menhang; möglicherweise berührten sich im Osten die Russen mit den Polen<lb/> oder Čechen oder mit beiden. So giebt es eine südliche geographisch zusammen-<lb/> hängende Abtheilung und eine nördliche. Es ist nicht gerade unwahrscheinlich,<lb/> wenn es sich auch nicht beweisen lässt, dass die beiden Abtheilungen an der<lb/> mittleren Donau, etwa auf der Linie Pressburg-Pest zusammenstiessen, indem<lb/> südlich der Donau Slovenen, nördlich Čechen wohnten. So stehen allerdings die<lb/> Völker, wenn man die Lücke zwischen Russen und Südslaven überspringt, zu<lb/> einander ungefähr in einer Lage, wie sie Schmidts Schema gibt (ganz auch so<lb/> nicht, denn nach ihm berühren sich sprachlich die Polaben sowohl mit den Čechen<lb/> wie mit den Polen, im 9. Jahrhundert dagegen liegt ein breiter sorbischer Streifen<lb/> zwischen Polaben und Čechen). Allein dass die Lage der Slovenen und Čechen<lb/> so ist, wie sie Schmidt für die Urheimat ansetzt, ist ein Zufall. Die Čechen<lb/> können nach Böhmen, Mähren, Oberungarn nur über die Sudeten- und Karpaten-<lb/> pässe und die Senkung zwischen diesen Gebirgen, jedenfalls von Norden und<lb/> Osten gekommen sein, während alle Verhältnisse dafür sprechen, dass das Vor-<lb/> dringen der Slovenen nach Pannonien und Noricum durch die Donaupforte statt-<lb/> gefunden hat (vgl. am kürzesten Rösler, Ueber den Zeitpunkt der slavischen An-<lb/> siedlung an der untern Donau. Wiener Sitzungsber., phil.-hist. Cl. B. LXXIII,<lb/> S. 92, 1873). Folglich waren Čechen und Slovenen einmal völlig getrennt, und<lb/> äussere Umstände, die mit der relativen Lage dieser Stämme in der Urheimat<lb/> und dem Verhältniss ihrer Dialekte nichts zu schaffen haben, führten sie wieder<lb/> zusammen; oder um mich vorsichtiger auszudrücken, da die wirkliche Berührung<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [XIV/0020]
Einleitung.
Endlich S. 201: «vergleichen wir diese für die vorhistorische Zeit nothwendig an-
zunehmenden Siedelungsverhältnisse der Slaven mit den historischen, so stellt
sich heraus, dass, obwohl die Ausdehnung des von Slaven besetzten Gebietes in
historischer Zeit sehr starke Veränderungen erlitten hat, die Siedelungsverhält-
nisse der einzelnen Stämme zu einander — von dem zwischen sie gedrungenen
Keile der Deutschen, Magyaren und Rumenen abgesehen — heute noch dieselben
sind, wie wir sie für die Urzeit annehmen müssen».
Ich knüpfe zunächst an die letztcitirte Stelle an: es könnte demjenigen, der
nicht näher auf die historischen Verhältnisse eingeht, nach Schmidts Worten
leicht scheinen, als bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Siede-
lungsverhältnissen in der Urheimat und den späteren, oder als seien diese die
unmittelbare Fortsetzung jener. Das ist nun entschieden nicht der Fall, wenn
unsere historische Ueberlieferung etwas werth ist. Nehmen wir z. B. die erste
Hälfte des 9. Jahrhunderts, wo Rumunen vielleicht nördlich der Donau noch gar
nicht vorhanden waren oder ein sehr kleines, nicht mehr bestimmbares Gebiet
einnahmen, die Magyaren noch nicht eingedrungen waren und die Deutschen die
westslavischen Stämme noch nicht überwältigt und auseinandergedrängt hatten,
eine Zeit, wo das Slaventhum seine grösste Ausdehnung nach Süden und Westen
hatte. Dass damals zwischen Russen und Bulgaren oder zwischen Serben und
Russen eine unmittelbare geographische Berührung nicht stattfand, steht fest.
Die Slovenen waren Grenznachbarn der Serbo-chorvaten, diese der Bulgaren;
im Norden standen Čechen, Sorben, Polen, Polaben in geographischem Zusam-
menhang; möglicherweise berührten sich im Osten die Russen mit den Polen
oder Čechen oder mit beiden. So giebt es eine südliche geographisch zusammen-
hängende Abtheilung und eine nördliche. Es ist nicht gerade unwahrscheinlich,
wenn es sich auch nicht beweisen lässt, dass die beiden Abtheilungen an der
mittleren Donau, etwa auf der Linie Pressburg-Pest zusammenstiessen, indem
südlich der Donau Slovenen, nördlich Čechen wohnten. So stehen allerdings die
Völker, wenn man die Lücke zwischen Russen und Südslaven überspringt, zu
einander ungefähr in einer Lage, wie sie Schmidts Schema gibt (ganz auch so
nicht, denn nach ihm berühren sich sprachlich die Polaben sowohl mit den Čechen
wie mit den Polen, im 9. Jahrhundert dagegen liegt ein breiter sorbischer Streifen
zwischen Polaben und Čechen). Allein dass die Lage der Slovenen und Čechen
so ist, wie sie Schmidt für die Urheimat ansetzt, ist ein Zufall. Die Čechen
können nach Böhmen, Mähren, Oberungarn nur über die Sudeten- und Karpaten-
pässe und die Senkung zwischen diesen Gebirgen, jedenfalls von Norden und
Osten gekommen sein, während alle Verhältnisse dafür sprechen, dass das Vor-
dringen der Slovenen nach Pannonien und Noricum durch die Donaupforte statt-
gefunden hat (vgl. am kürzesten Rösler, Ueber den Zeitpunkt der slavischen An-
siedlung an der untern Donau. Wiener Sitzungsber., phil.-hist. Cl. B. LXXIII,
S. 92, 1873). Folglich waren Čechen und Slovenen einmal völlig getrennt, und
äussere Umstände, die mit der relativen Lage dieser Stämme in der Urheimat
und dem Verhältniss ihrer Dialekte nichts zu schaffen haben, führten sie wieder
zusammen; oder um mich vorsichtiger auszudrücken, da die wirkliche Berührung
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