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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Den zwey und zwanzigsten Abend (Don-
nerstags, den 21sten May,) ward die Zelmire
des Herrn Du Belloy aufgeführet.

Der Name Du Belloy kann niemanden unbe-
kannt seyn, der in der neuern französischen Litte-
ratur nicht ganz ein Fremdling ist. Des Ver-
fassers der Belagerung von Calais! Wenn es
dieses Stück nicht verdiente, daß die Franzosen
ein solches Lermen damit machten, so gereicht
doch dieses Lermen selbst, den Franzosen zur Ehre.
Es zeigt sie als ein Volk, das auf seinen Ruhm
eifersüchtig ist; auf das die großen Thaten seiner
Vorfahren den Eindruck nicht verloren haben;
das, von dem Werthe eines Dichters und von
dem Einflusse des Theaters auf Tugend und Sit-
ten überzeugt, jenen nicht zu seinen unnützen
Gliedern rechnet, dieses nicht zu den Gegenstän-
den zählet, um die sich nur geschäftige Müßig-
gänger bekümmern. Wie weit sind wir Deutsche
in diesem Stücke noch hinter den Franzosen! Es
gerade herauszusagen: wir sind gegen sie noch die
wahren Barbaren! Barbarischer, als unsere
barbarischsten Vorältern, denen ein Liedersänger
ein sehr schätzbarer Mann war, und die, bey
aller ihrer Gleichgültigkeit gegen Künste und
Wissenschaften, die Frage, ob ein Barde, oder
einer, der mit Bärfellen und Bernstein handelt,
der nützlichere Bürger wäre? sicherlich für die
Frage eines Narren gehalten hätten! -- Ich

mag
S 3

Den zwey und zwanzigſten Abend (Don-
nerſtags, den 21ſten May,) ward die Zelmire
des Herrn Du Belloy aufgefuͤhret.

Der Name Du Belloy kann niemanden unbe-
kannt ſeyn, der in der neuern franzoͤſiſchen Litte-
ratur nicht ganz ein Fremdling iſt. Des Ver-
faſſers der Belagerung von Calais! Wenn es
dieſes Stuͤck nicht verdiente, daß die Franzoſen
ein ſolches Lermen damit machten, ſo gereicht
doch dieſes Lermen ſelbſt, den Franzoſen zur Ehre.
Es zeigt ſie als ein Volk, das auf ſeinen Ruhm
eiferſuͤchtig iſt; auf das die großen Thaten ſeiner
Vorfahren den Eindruck nicht verloren haben;
das, von dem Werthe eines Dichters und von
dem Einfluſſe des Theaters auf Tugend und Sit-
ten uͤberzeugt, jenen nicht zu ſeinen unnuͤtzen
Gliedern rechnet, dieſes nicht zu den Gegenſtaͤn-
den zaͤhlet, um die ſich nur geſchaͤftige Muͤßig-
gaͤnger bekuͤmmern. Wie weit ſind wir Deutſche
in dieſem Stuͤcke noch hinter den Franzoſen! Es
gerade herauszuſagen: wir ſind gegen ſie noch die
wahren Barbaren! Barbariſcher, als unſere
barbariſchſten Voraͤltern, denen ein Liederſaͤnger
ein ſehr ſchaͤtzbarer Mann war, und die, bey
aller ihrer Gleichguͤltigkeit gegen Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften, die Frage, ob ein Barde, oder
einer, der mit Baͤrfellen und Bernſtein handelt,
der nuͤtzlichere Buͤrger waͤre? ſicherlich fuͤr die
Frage eines Narren gehalten haͤtten! — Ich

mag
S 3
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[141/0155] Den zwey und zwanzigſten Abend (Don- nerſtags, den 21ſten May,) ward die Zelmire des Herrn Du Belloy aufgefuͤhret. Der Name Du Belloy kann niemanden unbe- kannt ſeyn, der in der neuern franzoͤſiſchen Litte- ratur nicht ganz ein Fremdling iſt. Des Ver- faſſers der Belagerung von Calais! Wenn es dieſes Stuͤck nicht verdiente, daß die Franzoſen ein ſolches Lermen damit machten, ſo gereicht doch dieſes Lermen ſelbſt, den Franzoſen zur Ehre. Es zeigt ſie als ein Volk, das auf ſeinen Ruhm eiferſuͤchtig iſt; auf das die großen Thaten ſeiner Vorfahren den Eindruck nicht verloren haben; das, von dem Werthe eines Dichters und von dem Einfluſſe des Theaters auf Tugend und Sit- ten uͤberzeugt, jenen nicht zu ſeinen unnuͤtzen Gliedern rechnet, dieſes nicht zu den Gegenſtaͤn- den zaͤhlet, um die ſich nur geſchaͤftige Muͤßig- gaͤnger bekuͤmmern. Wie weit ſind wir Deutſche in dieſem Stuͤcke noch hinter den Franzoſen! Es gerade herauszuſagen: wir ſind gegen ſie noch die wahren Barbaren! Barbariſcher, als unſere barbariſchſten Voraͤltern, denen ein Liederſaͤnger ein ſehr ſchaͤtzbarer Mann war, und die, bey aller ihrer Gleichguͤltigkeit gegen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, die Frage, ob ein Barde, oder einer, der mit Baͤrfellen und Bernſtein handelt, der nuͤtzlichere Buͤrger waͤre? ſicherlich fuͤr die Frage eines Narren gehalten haͤtten! — Ich mag S 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/155>, abgerufen am 21.11.2024.