ben, das ihr in dem Originale noch mangelte. So sehr der Herr von Voltaire die englischen Sitten auch kennen will, so hatte er doch häufig dagegen verstossen; z. E. darinn, daß er seine Lindane auf einem Kaffeehause wohnen läßt. Colman miethet sie dafür bey einer ehrlichen Frau ein, die möblirte Zimmer hält, und diese Frau ist weit anständiger die Freundinn und Wohl- thäterinn der jungen verlassenen Schöne, als Fabriz. Auch die Charaktere hat Colman für den englischen Geschmack kräftiger zu machen ge- sucht. Lady Alton ist nicht blos eine eifersüch- tige Furie; sie will ein Frauenzimmer von Ge- nie, von Geschmack und Gelehrsamkeit seyn, und giebt sich das Ansehen einer Schutzgöttinn der Litteratur. Hierdurch glaubte er die Ver- bindung wahrscheinlicher zu machen, in der sie mit dem elenden Frelon stehet, den er Spatter nennet. Freeport vornehmlich hat eine weitere Sphäre von Thätigkeit bekommen, und er nimmt sich des Vaters der Lindane eben so eifrig an, als der Lindane selbst. Was im Französischen der Lord Falbridge zu dessen Begnadigung thut, thut im Englischen Freeport, und er ist es allein, der alles zu einem glücklichen Ende bringet.
Die englischen Kunstrichter haben in Colmans Umarbeitung die Gesinnungen durchaus vor- trefflich, den Dialog fein und lebhaft, und die Charaktere sehr wohl ausgeführt gefunden. Aber
doch
ben, das ihr in dem Originale noch mangelte. So ſehr der Herr von Voltaire die engliſchen Sitten auch kennen will, ſo hatte er doch haͤufig dagegen verſtoſſen; z. E. darinn, daß er ſeine Lindane auf einem Kaffeehauſe wohnen laͤßt. Colman miethet ſie dafuͤr bey einer ehrlichen Frau ein, die moͤblirte Zimmer haͤlt, und dieſe Frau iſt weit anſtaͤndiger die Freundinn und Wohl- thaͤterinn der jungen verlaſſenen Schoͤne, als Fabriz. Auch die Charaktere hat Colman fuͤr den engliſchen Geſchmack kraͤftiger zu machen ge- ſucht. Lady Alton iſt nicht blos eine eiferſuͤch- tige Furie; ſie will ein Frauenzimmer von Ge- nie, von Geſchmack und Gelehrſamkeit ſeyn, und giebt ſich das Anſehen einer Schutzgoͤttinn der Litteratur. Hierdurch glaubte er die Ver- bindung wahrſcheinlicher zu machen, in der ſie mit dem elenden Frelon ſtehet, den er Spatter nennet. Freeport vornehmlich hat eine weitere Sphaͤre von Thaͤtigkeit bekommen, und er nimmt ſich des Vaters der Lindane eben ſo eifrig an, als der Lindane ſelbſt. Was im Franzoͤſiſchen der Lord Falbridge zu deſſen Begnadigung thut, thut im Engliſchen Freeport, und er iſt es allein, der alles zu einem gluͤcklichen Ende bringet.
Die engliſchen Kunſtrichter haben in Colmans Umarbeitung die Geſinnungen durchaus vor- trefflich, den Dialog fein und lebhaft, und die Charaktere ſehr wohl ausgefuͤhrt gefunden. Aber
doch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0108"n="94"/>
ben, das ihr in dem Originale noch mangelte.<lb/>
So ſehr der Herr von Voltaire die engliſchen<lb/>
Sitten auch kennen will, ſo hatte er doch haͤufig<lb/>
dagegen verſtoſſen; z. E. darinn, daß er ſeine<lb/>
Lindane auf einem Kaffeehauſe wohnen laͤßt.<lb/>
Colman miethet ſie dafuͤr bey einer ehrlichen Frau<lb/>
ein, die moͤblirte Zimmer haͤlt, und dieſe Frau<lb/>
iſt weit anſtaͤndiger die Freundinn und Wohl-<lb/>
thaͤterinn der jungen verlaſſenen Schoͤne, als<lb/>
Fabriz. Auch die Charaktere hat Colman fuͤr<lb/>
den engliſchen Geſchmack kraͤftiger zu machen ge-<lb/>ſucht. Lady Alton iſt nicht blos eine eiferſuͤch-<lb/>
tige Furie; ſie will ein Frauenzimmer von Ge-<lb/>
nie, von Geſchmack und Gelehrſamkeit ſeyn,<lb/>
und giebt ſich das Anſehen einer Schutzgoͤttinn<lb/>
der Litteratur. Hierdurch glaubte er die Ver-<lb/>
bindung wahrſcheinlicher zu machen, in der ſie<lb/>
mit dem elenden Frelon ſtehet, den er Spatter<lb/>
nennet. Freeport vornehmlich hat eine weitere<lb/>
Sphaͤre von Thaͤtigkeit bekommen, und er nimmt<lb/>ſich des Vaters der Lindane eben ſo eifrig an,<lb/>
als der Lindane ſelbſt. Was im Franzoͤſiſchen<lb/>
der Lord Falbridge zu deſſen Begnadigung thut,<lb/>
thut im Engliſchen Freeport, und er iſt es allein,<lb/>
der alles zu einem gluͤcklichen Ende bringet.</p><lb/><p>Die engliſchen Kunſtrichter haben in Colmans<lb/>
Umarbeitung die Geſinnungen durchaus vor-<lb/>
trefflich, den Dialog fein und lebhaft, und die<lb/>
Charaktere ſehr wohl ausgefuͤhrt gefunden. Aber<lb/><fwplace="bottom"type="catch">doch</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[94/0108]
ben, das ihr in dem Originale noch mangelte.
So ſehr der Herr von Voltaire die engliſchen
Sitten auch kennen will, ſo hatte er doch haͤufig
dagegen verſtoſſen; z. E. darinn, daß er ſeine
Lindane auf einem Kaffeehauſe wohnen laͤßt.
Colman miethet ſie dafuͤr bey einer ehrlichen Frau
ein, die moͤblirte Zimmer haͤlt, und dieſe Frau
iſt weit anſtaͤndiger die Freundinn und Wohl-
thaͤterinn der jungen verlaſſenen Schoͤne, als
Fabriz. Auch die Charaktere hat Colman fuͤr
den engliſchen Geſchmack kraͤftiger zu machen ge-
ſucht. Lady Alton iſt nicht blos eine eiferſuͤch-
tige Furie; ſie will ein Frauenzimmer von Ge-
nie, von Geſchmack und Gelehrſamkeit ſeyn,
und giebt ſich das Anſehen einer Schutzgoͤttinn
der Litteratur. Hierdurch glaubte er die Ver-
bindung wahrſcheinlicher zu machen, in der ſie
mit dem elenden Frelon ſtehet, den er Spatter
nennet. Freeport vornehmlich hat eine weitere
Sphaͤre von Thaͤtigkeit bekommen, und er nimmt
ſich des Vaters der Lindane eben ſo eifrig an,
als der Lindane ſelbſt. Was im Franzoͤſiſchen
der Lord Falbridge zu deſſen Begnadigung thut,
thut im Engliſchen Freeport, und er iſt es allein,
der alles zu einem gluͤcklichen Ende bringet.
Die engliſchen Kunſtrichter haben in Colmans
Umarbeitung die Geſinnungen durchaus vor-
trefflich, den Dialog fein und lebhaft, und die
Charaktere ſehr wohl ausgefuͤhrt gefunden. Aber
doch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/108>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.