Dieses Stück schreibt sich eigentlich aus dem Englischen des Addison her. Addison hat nur eine Tragödie, und nur eine Komödie gemacht. Die dramatische Poesie überhaupt war sein Fach nicht. Aber ein guter Kopf weiß sich überall aus dem Handel zu ziehen; und so haben seine beiden Stücke, wenn schon nicht die höchsten Schönheiten ihrer Gattung, wenigstens andere, die sie noch immer zu sehr schätzbaren Werken machen. Er suchte sich mit dem einen sowohl, als mit dem andern, der französischen Regel- mäßigkeit mehr zu nähern; aber noch zwanzig Addisons, und diese Regelmäßigkeit wird doch nie nach dem Geschmacke der Engländer werden. Begnüge sich damit, wer keine höhere Schön- heiten kennet!
Destouches, der in England persönlichen Um- gang mit Addison gehabt hatte, zog das Lustspiel desselben über einen noch französischern Leisten. Wir spielen es nach seiner Umarbeitung; in der wirklich vieles feiner und natürlicher, aber auch manches kalter und kraftloser geworden. Wenn ich mich indeß nicht irre, so hat Madame Gott- sched, von der sich die deutsche Uebersetzung her- schreibt, das englische Original mit zur Hand genommen, und manchen guten Einfall wieder daraus hergestellet.
Den
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Dieſes Stuͤck ſchreibt ſich eigentlich aus dem Engliſchen des Addiſon her. Addiſon hat nur eine Tragoͤdie, und nur eine Komoͤdie gemacht. Die dramatiſche Poeſie uͤberhaupt war ſein Fach nicht. Aber ein guter Kopf weiß ſich uͤberall aus dem Handel zu ziehen; und ſo haben ſeine beiden Stuͤcke, wenn ſchon nicht die hoͤchſten Schoͤnheiten ihrer Gattung, wenigſtens andere, die ſie noch immer zu ſehr ſchaͤtzbaren Werken machen. Er ſuchte ſich mit dem einen ſowohl, als mit dem andern, der franzoͤſiſchen Regel- maͤßigkeit mehr zu naͤhern; aber noch zwanzig Addiſons, und dieſe Regelmaͤßigkeit wird doch nie nach dem Geſchmacke der Englaͤnder werden. Begnuͤge ſich damit, wer keine hoͤhere Schoͤn- heiten kennet!
Destouches, der in England perſoͤnlichen Um- gang mit Addiſon gehabt hatte, zog das Luſtſpiel deſſelben uͤber einen noch franzoͤſiſchern Leiſten. Wir ſpielen es nach ſeiner Umarbeitung; in der wirklich vieles feiner und natuͤrlicher, aber auch manches kalter und kraftloſer geworden. Wenn ich mich indeß nicht irre, ſo hat Madame Gott- ſched, von der ſich die deutſche Ueberſetzung her- ſchreibt, das engliſche Original mit zur Hand genommen, und manchen guten Einfall wieder daraus hergeſtellet.
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Dieſes Stuͤck ſchreibt ſich eigentlich aus dem
Engliſchen des Addiſon her. Addiſon hat nur
eine Tragoͤdie, und nur eine Komoͤdie gemacht.
Die dramatiſche Poeſie uͤberhaupt war ſein Fach
nicht. Aber ein guter Kopf weiß ſich uͤberall
aus dem Handel zu ziehen; und ſo haben ſeine
beiden Stuͤcke, wenn ſchon nicht die hoͤchſten
Schoͤnheiten ihrer Gattung, wenigſtens andere,
die ſie noch immer zu ſehr ſchaͤtzbaren Werken
machen. Er ſuchte ſich mit dem einen ſowohl,
als mit dem andern, der franzoͤſiſchen Regel-
maͤßigkeit mehr zu naͤhern; aber noch zwanzig
Addiſons, und dieſe Regelmaͤßigkeit wird doch
nie nach dem Geſchmacke der Englaͤnder werden.
Begnuͤge ſich damit, wer keine hoͤhere Schoͤn-
heiten kennet!
Destouches, der in England perſoͤnlichen Um-
gang mit Addiſon gehabt hatte, zog das Luſtſpiel
deſſelben uͤber einen noch franzoͤſiſchern Leiſten.
Wir ſpielen es nach ſeiner Umarbeitung; in der
wirklich vieles feiner und natuͤrlicher, aber auch
manches kalter und kraftloſer geworden. Wenn
ich mich indeß nicht irre, ſo hat Madame Gott-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/147>, abgerufen am 21.11.2024.
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