Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

brauchet, diese nur nicht verfehlen zu lassen.
Ihm die Deklamation zu erleichtern, daran ist
vollends gar nicht gedacht worden!

Aber verlohnt es denn auch der Mühe, auf
französische Verse so viel Fleiß zu wenden, bis
in unserer Sprache eben so wäßrig korrecte, eben
so grammatikalisch kalte Verse daraus werden?
Wenn wir hingegen den ganzen poetischen
Schmuck der Franzosen in unsere Prosa über-
tragen, so wird unsere Prosa dadurch eben noch
nicht sehr poetisch werden. Es wird der Zwit-
terton noch lange nicht daraus entstehen, der aus
den prosaischen Uebersetzungen englischer Dichter
entstanden ist, in welchen der Gebrauch der kühn-
sten Tropen und Figuren, außer einer gebunde-
nen cadensirten Wortfügung, uns an Besof-
fene denken läßt, die ohne Musik tanzen. Der
Ausdruck wird sich höchstens über die alltägliche
Sprache nicht weiter erheben, als sich die thea-
tralische Deklamation über den gewöhnlichen
Ton der gesellschaftlichen Unterhaltungen erhe-
ben soll. Und so nach wünschte ich unserm pro-
saischen Uebersetzer recht viele Nachfolger; ob
ich gleich der Meinung des Houdar de la Motte
gar nicht bin, daß das Sylöenmaaß überhaupt ein
kindischer Zwang sey, dem sich der dramatische
Dichter am wenigsten Ursache habe zu unterwer-
fen. Denn hier kömmt es blos darauf an, unter zwey

Uebeln

brauchet, dieſe nur nicht verfehlen zu laſſen.
Ihm die Deklamation zu erleichtern, daran iſt
vollends gar nicht gedacht worden!

Aber verlohnt es denn auch der Muͤhe, auf
franzoͤſiſche Verſe ſo viel Fleiß zu wenden, bis
in unſerer Sprache eben ſo waͤßrig korrecte, eben
ſo grammatikaliſch kalte Verſe daraus werden?
Wenn wir hingegen den ganzen poetiſchen
Schmuck der Franzoſen in unſere Proſa uͤber-
tragen, ſo wird unſere Proſa dadurch eben noch
nicht ſehr poetiſch werden. Es wird der Zwit-
terton noch lange nicht daraus entſtehen, der aus
den proſaiſchen Ueberſetzungen engliſcher Dichter
entſtanden iſt, in welchen der Gebrauch der kuͤhn-
ſten Tropen und Figuren, außer einer gebunde-
nen cadenſirten Wortfuͤgung, uns an Beſof-
fene denken laͤßt, die ohne Muſik tanzen. Der
Ausdruck wird ſich hoͤchſtens uͤber die alltaͤgliche
Sprache nicht weiter erheben, als ſich die thea-
traliſche Deklamation uͤber den gewoͤhnlichen
Ton der geſellſchaftlichen Unterhaltungen erhe-
ben ſoll. Und ſo nach wuͤnſchte ich unſerm pro-
ſaiſchen Ueberſetzer recht viele Nachfolger; ob
ich gleich der Meinung des Houdar de la Motte
gar nicht bin, daß das Syloͤenmaaß uͤberhaupt ein
kindiſcher Zwang ſey, dem ſich der dramatiſche
Dichter am wenigſten Urſache habe zu unterwer-
fen. Denn hier koͤm̃t es blos darauf an, unter zwey

Uebeln
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="150"/>
brauchet, die&#x017F;e nur nicht verfehlen zu la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Ihm die Deklamation zu erleichtern, daran i&#x017F;t<lb/>
vollends gar nicht gedacht worden!</p><lb/>
        <p>Aber verlohnt es denn auch der Mu&#x0364;he, auf<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Ver&#x017F;e &#x017F;o viel Fleiß zu wenden, bis<lb/>
in un&#x017F;erer Sprache eben &#x017F;o wa&#x0364;ßrig korrecte, eben<lb/>
&#x017F;o grammatikali&#x017F;ch kalte Ver&#x017F;e daraus werden?<lb/>
Wenn wir hingegen den ganzen poeti&#x017F;chen<lb/>
Schmuck der Franzo&#x017F;en in un&#x017F;ere Pro&#x017F;a u&#x0364;ber-<lb/>
tragen, &#x017F;o wird un&#x017F;ere Pro&#x017F;a dadurch eben noch<lb/>
nicht &#x017F;ehr poeti&#x017F;ch werden. Es wird der Zwit-<lb/>
terton noch lange nicht daraus ent&#x017F;tehen, der aus<lb/>
den pro&#x017F;ai&#x017F;chen Ueber&#x017F;etzungen engli&#x017F;cher Dichter<lb/>
ent&#x017F;tanden i&#x017F;t, in welchen der Gebrauch der ku&#x0364;hn-<lb/>
&#x017F;ten Tropen und Figuren, außer einer gebunde-<lb/>
nen caden&#x017F;irten Wortfu&#x0364;gung, uns an Be&#x017F;of-<lb/>
fene denken la&#x0364;ßt, die ohne Mu&#x017F;ik tanzen. Der<lb/>
Ausdruck wird &#x017F;ich ho&#x0364;ch&#x017F;tens u&#x0364;ber die allta&#x0364;gliche<lb/>
Sprache nicht weiter erheben, als &#x017F;ich die thea-<lb/>
trali&#x017F;che Deklamation u&#x0364;ber den gewo&#x0364;hnlichen<lb/>
Ton der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Unterhaltungen erhe-<lb/>
ben &#x017F;oll. Und &#x017F;o nach wu&#x0364;n&#x017F;chte ich un&#x017F;erm pro-<lb/>
&#x017F;ai&#x017F;chen Ueber&#x017F;etzer recht viele Nachfolger; ob<lb/>
ich gleich der Meinung des Houdar de la Motte<lb/>
gar nicht bin, daß das Sylo&#x0364;enmaaß u&#x0364;berhaupt ein<lb/>
kindi&#x017F;cher Zwang &#x017F;ey, dem &#x017F;ich der dramati&#x017F;che<lb/>
Dichter am wenig&#x017F;ten Ur&#x017F;ache habe zu unterwer-<lb/>
fen. Denn hier ko&#x0364;m&#x0303;t es blos darauf an, unter zwey<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Uebeln</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0164] brauchet, dieſe nur nicht verfehlen zu laſſen. Ihm die Deklamation zu erleichtern, daran iſt vollends gar nicht gedacht worden! Aber verlohnt es denn auch der Muͤhe, auf franzoͤſiſche Verſe ſo viel Fleiß zu wenden, bis in unſerer Sprache eben ſo waͤßrig korrecte, eben ſo grammatikaliſch kalte Verſe daraus werden? Wenn wir hingegen den ganzen poetiſchen Schmuck der Franzoſen in unſere Proſa uͤber- tragen, ſo wird unſere Proſa dadurch eben noch nicht ſehr poetiſch werden. Es wird der Zwit- terton noch lange nicht daraus entſtehen, der aus den proſaiſchen Ueberſetzungen engliſcher Dichter entſtanden iſt, in welchen der Gebrauch der kuͤhn- ſten Tropen und Figuren, außer einer gebunde- nen cadenſirten Wortfuͤgung, uns an Beſof- fene denken laͤßt, die ohne Muſik tanzen. Der Ausdruck wird ſich hoͤchſtens uͤber die alltaͤgliche Sprache nicht weiter erheben, als ſich die thea- traliſche Deklamation uͤber den gewoͤhnlichen Ton der geſellſchaftlichen Unterhaltungen erhe- ben ſoll. Und ſo nach wuͤnſchte ich unſerm pro- ſaiſchen Ueberſetzer recht viele Nachfolger; ob ich gleich der Meinung des Houdar de la Motte gar nicht bin, daß das Syloͤenmaaß uͤberhaupt ein kindiſcher Zwang ſey, dem ſich der dramatiſche Dichter am wenigſten Urſache habe zu unterwer- fen. Denn hier koͤm̃t es blos darauf an, unter zwey Uebeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/164
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/164>, abgerufen am 24.11.2024.