Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

französische Hof hat ehedem auf dem Theater mit
den Opernspielern getanzt; und man hat weiter
nichts besonders dabey gefunden, als daß diese
Art von Lustbarkeit aus der Mode gekommen.
Was ist zwischen den beiden Künsten für ein Un-
terschied, als daß die eine über die andere eben
so weit erhaben ist, als es Talente, welche vor-
zügliche Seelenkräfte erfodern, über bloß kör-
perliche Fertigkeiten sind?"

Ins Italienische hat der Graf Gozzi die Zayre
übersetzt; sehr genau und sehr zierlich; sie stehet
in dem dritten Theile seiner Werke. In welcher
Sprache können zärtliche Klagen rührender klin-
gen, als in dieser? Mit der einzigen Freyheit,
die sich Gozzi gegen das Ende des Stücks ge-
nommen, wird man schwerlich zufrieden seyn.
Nachdem sich Orosmann erstochen, läßt ihn Vol-
taire nur noch ein Paar Worte sagen, uns über
das Schicksal des Nerestan zu beruhigen. Aber
was thut Gozzi? Der Italiener fand es ohne
Zweifel zu kalt, einen Türken so gelassen weg-
sterben zu lassen. Er legt also dem Orosmann
noch eine Tirade in den Mund, voller Ausru-
fungen, voller Winseln und Verzweiflung. Ich
will sie der Seltenheit halber unter den Text
setzen. (*)

Che
Es
(*) Questo mortale orror che per le vene
Tutte mi scorre, omai non e dolore,

Q 2

franzoͤſiſche Hof hat ehedem auf dem Theater mit
den Opernſpielern getanzt; und man hat weiter
nichts beſonders dabey gefunden, als daß dieſe
Art von Luſtbarkeit aus der Mode gekommen.
Was iſt zwiſchen den beiden Kuͤnſten fuͤr ein Un-
terſchied, als daß die eine uͤber die andere eben
ſo weit erhaben iſt, als es Talente, welche vor-
zuͤgliche Seelenkraͤfte erfodern, uͤber bloß koͤr-
perliche Fertigkeiten ſind?„

Ins Italieniſche hat der Graf Gozzi die Zayre
uͤberſetzt; ſehr genau und ſehr zierlich; ſie ſtehet
in dem dritten Theile ſeiner Werke. In welcher
Sprache koͤnnen zaͤrtliche Klagen ruͤhrender klin-
gen, als in dieſer? Mit der einzigen Freyheit,
die ſich Gozzi gegen das Ende des Stuͤcks ge-
nommen, wird man ſchwerlich zufrieden ſeyn.
Nachdem ſich Orosmann erſtochen, laͤßt ihn Vol-
taire nur noch ein Paar Worte ſagen, uns uͤber
das Schickſal des Nereſtan zu beruhigen. Aber
was thut Gozzi? Der Italiener fand es ohne
Zweifel zu kalt, einen Tuͤrken ſo gelaſſen weg-
ſterben zu laſſen. Er legt alſo dem Orosmann
noch eine Tirade in den Mund, voller Ausru-
fungen, voller Winſeln und Verzweiflung. Ich
will ſie der Seltenheit halber unter den Text
ſetzen. (*)

Che
Es
(*) Queſto mortale orror che per le vene
Tutte mi ſcorre, omai non è dolore,

Q 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <cit>
            <quote><pb facs="#f0137" n="123"/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Hof hat ehedem auf dem Theater mit<lb/>
den Opern&#x017F;pielern getanzt; und man hat weiter<lb/>
nichts be&#x017F;onders dabey gefunden, als daß die&#x017F;e<lb/>
Art von Lu&#x017F;tbarkeit aus der Mode gekommen.<lb/>
Was i&#x017F;t zwi&#x017F;chen den beiden Ku&#x0364;n&#x017F;ten fu&#x0364;r ein Un-<lb/>
ter&#x017F;chied, als daß die eine u&#x0364;ber die andere eben<lb/>
&#x017F;o weit erhaben i&#x017F;t, als es Talente, welche vor-<lb/>
zu&#x0364;gliche Seelenkra&#x0364;fte erfodern, u&#x0364;ber bloß ko&#x0364;r-<lb/>
perliche Fertigkeiten &#x017F;ind?&#x201E;</quote>
          </cit>
        </p><lb/>
        <p>Ins Italieni&#x017F;che hat der Graf Gozzi die Zayre<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;etzt; &#x017F;ehr genau und &#x017F;ehr zierlich; &#x017F;ie &#x017F;tehet<lb/>
in dem dritten Theile &#x017F;einer Werke. In welcher<lb/>
Sprache ko&#x0364;nnen za&#x0364;rtliche Klagen ru&#x0364;hrender klin-<lb/>
gen, als in die&#x017F;er? Mit der einzigen Freyheit,<lb/>
die &#x017F;ich Gozzi gegen das Ende des Stu&#x0364;cks ge-<lb/>
nommen, wird man &#x017F;chwerlich zufrieden &#x017F;eyn.<lb/>
Nachdem &#x017F;ich Orosmann er&#x017F;tochen, la&#x0364;ßt ihn Vol-<lb/>
taire nur noch ein Paar Worte &#x017F;agen, uns u&#x0364;ber<lb/>
das Schick&#x017F;al des Nere&#x017F;tan zu beruhigen. Aber<lb/>
was thut Gozzi? Der Italiener fand es ohne<lb/>
Zweifel zu kalt, einen Tu&#x0364;rken &#x017F;o gela&#x017F;&#x017F;en weg-<lb/>
&#x017F;terben zu la&#x017F;&#x017F;en. Er legt al&#x017F;o dem Orosmann<lb/>
noch eine Tirade in den Mund, voller Ausru-<lb/>
fungen, voller Win&#x017F;eln und Verzweiflung. Ich<lb/>
will &#x017F;ie der Seltenheit halber unter den Text<lb/>
&#x017F;etzen. <note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="(*)"><cit><quote><hi rendition="#aq">Que&#x017F;to mortale orror che per le vene<lb/>
Tutte mi &#x017F;corre, omai non è dolore,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">Che</hi></fw></quote></cit></note></p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">Q 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0137] franzoͤſiſche Hof hat ehedem auf dem Theater mit den Opernſpielern getanzt; und man hat weiter nichts beſonders dabey gefunden, als daß dieſe Art von Luſtbarkeit aus der Mode gekommen. Was iſt zwiſchen den beiden Kuͤnſten fuͤr ein Un- terſchied, als daß die eine uͤber die andere eben ſo weit erhaben iſt, als es Talente, welche vor- zuͤgliche Seelenkraͤfte erfodern, uͤber bloß koͤr- perliche Fertigkeiten ſind?„ Ins Italieniſche hat der Graf Gozzi die Zayre uͤberſetzt; ſehr genau und ſehr zierlich; ſie ſtehet in dem dritten Theile ſeiner Werke. In welcher Sprache koͤnnen zaͤrtliche Klagen ruͤhrender klin- gen, als in dieſer? Mit der einzigen Freyheit, die ſich Gozzi gegen das Ende des Stuͤcks ge- nommen, wird man ſchwerlich zufrieden ſeyn. Nachdem ſich Orosmann erſtochen, laͤßt ihn Vol- taire nur noch ein Paar Worte ſagen, uns uͤber das Schickſal des Nereſtan zu beruhigen. Aber was thut Gozzi? Der Italiener fand es ohne Zweifel zu kalt, einen Tuͤrken ſo gelaſſen weg- ſterben zu laſſen. Er legt alſo dem Orosmann noch eine Tirade in den Mund, voller Ausru- fungen, voller Winſeln und Verzweiflung. Ich will ſie der Seltenheit halber unter den Text ſetzen. (*) Es (*) Queſto mortale orror che per le vene Tutte mi ſcorre, omai non è dolore, Che Q 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/137
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/137>, abgerufen am 19.05.2024.