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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Den neunzehnten Abend (Montags, den 18ten
May,) ward der verheyrathete Philosoph, vom
Destouches, wiederholt.

Des Regnard Demokrit war das jenige Stück,
welches den zwanzigsten Abend (Dienstags, den
19ten May,) gespielet wurde.

Dieses Lustspiel wimmelt von Fehlern und
Ungereimtheiten, und doch gefällt es. Der
Kenner lacht dabey so herzlich, als der Unwis-
sendste aus dem Pöbel. Was folgt hieraus?
Daß die Schönheiten, die es hat, wahre allge-
meine Schönheiten seyn müssen, und die Fehler
vielleicht nur willkührliche Regeln betreffen, über
die man sich leichter hinaussetzen kann, als es die
Kunstrichter Wort haben wollen. Er hat keine
Einheit des Orts beobachtet: mag er doch. Er
hat alles Uebliche aus den Augen gesetzt: im-
merhin. Sein Demokrit sieht dem wahren De-
mokrit in keinem Stücke ähnlich; sein Athen
ist ein ganz anders Athen, als wir kennen: nun
wohl, so streiche man Demokrit und Athen aus,
und setze blos erdichtete Namen dafür. Reg-
nard hat es gewiß so gut, als ein anderer, ge-
wußt, daß um Athen keine Wüste und keine Ti-
ger und Bäre waren; daß es, zu der Zeit des
Demokrits, keinen König hatte u. s. w. Aber
er hat das alles itzt nicht wissen wollen; seine Ab-
sicht war, die Sitten seines Landes unter frem-

den

Den neunzehnten Abend (Montags, den 18ten
May,) ward der verheyrathete Philoſoph, vom
Destouches, wiederholt.

Des Regnard Demokrit war das jenige Stuͤck,
welches den zwanzigſten Abend (Dienſtags, den
19ten May,) geſpielet wurde.

Dieſes Luſtſpiel wimmelt von Fehlern und
Ungereimtheiten, und doch gefaͤllt es. Der
Kenner lacht dabey ſo herzlich, als der Unwiſ-
ſendſte aus dem Poͤbel. Was folgt hieraus?
Daß die Schoͤnheiten, die es hat, wahre allge-
meine Schoͤnheiten ſeyn muͤſſen, und die Fehler
vielleicht nur willkuͤhrliche Regeln betreffen, uͤber
die man ſich leichter hinausſetzen kann, als es die
Kunſtrichter Wort haben wollen. Er hat keine
Einheit des Orts beobachtet: mag er doch. Er
hat alles Uebliche aus den Augen geſetzt: im-
merhin. Sein Demokrit ſieht dem wahren De-
mokrit in keinem Stuͤcke aͤhnlich; ſein Athen
iſt ein ganz anders Athen, als wir kennen: nun
wohl, ſo ſtreiche man Demokrit und Athen aus,
und ſetze blos erdichtete Namen dafuͤr. Reg-
nard hat es gewiß ſo gut, als ein anderer, ge-
wußt, daß um Athen keine Wuͤſte und keine Ti-
ger und Baͤre waren; daß es, zu der Zeit des
Demokrits, keinen Koͤnig hatte u. ſ. w. Aber
er hat das alles itzt nicht wiſſen wollen; ſeine Ab-
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[134/0148] Den neunzehnten Abend (Montags, den 18ten May,) ward der verheyrathete Philoſoph, vom Destouches, wiederholt. Des Regnard Demokrit war das jenige Stuͤck, welches den zwanzigſten Abend (Dienſtags, den 19ten May,) geſpielet wurde. Dieſes Luſtſpiel wimmelt von Fehlern und Ungereimtheiten, und doch gefaͤllt es. Der Kenner lacht dabey ſo herzlich, als der Unwiſ- ſendſte aus dem Poͤbel. Was folgt hieraus? Daß die Schoͤnheiten, die es hat, wahre allge- meine Schoͤnheiten ſeyn muͤſſen, und die Fehler vielleicht nur willkuͤhrliche Regeln betreffen, uͤber die man ſich leichter hinausſetzen kann, als es die Kunſtrichter Wort haben wollen. Er hat keine Einheit des Orts beobachtet: mag er doch. Er hat alles Uebliche aus den Augen geſetzt: im- merhin. Sein Demokrit ſieht dem wahren De- mokrit in keinem Stuͤcke aͤhnlich; ſein Athen iſt ein ganz anders Athen, als wir kennen: nun wohl, ſo ſtreiche man Demokrit und Athen aus, und ſetze blos erdichtete Namen dafuͤr. Reg- nard hat es gewiß ſo gut, als ein anderer, ge- wußt, daß um Athen keine Wuͤſte und keine Ti- ger und Baͤre waren; daß es, zu der Zeit des Demokrits, keinen Koͤnig hatte u. ſ. w. Aber er hat das alles itzt nicht wiſſen wollen; ſeine Ab- ſicht war, die Sitten ſeines Landes unter frem- den

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/148>, abgerufen am 21.11.2024.