vorstellet, so darf sie nur reden, wie ihr der Mund gewachsen, und alles wird gut gehen. Es gieng auch; und die Theaterpedanten, welche gegen Hillen behaupteten, daß nur eine sehr ge- übte, sehr erfahrene Person einer solchen Rolle Genüge leisten könne, wurden beschämt. Diese junge Aktrice war die Frau des Komödianten Colley Cibber, und der erste Versuch in ihrem achtzehnten Jahre ward ein Meisterstück. Es ist merkwürdig, daß auch die französische Schau- spielerinn, welche die Zayre zuerst spielte, eine Anfängerinn war. Die junge reitzende Made- moisell Gossin ward auf einmal dadurch berühmt, und selbst Voltaire ward so entzückt über sie, daß er sein Alter recht kläglich betauerte.
Die Rolle des Orosmann hatte ein Anver- wandter des Hill übernommen, der kein Komö- diant von Profeßion, sondern ein Mann von Stande war. Er spielte aus Liebhaberey, und machte sich nicht das geringste Bedenken, öffent- lich aufzutreten, um ein Talent zu zeigen, das so schätzbar als irgend ein anders ist. In Eng- land sind dergleichen Exempel von angesehenen Leuten, die zu ihrem bloßen Vergnügen einmal mitspielen, nicht selten. "Alles was uns dabey befremden sollte, sagt der Hr. von Voltaire, ist dieses, daß es uns befremdet. Wir sollten überlegen, daß alle Dinge in der Welt von der Gewohnheit und Meinung abhangen. Der
fran-
vorſtellet, ſo darf ſie nur reden, wie ihr der Mund gewachſen, und alles wird gut gehen. Es gieng auch; und die Theaterpedanten, welche gegen Hillen behaupteten, daß nur eine ſehr ge- uͤbte, ſehr erfahrene Perſon einer ſolchen Rolle Genuͤge leiſten koͤnne, wurden beſchaͤmt. Dieſe junge Aktrice war die Frau des Komoͤdianten Colley Cibber, und der erſte Verſuch in ihrem achtzehnten Jahre ward ein Meiſterſtuͤck. Es iſt merkwuͤrdig, daß auch die franzoͤſiſche Schau- ſpielerinn, welche die Zayre zuerſt ſpielte, eine Anfaͤngerinn war. Die junge reitzende Made- moiſell Goſſin ward auf einmal dadurch beruͤhmt, und ſelbſt Voltaire ward ſo entzuͤckt uͤber ſie, daß er ſein Alter recht klaͤglich betauerte.
Die Rolle des Orosmann hatte ein Anver- wandter des Hill uͤbernommen, der kein Komoͤ- diant von Profeßion, ſondern ein Mann von Stande war. Er ſpielte aus Liebhaberey, und machte ſich nicht das geringſte Bedenken, oͤffent- lich aufzutreten, um ein Talent zu zeigen, das ſo ſchaͤtzbar als irgend ein anders iſt. In Eng- land ſind dergleichen Exempel von angeſehenen Leuten, die zu ihrem bloßen Vergnuͤgen einmal mitſpielen, nicht ſelten. „Alles was uns dabey befremden ſollte, ſagt der Hr. von Voltaire, iſt dieſes, daß es uns befremdet. Wir ſollten uͤberlegen, daß alle Dinge in der Welt von der Gewohnheit und Meinung abhangen. Der
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vorſtellet, ſo darf ſie nur reden, wie ihr der
Mund gewachſen, und alles wird gut gehen.
Es gieng auch; und die Theaterpedanten, welche
gegen Hillen behaupteten, daß nur eine ſehr ge-
uͤbte, ſehr erfahrene Perſon einer ſolchen Rolle
Genuͤge leiſten koͤnne, wurden beſchaͤmt. Dieſe
junge Aktrice war die Frau des Komoͤdianten
Colley Cibber, und der erſte Verſuch in ihrem
achtzehnten Jahre ward ein Meiſterſtuͤck. Es
iſt merkwuͤrdig, daß auch die franzoͤſiſche Schau-
ſpielerinn, welche die Zayre zuerſt ſpielte, eine
Anfaͤngerinn war. Die junge reitzende Made-
moiſell Goſſin ward auf einmal dadurch beruͤhmt,
und ſelbſt Voltaire ward ſo entzuͤckt uͤber ſie, daß
er ſein Alter recht klaͤglich betauerte.
Die Rolle des Orosmann hatte ein Anver-
wandter des Hill uͤbernommen, der kein Komoͤ-
diant von Profeßion, ſondern ein Mann von
Stande war. Er ſpielte aus Liebhaberey, und
machte ſich nicht das geringſte Bedenken, oͤffent-
lich aufzutreten, um ein Talent zu zeigen, das
ſo ſchaͤtzbar als irgend ein anders iſt. In Eng-
land ſind dergleichen Exempel von angeſehenen
Leuten, die zu ihrem bloßen Vergnuͤgen einmal
mitſpielen, nicht ſelten. „Alles was uns dabey
befremden ſollte, ſagt der Hr. von Voltaire, iſt
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uͤberlegen, daß alle Dinge in der Welt von der
Gewohnheit und Meinung abhangen. Der
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/136>, abgerufen am 21.11.2024.
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